Achill Island, nur ein paar hundert Meter von der irischen Hauptinsel entfernt, ist eine Welt für sich. Und die schätzen vor allem Wanderer, Fans der harmlosen Riesenhaie und überhaupt alle, die Irland-Klischees lieben. Hier werden sie bedient!
Im Bus vom Dubliner Airport nach Westport und weiter nach Achill Sound werden mein Wandergefährte und ich – typisch irische Aufgeschlossenheit – öfters angesprochen, wohin es ginge. Rucksäcke und Bergstiefel befeuern offenbar die Neugierde. Auf unsere Antwort „Achill Island“ folgen stets hochgezogene Augenbrauen, Pfeifen, Begriffe wie „Wander-Dorado“. Auch wir hatten von der rauen Schönheit im Nordwesten gehört, deshalb ja die Entscheidung. Dennoch sind wir gespannt, was uns auf der größten Insel rund um die irische Insel tatsächlich erwartet.
Kaum dass wir über die beschauliche Drehbrücke in die ebenso beschauliche Ortschaft einrollen, erwartet uns erst mal ein Schauer. Aber hey, wie lautet das Sprichwort? „Wenn dir das irische Wetter nicht passt, warte 15 Minuten!“ Also ab ins Café. Man begrüßt uns, als wären wir entfernte Verwandte, die sich mal wieder blicken lassen. Da wird einem gleich warm ums Herz, der Afternoon Tea tut sein Übriges. Mmh, und erst der Apfel-Brombeer-Crumble! Zurück auf der Straße hat sich der Regen verzogen. Schnelle Wetterwechsel werden wir nun ständig erleben, was für starke Szenerien und Stimmungen sorgt. Etwa als wir am Morgen, ausgeschlafen dank gemütlichem B&B, unsere Inselumrundung starten. Auf dem Granuaile Loop Walk geht es erst im leichten Nebel, dann im Sonnenschein südwärts.
Schweinswale und Delfine
Noch ist der Weg eben, „Mainland Ireland“ zum Greifen nah. Beim Grace’O Malley’s Towerhouse, nach der legendären irischen „Piratenkönigin“ benannt, könnte man womöglich sogar rüberschwimmen – wobei 14 Grad Wassertemperatur eindeutig dagegen sprechen. Außerdem wollen wir einerseits auf der Insel und andererseits trocken bleiben, jetzt wo uns der Himmel wohlgesonnen ist. Der Plan: lieber weiter ums Inseleck und die mitgebrachten Sandwichs verzehren. Essen beim Fern-Sehen quasi, mit Blick auf den weiten Atlantik.
Gedacht, gemacht. Wir entfernen uns etwas von dem verkehrsarmen Sträßchen und finden einen Top-Logenplatz. Unter uns die gegen Felsen klatschenden Wellen, in der Ferne Kanada, das nach 3.000 Kilometern als nächste Landmasse auftauchen würde. Apropos auftauchen: Waren das da Rückenflossen? Wir rätseln und haben keine Gewissheit. Abends in Keel jedoch bestätigt Sean vom Pub-Team: „Rund um Achill tummeln sich jede Menge Schweinswale und Delfine, auch wenn wir keinen Fungie haben wie jahrelang drunten in Dingle.“ Fragezeichen in unseren Gesichtern. „Der war superzutraulich, hatte Heldenstatus. Schaffte es sogar ins Guinness-Buch der Rekorde, als weltältester Einzelgängerdelfin. Als er 2020 starb, berichteten selbst internationale Medien …“
Von Achill Island liest man indessen öfter in Tauchmagazinen. Über Drückerfische und Spinnenkrabben sowie die größte Attraktion: bis zu acht Meter lange Riesenhaie. Angst braucht niemand zu haben, Respekt schon. Wie Walhaie bewegen sich die zahnlosen Fische mit dem Megamaul langsam durchs Wasser und ernähren sich von Plankton. Zum Glück sind die Zeiten lange vorbei, als sie wegen ihres Öls gejagt wurden.
An Land trifft man vor allem Schafe, Menschen weniger. Auf 146 Quadratkilometern leben gerade einmal rund 2.500. Hinzu kommen insbesondere in den Sommermonaten zahlreiche Surfer, Wanderer, Backpacker. Doch angesichts Dutzender Wanderwege verlaufen die sich schnell. Was im unerschlossenen Norden und Westen durchaus wörtlich zu nehmen ist. Neben den Stränden ist die karge Einöde vermutlich mitverantwortlich, warum sich Achill als „jewels in the crown of Ireland’s Wild Atlantic Way“ bezeichnet. Zurückhaltendes Marketing geht anders, denn die 2.600 Kilometer lange Küstenstraße, die auch Wanderern reizvolle Varianten bietet, steckt voller Highlights. Stichwort Cliffs of Moher, Connemara Nationalpark, Kerry. Andererseits: Übertrieben ist der Juwelvergleich auch wieder nicht.
Das zeigen die Höhepunkte der Folgetage: Keel East, eine jahrtausendealte Megalithanlage, Stonehenge im Miniminiformat. Und, zwei Wanderstunden später, Keem Bay. Klein, sandig, von Felsen gesäumt, türkises Wasser, ein Traum. Auch weil es weder Häuser noch Infrastruktur gibt. Hier endet die Straße, beginnt die Wildnis. Ab jetzt geht’s für alle nur noch zu Fuß weiter. Let’s go West! Näher ran an Amerika, weiter weg von der Zivilisation.
Whiskey und Fiddle-Musik
Als wir den steilen Weg auf den Achill Head erklimmen, steigt unser Puls nicht nur aufgrund der Anstrengung, sondern auch wegen des großartigen Ausblicks auf die Cliffs of Croaghaun. Bämm! Über 600 Meter ragen sie aus dem Meer empor, eine der höchsten Klippen Europas. Das Beste: Das Schauspiel genießen Wanderer – neben Bootstouristen – exklusiv. Folgen sie den Schafspfaden (und ihrem Kompass) hinauf, wartet unterm „Gipfel“ der nächste Hingucker, ein See. Und was für einer! Bunnafreva Lough West residiert einsam 300 Meter über dem Meeresspiegel, königlich.
Auch wenn man auf dem weiteren Weg durch die Moorberglandschaft zu manch versteckter Bucht hinabsteigen könnte, ist unser Abenteuerbedarf erst mal gedeckt. Uns zieht es eher Richtung Deserted Village, uralte Cottage-Ruinen. Unser Tagesziel, ganz in der Nähe, lässt sich trotz seinen mehr als 200 Jahren noch gut beziehen, sehr gut sogar. The Old Beach Cottage in Dugort ist steinhausgewordenes Irlandklischee, inklusive roter Haustür, alter Möbel, Kamin. Eigentlich würden wir dort eher zwei Wochen als zwei Nächte verbringen und in Schmökern versinken wie Joyces Irland-Epos „Ulysses“ oder dem „Irischen Tagebuch“, das der deutsche Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll einst auf Achill Island schrieb. Dabei Whiskey verzehren und Fiddle-Musik lauschen. Doch der Strand, vor Jahrzehnten weggespült und im Jahr 2017 mit Tonnen voller Sand und völlig überraschend „zurückgekehrt“, will entdeckt, der Mount Slievemore, aufgrund seiner konischen Bergform Insel-Ikone, bestiegen und das hammelbasierte Stew im Restaurant probiert werden. Ferner wartet die letzte Inseletappe. Die ist wieder aufregend, wegen ihrer Landschaft und ihren raren, aber stets interessanten Begegnungen. Von einem entgegenkommenden Wanderer etwa erfahren wir, dass auf Achill der Film „Banshees of Inisherin“ gedreht wurde. Das Epos ging bei der diesjährigen Oscarverleihung zwar trotz neun Nominierungen leer aus, aber ganz ehrlich: An der Kulisse kann es wahrlich nicht gelegen haben.