Die Kommunalwahlen im Saarland 2024 werden der erste echte Stimmungstest seit dem Regierungswechsel 2022. Seither ist die CDU in der Opposition. Partei- und Fraktionschef Stephan Toscani über den Marathonlauf seiner Partei, die Auswirkungen der Flüchtlingspolitik und des Nahost-Konflikts sowie die angespannte Lage in den Kommunen.
Herr Toscani, die CDU steht vor ihrem Landesparteitag, ein gutes halbes Jahr vor den Kommunalwahlen, dem ersten großen Test nach der verlorenen Landtagswahl. Wo steht die CDU aus Sicht des Landesvorsitzenden?
Wir haben uns ordentlich stabilisiert. Ich habe immer gesagt: Das ist ein Marathonlauf und die Kommunalwahl wird die erste große Etappe. Bei der letzten Landtags- und Bundestagswahl war die SPD weit vorne, das Land war Rot eingefärbt. Wir wollen aufschließen und natürlich bei den Direktwahlen möglichst viele Rathäuser und Landratsämter verteidigen oder erobern.
Sie haben in der Opposition die Situation der Kommunen schon früh zu einem zentralen Thema gemacht. Wo sehen Sie die wichtigsten Ansatzpunkte?
Die Kommunen sind in einer sehr schwierigen Situation. Der von der CDU geführten Vorgängerregierung umgesetzte Saarlandpakt hat Erleichterungen gebracht, aber nach wie vor sind die Bedingungen komplex – von der Einnahme- und Investitionsschwäche bis zur Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen und den Problemen im Baubereich. Die Kommunen brauchen deshalb dringend mehr Unterstützung im Investitionsbereich, weil der Investitionsstau in den Städten und Gemeinden besonders hoch ist im Vergleich zum Land. Wir als CDU haben eine 300-Millionen-Investitionsoffensive für Grundschulen und weitere Maßnahmen vorgeschlagen. Das Zweite: Kommunen entscheiden mit ihrer Planungshoheit mit über die Zukunft des Landes. Derzeit liegt der Entwurf für einen neuen Landesentwicklungsplan auf dem Tisch, und der ist aus unserer Sicht eher ein Stillstands- und Verhinderungsplan als ein Entwicklungsplan. Wir müssen darauf achten, dass die Kommunen Gestaltungspielraum haben für Gewerbe- und Industrieansiedlungen, aber dass auch Spielraum bleibt für privaten Wohnungsbau. Gerade Familien müssen sich in Zukunft den Traum von den eigenen vier Wänden im Saarland erfüllen können.
Die Landesregierung hat jetzt vor kurzem ein Schulbauprogramm mit über 200 Millionen Euro vorgelegt, Warum sind Sie damit unzufrieden?
Was die Landesregierung da vorgelegt hat, ist eine Mogelpackung. Die 200 Millionen setzen sich ja zusammen aus 150 Millionen an längst vorhandenen und eingeplanten Mitteln für die Kommunen. Echtes frisches Geld sind nur die 50 Millionen aus dem Sondervermögen Zukunftsinitiative. Ansonsten sind das Mittel, die der kommunalen Familie ohnehin zugestanden hätten, nur etwas umetikettiert. Unser Vorschlag sieht nicht nur vor, den Kommunen deutlich mehr frisches Geld zur Verfügung zu stellen, sondern auch, dass die Kommunen flexibler sind bei der Verwendung. Die Hälfte des SPD-Schulbauprogramms kann ausschließlich für energetische Sanierungen verwendet werden. Doch was nutzt die Photovoltaikanlage auf dem Dach, wenn die Toiletten marode sind und Schimmel in den Klassenräumen ist? Energetische Sanierung ist natürlich sinnvoll, aber auch die grundlegende Sanierung ist ganz wichtig. Unser Konzept mit einem belastbaren Finanzierungsvorschlag haben wir zweimal in den Landtag eingebracht, es ist jedoch an der SPD gescheitert.
Es hängt ja häufig nicht am Geld, sondern an der Umsetzung, die wiederum oft an Personalmangel und bürokratischem Aufwand scheitert. Was bringen da die jüngsten Verabredungen auf Bundesebene zum Bürokratieabbau?
Diese Vereinbarungen, für die die rote Ampel in Berlin ganze zwei Jahre gebraucht hat, müssen jetzt so schnell wie möglich auch in geltendes Recht umgesetzt werden. Daneben glaube ich, dass den Kommunen oft auch die Ko-Finanzierungsmittel fehlen, die sie als Eigenanteil aufbringen müssen, um überhaupt Fördergelder zu erhalten. Das ist ein Problem, und da muss das Land schauen, wie es helfen kann, um diese Lücken aufzufangen.
Die chronisch klammen Kommunen im Saarland fordern schon lange Hilfen vom Bund. In der Vergangenheit hat sich die Unions-Bundestagsfraktion damit schwergetan.
Unsere klare Erwartung an die Bundesregierung ist, dass sie ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag auch umsetzt und die hochverschuldeten Kommunen tatsächlich entlastet. Eine vernünftige Lösung wird jedenfalls an der Union im Bundestag nicht scheitern, da sind wir als CDU Saar mit unserer Bundestagsfraktion klar abgestimmt. Die Bundesregierung ist deshalb gefordert, endlich konkret zu werden und in Verhandlungen mit den Ländern einzutreten. Es ist klar, dass nur einige Länder profitieren würden, aber man braucht dafür die Gesamtheit der Länder. In meinen Augen verhält sich die Landesregierung dabei viel zu passiv. Wir erwarten, dass sich die Ministerpräsidentin wesentlich stärker bei ihren Parteifreunden in Berlin für saarländische Interessen einsetzt.
Der bevorstehende Parteitag der CDU Saar soll die Kommunalwahlen inhaltlich vorbereiten. Was werden die Schwerpunkte sein?
Wir werden auf dem Parteitag unsere Leitlinien für die Kommunalwahl beschließen. Bei der Kommunalwahl geht es sehr stark darum, was konkret vor Ort geschieht. Deshalb werden unsere Kandidatinnen und Kandidaten auch ihre eigenen Akzente setzen. Es gibt aber auch einige übergreifende Themen, beispielsweise den angesprochenen Landesentwicklungsplan, zu denen wir uns als CDU Saar positionieren. Die kommunale Planungshoheit ist eines der Kernrechte der Kommunen. Der jetzt vorgelegte Landesentwicklungsplan greift aus unserer Sicht zu stark in dieses Recht der Städte und Gemeinden ein. Ein weiterer Punkt ist die kommunale Bildungspolitik. Bildung in den Kommunen ist für uns nicht nur die Frage der Schulgebäude. Sondern es kommt auch darauf an, was in den Schulen passiert. Die Grundschulen sind ja weitgehend in kommunaler Trägerschaft, und dort muss unserer festen Überzeugung nach gelten: Wer eingeschult wird, muss Deutsch können. Doch die Landesregierung hat durch die Abschaffung des erfolgreichen Programms „Früh Deutsch lernen“ die völlig falschen Weichen gestellt. Außerdem müssen unsere Schülerinnen und Schüler nach der Grundschule über die Basiskompetenzen Lesen, Schreiben, Rechnen verfügen. Da gibt es leider Rückschritte, wenn man den einschlägigen Bildungsstudien trauen darf.
Beim heiß diskutierten Thema Flüchtlinge hat es beim letzten Gipfeltreffen eine Verständigung über lange geforderte zusätzliche Mittel des Bundes für die Kommunen gegeben. Ist das die erhoffte Entlastung?
