Nach der Halbierung seiner Dopingsperre kehrte Turn-Star Oleg Verniaiev zu Bundesligist TG Saar zurück. In den vergangenen zwei Jahren hat der Ukrainer, der bewusstes Doping bestreitet, viel durchgemacht.
Es ist fast still, als Oleg Verniaiev Ende Oktober erstmals seit dem Ende seiner zweijährigen Dopingsperre in der Kreissporthalle Dillingen wieder an ein Sportgerät herantritt. Die rund 250 Zuschauer beim Heimkampf von Kunstturn-Bundesligist TG Saar gegen TuS Vinnhorst scheinen nicht so recht zu wissen, ob sie dem Rückkehrer, ihrem langjährigen Weltklasse-Athleten, aufmunternd zujubeln oder ihm doch eher zurückhaltend begegnen sollen. Schon bei der offiziellen Begrüßung wenige Minuten zuvor war der Beifall, als Verniaievs Name genannt wurde, eher verhalten. Doch Stück für Stück, Gerät für Gerät, kämpfte sich der Ukrainer zurück in die Herzen der TG-Fans. Spätestens nachdem der 30-jährige frühere Weltmeister (2014) und Olympiasieger (2016, je am Barren) am Boden, später dann auch am Pauschenpferd, beim Sprung und an seinem Paradegerät Barren abgeliefert hatte, war es fast schon wieder wie früher: Mit schließlich 14 Punkten wurde Verniaiev Topscorer des Abends und Garant für den 36:23-Erfolg (7:5 Gerätepunkte) über den amtierenden Deutschen Meister.
„Heimkämpfe sind besonders schön, machen viel Spaß, aber man hat auch eine große Verantwortung gegenüber den Fans“, sagte Verniaiev nach dem Wettkampf und schob erleichtert nach: „Ich bin glücklich und habe es genossen.“ Er wusste zwar, „dass ich noch Luft nach oben habe. Aber mein Trainer hat gesagt, für den ersten Heimkampf war es okay.“ Dass er diesen überhaupt im Trikot der TG bestreiten würde, war ein Coup der Vereinsführung. Bis 2020 war er fester Bestandteil des Kaders der Saarländer und der Garant für den Gewinn der Deutschen Mannschaftsmeisterschaft im gleichen Jahr. Im August 2020 war Verniaiev bei einem Test außerhalb von Wettkämpfen positiv auf die verbotene Substanz Meldonium getestet worden. Das Präparat soll eine verbesserte Sauerstoffverwertung und damit eine gesteigerte physische Leistungsfähigkeit bewirken.
Als er von dem positiven Test und dem Dopingvorwurf erfuhr, „habe ich angefangen, mich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen“, erzählt Verniaiev. Im Juli 2021 wurde er vom Schiedsgericht des Internationalen Turnverbands (FIG) wegen Dopings zunächst für vier Jahre gesperrt. Verniaiev, legte beim Schiedsgericht des Sports (CAS) Berufung ein und tat in der Folge „alles, um meine Unschuld zu beweisen“. Der Mehrkampf-Star bestreitet ein Fehlverhalten und vermutet, die Substanz sei unwissentlich durch verunreinigte Lebensmittel in seinen Körper gelangt. Im März 2023 bestätigte der CAS zwar den Dopingbefund, halbierte die Sperre aber auf zwei Jahre.
„Es war eine sehr schwere Zeit“
„Jeder hat eine zweite Chance verdient“, sagte der erste Vorsitzende der TG, Thorsten Michels, vor dem Heimkampf gegen Vinnhorst. Er hat den Kontakt zu Verniaiev nie abreißen lassen. „In Absprache mit den Mitgliedern und Sponsoren haben wir als Verein gesagt, dass wir ihm diese zweite Chance geben. Die muss er jetzt halt auch nutzen“, betonte Michels. „Ich habe mich sehr gefreut und bin sehr dankbar, dass mich die TG Saar direkt wieder aufgenommen hat“, sagt Verniaiev.
Parallel dazu engagierte er sich seit Kriegsbeginn im Februar 2022 für sein Heimatland Ukraine und organisierte Hilfe vor Ort und Spenden. Näher auf die Situation in seiner Heimat eingehen möchte er zunächst nicht. Stattdessen zeigt er Handyaufnahmen von einem russischen Raketenangriff. Er hat sie selbst gefilmt, war zu dieser Zeit in Sichtweite des kriegerischen Geschehens. Die Bilder machen ihn immer wieder fassungslos. Und wütend. So sehr, dass er nicht einfach nichts sagen könnte: „Dort herrscht Krieg. Es ist leider so, wie es ist und es gibt kein Zurück mehr. Man versucht, so viel wie möglich zu helfen und das ganze Land versucht, standhaft zu bleiben“, beschreibt er mit hörbarer Schwere in der Stimme. Wichtig ist ihm, zu ergänzen: „Ich finde es falsch, wenn man sich, während die Menschen im eigenen Land ums Überleben kämpfen und ihr letztes Hemd geben, um anderen zu helfen, ins Ausland verzieht und von dort aus groß tönt, wie viel Unterstützung man leisten würde.“
Diese Erfahrungen und die persönlichen Enttäuschungen der vergangenen Jahre haben Oleg Verniaiev verändert. „Im Kopf und im Herz“, wie er sagt: „Es war eine sehr, sehr schwere Zeit. Ich war moralisch und psychisch am Boden.“ Diejenigen, die ihn als Olympiasieger am lautesten bejubelten, ließen ihn angesichts des Doping-Vorwurfs am schnellsten fallen. Das hat sich auch durch die Halbierung der Strafe und deren Buße nicht geändert: Bei der Weltmeisterschaft im Oktober 2023 in Antwerpen, wo er aufgrund des Trainings- und Wettkampfrückstandes noch nicht an die alte Leistungsstärke anknüpfen konnte, „waren 90 Prozent der Spitzenturner aus allen Nationen mir gegenüber offen, haben auch Fragen gestellt, aber sie haben sich vor allem gefreut, dass ich wieder dabei bin“, berichtet er und ergänzt: „Die anderen waren distanzierter und ließen mich spüren, dass sie mit mir nichts mehr zu tun und mich nicht mehr dabei haben wollen.“
Trotzdem findet er, als Mensch gestärkt aus dieser langen Krise herausgekommen zu sein. Vor allem dank seiner Familie, seinem Trainer und der Freunde, die ihm geblieben sind. „Nur durch sie habe ich das alles ausgehalten und weiter an mich geglaubt“, sagt er. Die Dankbarkeit für diejenigen, die ihm in seiner bisher dunkelsten Lebensphase zur Seite standen, überwiegt die Enttäuschung über die anderen. „Ich habe in dieser Zeit zwar viele Freunde verloren, aber ich konnte vieles lernen. Vor allem bei der Menschenkenntnis. Ich konnte erkennen, wer wirklich zu mir steht und wer grundsätzlich gegen mich ist“, berichtet er und ergänzt in Bezug auf das CAS-Urteil vom März 2023: „Deshalb freut es mich umso mehr, dass ich angehört wurde und meine Unschuld beweisen konnte. Für mich ist es ein Erfolg, wieder in meiner Sportart aktiv sein zu dürfen. Jetzt kann es nur noch vorwärts gehen.“ Dabei hat er vor allem die Olympischen Spiele 2024 in Paris im Blick. „Ich gebe richtig Gas und will allen beweisen, dass ich es noch kann.“ Den Fans der TG Saar hat er das bereits bewiesen.