Ein Israeli und ein Palästinenser setzen im Berliner Restaurant „Kanaan“ ein Zeichen des Friedens, während im Nahen Osten der Krieg tobt. Am Helmholtzplatz servieren die beiden vegane und vegetarische Köstlichkeiten aus der Levante-Küche.
Vor wenigen Wochen war Oz Ben David kurz davor, alles aufzugeben. Als am 7. Oktober die Terrororganisation Hamas sein Heimatland angriff, stand für den Gastronomen vieles infrage. „Ich habe mich gefragt, ob wir unser Restaurant noch halten sollen“, sagt der Wahl-Berliner. Er sei überwältigt gewesen von der Brutalität des Angriffs und besorgt um seine Familie in Israel. „Ich musste erst einmal einen Schritt zurücktreten und alles verarbeiten.“
Vier Tage lang hielten er und sein palästinensischer Geschäftspartner Jalil Dabit ihr Restaurant im Helmholtz-Kiez geschlossen. Knapp eine Woche nach dem Terroranschlag öffneten sie es wieder. „Es war Jalil, der mich überzeugt hat, doch weiterzumachen“, erzählt der Israeli im Gespräch. Es gebe keine andere Möglichkeit als die des Friedens.
Tatsächlich verstehen sich die beiden Betreiber des vegetarisch-veganen Lokals „Kanaan“ im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg nicht nur als Gastronomen, sondern zusätzlich auch als eine Art Friedensvermittler. „Bei uns arbeiten Menschen aus mehreren Nationen zusammen – Israelis, Palästinenser, Syrer und Iraner, aber auch Inder, Pakistaner, Ukrainer und Russen“, sagt Oz Ben David. Menschen, deren Regierungen sich teilweise spinnefeind sind.
„Macht Hummus, nicht Krieg“
Doch die Schliemannstraße 15 in Prenzlauer Berg ist ein Ort der Versöhnung. Gerade in den vergangenen Tagen hätten viele Israelis und Palästinenser das Lokal besucht, sagt der Mit-Inhaber. Auch der Name ist Programm. Das Restaurant ist nach dem gelobten biblischen Land Kanaan benannt, jenem Land, das Abraham – Stammvater der Israelis – ihm und seinen Nachkommen verheißen wurde. „Für uns ist Kanaan ein Symbol für Hoffnung und Einheit.“
Mittlerweile sind die Location und ihre beiden Macher stadtbekannt. Sie haben nicht nur ein eigenes Kochbuch veröffentlicht, sondern auch kürzlich auf Einladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an einem Runden Tisch für ein friedliches Zusammenleben in Deutschland teilgenommen. Dabei diskutierten sie im Schloss Bellevue nicht nur mit dem Bundespräsidenten, sondern unter anderem auch mit der 102-jährigen Holocaustüberlebenden Margot Friedländer.
Über die Friedensmission werden die Besucher schon an der Außenfassade des Restaurants aufgeklärt. Dort hängt ein großes Plakat mit dem Friedenssymbol und dem Slogan „Make Hummus, Not War“ – „Macht Hummus, nicht Krieg“. Die Aufforderung ist zugleich der Titel eines Dokumentarfilms von 2012 über den Streit um Hummus. Denn eines der ältesten Gerichte aus der Levante-Küche dient immer wieder als kulinarischer Zankapfel. Staaten wie Israel, der Libanon und Palästina beanspruchen jeweils für sich, das cremige Püree aus Kichererbsen, Sesammus, Olivenöl und Zitronensaft erfunden zu haben.
Bei einem Teller Hummus begann auch die Freundschaft zwischen Jalil Dabit und Oz Ben David. Besonders begeistert waren beide von der jeweiligen Variante des anderen zwar nicht – was auch kein Wunder war – schließlich hat jede Region und jede Familie ihre eigene Art, den Dip herzustellen. Doch die Unterschiedlichkeit inspirierte die beiden Kulinarik-Fans. Und so kreierten sie gemeinsam den für sie „weltbesten Hummus“ – einen, der auf den Komponenten des israelischen und palästinensischen Rezeptes basiert. „Bei der Entwicklung des perfekten Rezepts bemerkten wir, dass unsere kulturellen Unterschiede mehr eine Quelle der Stärke als ein Hindernis waren.“
Auch erfuhren der Palästinenser und der Israeli, wie viel sie doch miteinander verbindet. Dabei stammen die beiden Wahl-Berliner aus unterschiedlichen Verhältnissen. Jalil Dabit kommt aus Ramla. Die Kunst der Kulinarik wurde dem Palästinenser mit arabischen Wurzeln schon von Kindesbeinen an vermittelt, denn seiner Familie gehört die renommierte Restaurantmarke „Hummus Samir“. Der Israeli Oz Ben David kommt aus der Kleinstadt Ariel und arbeitete als Marketing-Experte zuerst in Amsterdam, dann in Berlin.
Noch bevor wir von der Hummusvariante und weiteren Köstlichkeiten aus dem Hause „Kanaan“ kosten können, fällt mein Blick auf das Interieur. Das Ambiente der L-förmigen Location vermittelt Leichtigkeit. Das ist sicher auch der Prise an frischen Farben zu verdanken: Türkisfarben bezogene Stühle gesellen sich zu hellen Holztischen, und an einer der Wände klebt eine türkis-weiß gestreifte Tapete. Die andere Wand ist gesäumt von Porträts israelischer und palästinensischer Promis im knallbunten Pop Art-Stil des Berliner Künstlers Fred Tiger. Die verstorbene israelische Sängerin Ofra Haza und der amerikanisch-israelische Sänger Omer Adam sind dort ebenso vertreten wie der palästinensische Dichter Mahmud Darwisch. Abstrakter hingegen wird es im hinteren Raum: Dort an einem Wanddurchbruch findet sich ein Mosaik aus unzähligen Spiegelscherben. „Piece of Peace“ oder „Stück des Friedens“ nennt sich das Werk und stammt aus der Hand des israelischen Künstlers Granit Barel.
Hommage an den Schmelztiegel
Dann steht das erste Schüsselchen Hummus auf unserem Tisch. Und danach das zweite. Schließlich wandern immer mehr orientalische Speisen vor unsere Nasen. Eine köstlicher als die andere. Ich tunke ein Stück warmes Pita in das geschmeidige Püree, ohne sofort zu merken, dass der „klassische Hummus“ à la „Kanaan“ insgeheim eine für ihn untypische Zutat beinhaltet – nämlich Kartoffeln. Dies ist eine Hommage von Jalil Dabit und Oz Ben David an Deutschland und an den Schmelztiegel Berlin. „Zusammen kreieren wir etwas Neues, die neue Currywurst, das neue Spätzle, und auch Falafel passt wunderbar zu Bier“, schwärmt der Israeli.
Unser Dip-Favorit des Abends ist das Hummus-Ragout mit Wurzelgemüse, Auberginen und Süßkartoffeln. Das Ragout ist zu 100 Prozent vegan. Das Ensemble überzeugt durch seine aromatische Ausgefeiltheit. Und es überrascht vor allem den begleitenden Fotografen, der sonst nicht gern auf Fleisch verzichtet. „Das hat meine Erwartungen völlig über Bord geworfen, man schmeckt den Unterschied ja überhaupt nicht“, sagt er. Ähnlich ergeht es uns beim Goutieren von Jalils Matawamee. Das palästinensische Gericht enthält Reis, grüne Linsen, Röstzwiebeln und in Za’atar sautierte Sojastücke – ein Gaumengenuss, der absolut umami schmeckt.
In den Himmel der Levante-Aromen geht es auch mit den gerösteten Süßkartoffeln, ebenfalls mit Za’atar gewürzt und zudem verfeinert mit Dattelhonig und Granatapfelkernen. Die passenden Gegenspieler zu den Gerichten sind der Teller mit eingelegten Gurken und Kohl sowie der Auberginensalat. Beide sind leicht säuerlich. Ein besonderer Gaumen-Twist ist auch die Shakshuka-Lasagne. Die mit Auberginen gefüllten Lasagne-Blätter an hocharomatischer Tomaten-Paprika-Soße und Tahini überzeugen auch den begleitenden Fotografen, der als Italiener in seinem Leben schon so manches Pasta-Juwel aus dem Ofen gekostet hat. Besser kann man Lasagne eigentlich nicht neu interpretieren, finde ich.
Die Preise im „Kanaan“ liegen mittags zwischen elf und 15 Euro. Abends gibt es ein Menü, bestehend aus diversen Vorspeisen und einem Hauptgang nach Wahl für 29 Euro pro Nase. Der einzige Wermutstropfen ist die Tatsache, dass man als Gast im „Kanaan“ seine Rechnung nur mit Karte begleichen kann. Schade, ich hätte diesbezüglich gern die Wahl gehabt.
Nach so vielen orientalischen Köstlichkeiten sind wir so pappsatt, dass wir es beim besten Willen nicht schaffen, noch die verheißungsvoll klingenden Desserts zu naschen. Dazu zählen unter anderem vegane arabische Panna cotta wie Malabi mit Rosenwasser und eine Schokoladen-Mousse mit Tahini-Crumble und Datteln. Aber wir kommen sicher wieder – an diesen Ort des Friedens inmitten von aufgeheizten Zeiten.