Axel Bosse hat immer wieder aktuelles Zeitgeschehen in seiner Musik reflektiert. Er engagiert sich zudem für verschiedene Hilfsorganisationen und Initiativen. Sein neuestes Album heißt „Übers Träumen“. Wir sprachen mit ihm über kreatives Träumen, Armut in Deutschland und seine Haltung zu KI.
Herr Bosse, Sie haben ein Konzeptalbum über das Träumen aufgenommen. Was glauben Sie, welche Funktion hat das Träumen?
Das Träumen in der Nacht ist für mich persönlich Verarbeitung und Inspiration, manchmal sogar Traumabewältigung. Fast noch wichtiger für mich ist der Tagtraum. Er hat immer etwas mit Fantasie zu tun. Ohne Träume könnte man das Leben gar nicht überstehen. Sie machen dich stark.
Man weiß, dass Dinge, die tagsüber gelernt werden, im Schlaf weiterverarbeitet und abgespeichert werden. Kommen Ihnen zuweilen beim Träumen Ideen für Lieder?
Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht, aber ich würde sagen, ja. In einer Schreibphase arbeite ich den ganzen Tag an einem bestimmten Song. Und bevor ich schlafen gehe, höre ich das Stück draußen auf meiner Bank noch einmal gegen. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass ich nachts im Traum irgendwie weiterschreibe, wenn ich erst mal drauf bin auf Musik.
In „Fiebertraum“ besingen Sie die dunkle Seite des Träumens. Haben Sie selbst zuweilen Albträume?
Die Szenerie in diesem Lied besteht auf jeden Fall auch aus persönlichen Erfahrungen. Ich weiß nicht, ob es die Verlustangst ist, die bei mir nachts reinkickt. Es geht oft darum, dass ich hinter irgendetwas hinterherrenne oder etwas Fallendes auffange. Es ist wie auf der Flucht sein. Dieses Bild passte gut zu der Musik, die ich geschrieben hatte.
Dieses Interview findet in einer ehrenamtlichen Essensversorgungsstelle für Bedürftige im Hamburger Karolinenviertel statt, „DeinTopf“. Im „Projekt Paradies“ stellen Sie seit 2021 einmal im Monat Menschen und soziale Projekte vor, die „wirklich was bewegen“. Wie groß ist die Armut in Hamburg?
Sehr, sehr groß. Hamburg gilt allgemein als schöne, reiche Stadt, wo es allen gut geht. Das stimmt überhaupt nicht. Letztens war ich in Zürich, wo ich dachte, da muss die Welt in Ordnung sein. Stimmt aber auch nicht. Es gibt überall Armut. „DeinTopf“ hier in Hamburg ist eine Essensausgabe für Bedürftige. Es gibt hier sogar Tierfutter. An der langen Menschenschlange sieht man, dass Hamburg keine grundsätzlich reiche Stadt ist. Hier herrscht auf jeden Fall Handlungsbedarf, weil so viele Menschen auf sich allein gestellt sind und regelmäßig hierherkommen. Darunter auch viele Familien mit Kindern, bei denen das Geld vorne und hinten nicht reicht. Und es kommen natürlich auch viele Wohnungslose, die auf der Straße leben.
Laut den Maltesern ist jedes fünfte Kind in Deutschland von Armut betroffen.
Das sind erschreckende Zahlen. Das ist auch der Grund, weshalb wir heute hier sind. Es bewirkt wirklich etwas, wenn Initiativen wie „DeinTopf“ medial erwähnt werden. Die brauchen hier wirklich ein volles Lager. Ich bin aber in erster Linie Musiker und kein Aktivist.
Was möchten Sie gern bewirken?
Ich möchte in erster Linie Dinge anstoßen und auf etwas aufmerksam machen. Die Initiativen sollen natürlich unterstützt werden in Form von Geld oder Sachspenden. Meine Fanbasis ist darin super. Die Leiterin von „DeinTopf“ hat schon viele afghanische und ukrainische Familien aufgefangen, sodass sie wieder ein eigenes Leben leben können. Das hat natürlich nicht die Grundproblematik verändert, aber im Kleinen viel bewirkt. So ähnlich sehe ich auch mein Engagement. Wenn ich für „DeinTopf“ Sachspenden sammele, macht das Hamburg nicht zu einer anderen Stadt, aber für diese Einrichtung bringt es definitiv etwas.