Die Zahlen sind zu hoch, die Kommunen stehen mit dem Rücken zur Wand und die Bürgerinnen und Bürger sind zunehmend verunsichert. Deshalb war es längst überfällig, dass sich der Bund jetzt ein Stück auf die Länder und die Kommunen zubewegt hat. Aber das ist nicht ausreichend. Der Bund kann die Zuwanderung steuern, die Kommunen haben keinerlei Möglichkeit, da einzugreifen, aber sind mit den ganzen Folgen konfrontiert. Schon jetzt ist absehbar, dass die vom Bund in Aussicht gestellten Finanzmittel nicht auskömmlich sein werden. Es geht aber nicht nur um die finanziellen Fragen, sondern auch darum, wie man Menschen, die zu uns kommen, vernünftig integrieren kann, also um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Doch die Ampel hält auch nach den jüngsten antisemitischen Vorfällen in Deutschland weiter an der erleichterten Staatsbürgerschaft fest. Das ist unverantwortlich und völlig unverständlich. Es bleiben also noch viele Fragen offen und es besteht nach wie vor viel Diskussions- und Entscheidungsbedarf.
Die Union fordert eine Begrenzung, „die Zahlen müssen sehr deutlich in sehr kurzer Zeit runter“, forderte etwa Fraktionsvize Jens Spahn. Begrenzungen sind aber, wie alle Diskussionen zeigen, ein komplexes und schwieriges Unterfangen.
Zweifellos – und es gibt nicht die eine Maßnahme, die alles löst. Es gibt viele Ansatzpunkte, die ineinandergreifen, auf der europäischen und auf der nationalen Ebene. Wir fordern schon länger, die Leistungen für Asylbewerber auf den Prüfstand zu stellen, um die Pull-Faktoren, also die Anziehungswirkung, zu verringern. Ein großer Teil der Flüchtlinge in Europa landet am Ende in Deutschland, auch über Sekundärmigration. Die Frage ist also, ob wir durch höhere Leistungen Flüchtlinge anziehen, die sich andernfalls etwas gleichmäßiger in den Ländern der Europäischen Union verteilen würden. Am Ende geht es um die große und schwierige Aufgabe, denen auch helfen zu können, die wirklich unsere Hilfe benötigen.
Die Diskussion hat sich um die Bilder, die wir seit dem 7. Oktober, dem Überfall der Hamas auf Israel, auf deutschen Straßen sehen, zusätzlich verschärft. Sind solche Bilder mehr Reaktion auf aktuelle Ereignisse oder eher Ausdruck von Versäumnissen der Vergangenheit, Fehlern bei der Integration?
Es ist beides. Es ist einmal das Ergebnis einer hohen Migration von Menschen, insbesondere aus dem muslimisch-arabischen Bereich, zum anderen auch Ausdruck davon, dass Integration nicht vollständig gelungen ist. Man darf dabei aber nicht verkennen, dass ein großer Teil der Menschen, die zu uns gekommen sind, sich gut integriert hat. Diejenigen, die keine Probleme machen, nimmt man oft weniger wahr, deshalb muss man immer differenziert und fair beurteilen. Wir haben Probleme mit einem Teil von Flüchtlingen, nicht mit allen. Aber es ist ein ernstes Problem.
Das bezieht sich auf die Reaktionen auf den Nahost-Konflikt?
Der importierte Antisemitismus ist größer und erschreckender als es sich viele eingestanden haben. Wenn Sie in den letzten Jahren darauf hingewiesen haben, dass es einen muslimischen, einen islamistischen Antisemitismus gibt, dann sind Sie oft aus dem linken politischen Spektrum mit dem Vorwurf konfrontiert worden, islamophob oder gar ein Rassist zu sein. Dieser Vorwurf bricht jetzt in sich zusammen. Es gibt das Problem, deshalb geht es darum, dass sich der Rechtsstaat konsequent und durchsetzungsstark bei Israelfeindlichkeit und bei erklärtem Antisemitismus zeigt. Es muss deshalb viel mehr dafür getan werden, die Menschen für die Werte zu gewinnen, die unser Land prägen. Werte wie Gleichberechtigung von Mann und Frau, Toleranz, auch religiöse Toleranz, aber eben auch die besondere Verantwortung Deutschlands für Israel und das jüdische Volk. Wir erwarten von denen, die zu uns kommen, dass sie diese leitenden und wichtigen Werte anerkennen. Das müssen wir offensiver einfordern. Wir waren zu naiv in dem Glauben, dass sich das mit der Zeit von selbst einstellt, wenn Menschen hier lange leben. Das offensiv einzufordern, gehört auch mit zu gelingender Integration.
