1963 hob sich im „Kino International“ das erste Mal der Kinovorhang. Im Frühjahr 2024 schließt er sich für die nächsten zwei Jahre, weil das Haus umfassend saniert wird.
Fast hatte sie etwas von einem Klassentreffen, die Jubiläumsfeier zum 60. Geburtstag des Kinos „International“ an der Karl-Marx-Allee. Denn eingeladen waren Wegbegleiterinnen und -begleiter aus 60 Jahren Kinogeschichte. Und so gab es auch einen filmischen Rückblick auf die Geschichte des Hauses, in dem DDR-Filme ihre Premiere feierten und später internationale Produktionen erstaufgeführt wurden. Und seit 1990 zahlreiche Berlinale-Filme zu sehen waren.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth erinnerte an den denkwürdigen 9. November 1989, als dort mit „Coming out“ der „erste explizit schwule Film der DDR-Geschichte“ aufgeführt wurde, während draußen die Welt begann, sich entscheidend zu verändern. Für Filmkritiker und Moderator Knut Elstermann, der durch den Abend führte, steht das Kino „International“ auch für eine kurze Zeit des Aufbruchs in der DDR, die allerdings schnell zu Ende ging. 1966 lief „Spur der Steine“ bei einem Festival an und wurde ein Publikumserfolg. Doch kurz danach geriet er in die Mühlen der Zensur. Die Premiere am 30. Juni 1966 im „International“ wurde schon nach wenigen Minuten von organisierten Protesten gestört und der Film ein paar Tage später abgesetzt. Er verschwand für 23 Jahre in den Defa-Archiven und war erst ab November 1989 wieder in den Kinos zu sehen.
Große Filmpremieren und die Berlinale
So wie im „International“ wegweisende Filme ihre Premiere feierten, ist das Gebäude auch selbst eine architektonische Ikone. Eines der wenigen Denkmäler der Nachkriegsmoderne im Ostteil der Stadt nämlich, das noch so genutzt wird wie ursprünglich geplant, das betonte Dr. Christian Bräuer in seinem Rückblick. Er ist einer der beiden Geschäftsführer der „Yorck“-Kinogruppe, die das Kino 1992 von der damaligen Bezirksfilmdirektion übernahm.
Das Kinogebäude mit der markanten Fassade war von Anfang an multifunktional gebaut. So manch einer erinnert sich noch an Jugendweihefeiern im Kinosaal, der damals noch 608 Plätze hatte, heute sind es 551. Es gab auch festliche Bälle und Bankette und für exklusive Gäste eine Extra-Lounge. Für die Bildung stand im Erdgeschoss eine Bibliothek zur Verfügung. Ganz oben im Jugendclub spielten nationale und internationale Rockbands. Und nicht zu vergessen – die Panoramabar mit einem spektakulären Blick über die Karl-Marx-Allee.
Co-Geschäftsführer Heinrich-Georg Kloster ist immer noch überwältigt, wenn er vor dem Kino steht: „Was für eine Wahnsinnsarchitektur, ein Haus, in dem einem das Herz aufgeht.“ Er erinnerte sich an die großen Erfolge mit „Schindlers Liste“ oder „Forrest Gump“ und an die deutschen Filme, die gut liefen. Allerdings kämen sie nicht an „Solo Sunny“ aus dem Jahre 1980 heran, der 15 Wochen lang an die 100.000 Menschen ins Kino zog. Das wäre heute kaum noch vorstellbar, insbesondere, seit es die Multiplex-Kinos gibt. Die machten auch dem „International“ das Leben schwer. Deshalb sei man stolz, in den letzten Jahren ein neues Publikum gewonnen zu haben.
Dr. Christian Bräuer nennt es den „bewegendsten Moment nach dem Lockdown“, als sich vor dem Kino lange Schlangen von Menschen bildeten, die es kaum erwarten konnten, dass das Kino wieder öffnet. Das habe Mut gemacht für alles, was demnächst kommt.Denn klar ist, die nächsten Jahre werden nicht einfach.
Umfangreiche Baumaßnahmen
Das am 15. November 1963 eröffnete Haus ist in die Jahre gekommen. Entworfen haben es die Architekten Josef Kaiser und Heinz Aust, von denen auch das einstige Kino Kosmos, das „Café Moskau“ und die „Mokka-Milch-Eisbar“ stammten. Schon 2013 zum 50. Jubiläum gab es eine technische Runderneuerung, 2018 wurde die Fassade des Kinos denkmalgerecht saniert und 2020 erfolgte die Reinigung der Glasfenster, bei laufendem Kinobetrieb. Nun stehen umfassende Baumaßnahmen an und das Kino schließt nach der Berlinale im kommenden Jahr für rund zwei Jahre.
„Jedes Kabel im Haus wird ausgetauscht, in der Panoramabar die komplette Verkleidung von den Wänden genommen, eine Entrauchungsanlage eingebaut und das gesamte Dach saniert“, erklärt Thore Horch, der für den Veranstaltungsbereich zuständig ist. Schon bei der Planung wurde eng mit dem Landesdenkmalamt zusammengearbeitet. Glücklicherweise gab es historische Unterlagen und auch relativ gute Dokumentationen von der ursprünglichen Planung sowie zwei restauratorische Gutachten. „Wir stellen ja nicht den Zustand von 1963 her“, betont Thore Horch, „das ginge auch gar nicht. Anfangs war in der Panoramabar noch Teppichboden, der in den 1970er-Jahren durch Parkett ersetzt wurde. Das muss zum Beispiel raus, weil die verwendete Farbe heute verboten ist. Die Lamellenverkleidung bleibt, wird aber restauriert.“ Ein großes Thema ist auch der Vorhang im Saal – ein stilbildendes Element im Haus. Man sei mit einer Textilrestauratorin im Gespräch, in der Hoffnung, dass er restauriert werden könne.
Bis zur Schließung werden also weiter Filme gezeigt, es wird Führungen durch das Haus geben, Lesungen und Ausstellungen im Rahmen des 60-jährigen Jubiläums. Bis 28. Januar 2024 sind beispielsweise 13 Filme aus sieben Jahrzehnten zu sehen, darunter „Solo Sunny“, „Halbe Treppe“ und „Good Bye, Lenin“. Auch die Filmreihe „MonGay“, die älteste queere Filmreihe in Deutschland, läuft nach wie vor jeden Montagabend. