Israel braucht eine Friedens-Strategie für die Zeit nach dem Anti-Terror-Kampf
Es sind minimale Lichtpunkte, mehr nicht. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hat der Option einer Dauerbesetzung des Gazastreifens eine Absage erteilt. Darüber hinaus wollen die Israelis mehrstündige Kampfpausen im Nordteil der Küstenenklave einrichten. Die Regierung in Jerusalem hat sich bewegt. Es geschah aber wohl weniger aus eigener Einsicht, als auf Druck der Amerikaner. Dennoch sind die Signale gut und richtig.
Aber es reicht nicht. Will der Nahe Osten nicht auf Jahre in Krieg und Chaos versinken, braucht er eine politische Perspektive. Israel hat selbstverständlich das Recht, sich zu verteidigen. Und nach den bestialischen Angriffen am 7. Oktober hat das Land das Recht, mit dem Hamas-Terror ein für allemal aufzuräumen. Die Führungsfiguren und das Netzwerk müssen ausgeschaltet werden. Es steht außer Frage, dass ein Volk, das den Horror der Nazis erleiden musste, eine besondere Sensibilität für Bedrohung und Vernichtung hat. Die Forderung, dass sich der 7. Oktober nicht wiederholen darf, ist für die Israelis zwingend. Dafür muss jeder Verständnis haben, der nicht mit ideologischer Blindheit geschlagen und von Hass zerfressen ist.
Aber es ist nicht genug, die Terrorgefahr zu beseitigen. US-Präsident Joe Biden hat es bei seinem letzten Israel-Besuch auf den Punkt gebracht: „Lassen Sie sich nicht von der Wut verzehren!“, appellierte er an die Israelis. Er verwies auf die „Fehler“ Amerikas nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Damals jagte das US-Militär Osama bin Laden und die Terroristen des Netzwerks Al-Qaida. Aber Washington hatte keinen Plan für die politische Zukunft Afghanistans. Traurige Realität: Am Hindukusch sitzen heute die gleichen islamistischen Machthaber wie in den 90er-Jahren.
Israel darf bei der Bekämpfung der Hamas nicht in die Afghanistan-Falle tappen. Den Krieg der Bilder hat Jerusalem bereits verloren: Die hohe Zahl ziviler Opfer im Gazastreifen sorgt in vielen Teilen der Welt für eine pro-palästinensische, anti-amerikanische und anti-israelische Stimmung. Darunter sind viele Länder des „globalen Südens“, die der Westen wegen des Ukraine-Kriegs auf seine Seite zu ziehen versucht. Kein Geringerer als US-Generalstabschef Charles Brown hat davor gewarnt, dass die Hamas-Kämpfer umso mehr Zulauf bekämen, je mehr Zivilisten im Gaza-Krieg getötet würden. Möglicherweise wird so der Nährboden für eine neue Generation von Terroristen bereitet.
Dass Israel dies einen äußerst heiklen Balanceakt abverlangt, liegt auf der Hand. Denn die Hamas spielt ein zynisches Spiel mit dem Leben der eigenen Zivilbevölkerung. Sie installiert Kommandozentralen und Waffenlager unter Krankenhäusern, Schulen und Moscheen. Je mehr tote Zivilisten in den eigenen Reihen, desto größer die weltweite Empörung und desto schriller die Propagandawaffe gegen Israel. Ein Waffenstillstand würde der Hamas nur eine Atempause verschaffen, um ihren grausamen Terror fortzusetzen.
Und dennoch: Israel muss sich öffnen und den Palästinensern ein Angebot der politischen Teilhabe machen. Eine Zwei-Staaten-Lösung, die schon seit Jahrzehnten auf dem Verhandlungstisch liegt, ist nach wie vor der beste Weg. Beide Seiten kommen nicht daran vorbei, sich zu schmerzhaften Zugeständnissen durchzuringen. Israel muss einen unabhängigen Palästinenserstaat tolerieren und darf sich nicht zur Geisel der Ultra-Orthodoxen und der radikalen Siedlerbewegung machen. Die Palästinenser müssen im Gegenzug das Sicherheitsbedürfnis Israels anerkennen und sich mit einem neutralen, demilitarisierten Status ihres neuen Staats abfinden.
Für das Projekt der Zwei-Staaten-Lösung sollten auch arabische Länder mit ins Boot geholt werden. Regionalmächte wie Ägypten, Saudi-Arabien und Jordanien haben sich in den letzten Jahren beim Palästinenser-Thema einen schlanken Fuß gemacht. Sie werden aber jetzt gebraucht, um bei einem Palästinenser-Staat Geburtshilfe zu leisten. Israel sollte diese Idee aus Gründen der Realpolitik unterstützen. Je mehr Jerusalem gemäßigte arabische Länder einbindet, desto mehr wird der Israelfeind Iran samt seiner verbündeten schiitischen Milizen isoliert.
Ohne diese politische Perspektive besteht die Gefahr von endlosen Kriegen. Die Region würde von einem Schlamassel in den nächsten stolpern.