Diese aktuellen Themen haben in den letzten Wochen ein wenig die Themen und Herausforderungen überlagert, vor denen das Land steht: Transformation, Klimawandel als Überschriften. Die Auseinandersetzungen darüber haben in der Landespolitik, im Parlament, an Schärfe zugenommen.
Als jemand, der dem Parlament schon seit zwei Jahrzehnten angehört, meine ich: Es ist eher eine Normalisierung. Wir hatten immer engagierte und heftige Debatten, ob zu Zeiten einer CDU-Alleinregierung oder während „Jamaika“, wo Opposition und Mehrheit kontrovers diskutiert haben. Der Eindruck, dass Debatten heftiger geworden sind, kommt vielleicht daher, dass wir in den letzten Jahren eine zahlenmäßig Große Koalition hatten und mit Oskar Lafontaine einen Oppositionsführer, der oft eher wie ein „elder statesman“ auftrat.
Nun zeigen die Erfahrungen, was auch Umfragen belegen: Menschen mögen insbesondere in diesen Zeiten weniger den ständigen Streit, sondern Lösungen drängender Probleme. Wie gehen Sie in der Opposition damit um?
Die Auseinandersetzung ist nötig, wenn es um den Wettbewerb der Ideen geht. Das produktive Ringen um bessere Lösungen gehört schlicht zur Demokratie. Es braucht aber auch immer die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen, die Bereitschaft zum Kompromiss. In der Einschätzung der Problemstellungen des Landes gibt es in der Bewertung zwischen CDU und SPD keine großen Unterschiede. Es gibt etwa eine gemeinsame Sicht, dass das Erreichen der Klimaziele das Land als Industrieregion überproportional stärker trifft und fordert als Regionen, die nicht so stark von Industrie geprägt sind. In dieser Analyse gibt es eine gemeinsame Sichtweise, jedoch wählt die SPD in der Umsetzung oft andere Wege als wir. Das sprechen wir dann auch deutlich an. Zu den Unterschieden, die wir deutlich herausarbeiten, gehört auch die Frage, wie stark sich das Land verschulden kann. Da sagen wir klar: Die Landesregierung geht bei der Verschuldung zu weit, sie müsste sich stattdessen viel stärker und engagierter beim Bund für Unterstützung einsetzen. Wenn sich die Zukunft des Industrielandes Deutschland insbesondere auch hier an der Saar entscheidet, wie es auch die SPD sagt, dann braucht es überproportionale Gelder vom Bund für das Saarland. Mehr als das, was jeder bekommt. So wie die Braunkohlereviere hat auch das Saarland besondere Bundeshilfen verdient, um den Strukturwandel zu schaffen, der dadurch ausgelöst wird, dass wir ambitionierte Klimaziele erreichen wollen. Da ist die Landesregierung viel zu passiv.
Ein weiterer Punkt ist die Schwerpunktsetzung, gerade in der Wirtschaftspolitik. Die Landesregierung setzt aus unserer Sicht zu sehr auf die Großindustrie, vernachlässigt dabei Mittelstand, Handwerk und Start-ups. Das Saarland hat inzwischen eine neue Stufe des Strukturwandels erreicht, es geht für das Land um sehr viel. Die einseitige Fokussierung auf die Großindustrie dabei ist falsch, die SPD agiert hier viel zu strukturkonservativ. Was das Thema Gemeinsamkeiten und Kompromiss betrifft: Ich habe sehr früh beim Thema Ford vorgeschlagen, einen eigenen parlamentarischen Ausschuss einzurichten, in dem auch die Opposition ihre Vorstellungen in institutionalisierter Form einbringen kann, aus dem Bewusstsein um die Verantwortung für die Zukunft des Landes. Das hat die SPD leider abgelehnt.