Was sollte getan werden, um die Armut und die Suchtproblematik einzudämmen?
Da habe ich keine Antwort drauf. Man muss als Gesellschaft und als Staat von vornherein so unterstützend und fair sein, dass Menschen da erst gar nicht hinkommen. Das ist natürlich super schwierig.
Wovon haben Sie als Jugendlicher geträumt?
Ich komme aus einem Dorf, wo das Leben sehr bodenständig war. Man ist dort zum Beispiel viel Trecker gefahren. Es gab eine Freiwillige Feuerwehr und einen Fußballverein in der Kreisliga. Ich war da sehr gerne, aber ich habe mich auch oft weggeträumt. Mit sieben oder acht wusste ich, dass ich gerne Musiker werden will. Schlagzeuger war für mich das Größte. Mein großer Bruder hat mir Videokassetten von The Police vorgespielt, wo Stewart Copeland live unfassbar gut trommelt. Davon habe ich geträumt.
Und wann ging Ihr Traum in Erfüllung?
Ich hatte großes Glück, denn eine Band aus unserem Nachbardorf ist berühmt geworden, Such A Surge. Deren Bassist war ein Freund von meinem Bruder und mir. Als 13-Jähriger konnte ich das erste Mal mit Such A Surge im Nightliner mitfahren. Mit der Zeit haben sich meine Träume immer mehr verfestigt. Irgendwann wusste ich, dass ich wirklich Musiker werden wollte. Ich hatte wahnsinnige Lust, Schlagzeug zu spielen und mit dem Kopf zu wackeln.
Das „Jamel rockt den Förster“-Festival in einem kleinen Dorf bei Wismar setzt jährlich ein Zeichen gegen den Rechtsextremismus. Sie sind dort aufgetreten. Wird Ihr Traum von einer Welt ohne Hass, Intoleranz und Gewalt gegen Minderheiten und Andersdenkende jemals in Erfüllung gehen?
Ich glaube, so etwas Bescheuertes und Bestrafenswertes wird es immer geben. Die Frage ist nur, inwieweit man es gesellschaftlich zulässt. Ich kenne Birgit und Horst Lohmeyer aus Jamel schon lange. Ich mache das für sie und den einen Nachbarn, der auf deren Seite ist. Aber auch als Zeichen, dass so etwas nicht passieren darf und man stopp sagen muss. Das ist die einzige Möglichkeit, mehr Leute dazu zu bringen, den Mund aufzumachen und für Gutes einzustehen. Man muss Menschen zu verstehen geben, dass es wirklich gefährlich ist, die AfD aus schierem Protest zu wählen. Weil das einfach Rechtsradikale sind.
Hat das Engagement von Künstlern wie Die Ärzte oder Ihnen bewirkt, dass die Lohmeyers von den Rechtsradikalen mittlerweile in Ruhe gelassen werden?
Es gab in Jamel schon Übergriffe und Scharmützel, und auf Birgit und Horst lastet ein permanenter Druck. Es ist aber nicht so, dass die Rechtsradikalen noch einmal so doof wären und ein zweites Mal deren Scheune ansteckten. Es läuft dort eher unter einem subtilen Druck ab. Den großen bösen Blick gibt es in Jamel auf jeden Fall. Ansonsten schlagen sich Horst und Birgit ganz wacker.
„Nur noch ein Lied“ ist ein Duett mit LEA über den letzten Lebensmoment. Der Song beschreibt ein Weltuntergangsszenario. Wie denken Sie über den Klimawandel?
Ich frage mich oft nach einer Lösung, weil es in der Politik und der Wirtschaft viel zu wenig Bewegung gibt. Nach meiner Theorie muss man, wenn man den Klimawandel verstehen will, ihn erst einmal fühlen. Der ganze Mittelmeerraum und auch wir hier bekommen die Auswirkungen der Erderwärmung ja zu spüren. Man weiß eigentlich, dass da dringend etwas passieren sollte. Das gilt auch für die, die das bis jetzt nicht verstehen wollten.
Kann man bereits klimaneutrale Konzerte spielen?
Schwierig. Mit der Frage habe ich mich hier und da auseinandergesetzt. Es gibt zum Beispiel Wasserstoffbusse. Ich denke, dass man da eine Menge machen kann. Manche Festivals werden schon komplett mit Solarenergie betrieben. Strom ist auf solch einem Event das wichtigste Thema. Auch da gilt, dass man im Kleinen eine Menge bewirken kann. Bei meinen Konzerten etwa gibt es ein Plastikverbot. Jeder von uns hat seine eigene Bandtasse. Wir sehen auch zu, dass wir beim Catering nicht zu viel auftischen.
Wie wird der Planet aussehen, wenn Ihre 17-jährige Tochter so alt ist wie Sie heute?
Ich denke, dass es dann ein paar Inseln weniger geben wird. Aber auch weniger Eis und weniger Skiunterricht. In 25 Jahren werden die Leute bereits mit kleinen händischen Drohnen durch die Gegend fliegen. Ein paar Meere werden dann aufgrund von immenser Algenbildung und gestiegener Temperaturen umgekippt sein. Auch Fischbestände werden verschwunden sein.
Wird es in 25 Jahren noch Konzerte in der heutigen Form geben?
Ich glaube, Konzerte wird es immer geben. Ich merke das an den Vinyl-Verkaufszahlen, die bei mir gerade viel höher sind als sonst. Ich sehe auch, dass es in der Generation meiner Tochter Leute gibt, die gar nicht mehr so viel Bock haben aufs Handy. Eine Gegenbewegung. Echte Liebe, echte Gefühle, Haut, Knochen und Seele. Auf Konzerten treffen sich Leute, die aus ganz verschiedenen Ecken kommen und zusammen feiern. Das kann eine virtuelle Welt nicht schaffen.
Hatten Sie von Anfang an eine Vision von dem Sound des Albums?
Ich wusste das diesmal, weil ich mit dem sphärischen Teil der Musik angefangen habe. Und als Gegengewicht brauchte ich etwas Erdiges. Das ist wie Himmel und Hölle. Ich wollte diesmal nur echte Instrumente. Wenn Synthesizer, dann nur alte analoge. Die Platte sollte handgemacht und staubig klingen.
Wo findet man heute noch Vintage-Synthesizer?
Man findet sie noch, aber mittlerweile für so viel Geld, dass man hintenüber kippt. Ich kenne zum Glück Leute mit guten Sammlungen. Zum Beispiel meinen Produzenten Dennis. Ein originaler Moog-Synthesizer hat einfach mehr Seele. Wir sind im Moment übrigens eine der wenigen Bands, die auf der Bühne ohne Hilfe von Computern auskommen. Wir machen noch richtige Livemusik.
Wie stark werden Computer mittlerweile bei Live-Konzerten eingesetzt?
Zu hundert Prozent. Außer Madsen und uns kenne ich persönlich keine andere Band, die nicht mit Ableton arbeitet. Das ist ein Computerprogramm für Musikschaffende, das die Lichtshow und andere Dinge auf der Bühne steuert.
Was passiert, wenn der Computer mal hängen bleibt und Ableton aussetzt?
Dann steht man plötzlich nur noch mit Gitarre, Schlagzeug und Keyboard da und es wird dünn. Aber die Dinger sind eigentlich ganz stabil. Deswegen benutzen sie auch alle. Meine Show hingegen wird noch von einem echten Lichtmann gesteuert. Für einen Computer bin ich einfach zu sprunghaft auf der Bühne. Weil ich mit meinem Blick oder Kopfnicken immer Druck auf den Schlagzeuger ausübe, werden bei uns Songs ab der zweiten Strophe oft ein, zwei Beats schneller. Ich breche ab, ich wiederhole, ich lasse mittendrin ein Gitarrensolo spielen. Ich bin da ganz frei, wir alle eigentlich. Da kommt ein Computer noch nicht mit. Und wenn es nicht funktioniert, fängt man den Song halt noch einmal von vorne an.
Sie sind der Letzte, der sich beim Songschreiben von KI helfen lassen würde?
Hoffentlich. Alles, was ich mit KI bisher aus Interesse ausprobiert habe, war irgendwie scheiße. Wenn ich sie bat, mir einen Text wie Bosse zu schreiben, kam dabei nur Blödsinn heraus. Ich muss mich wohl noch mehr anstrengen, dass KI auch mal einen guten Bosse-Text schreibt.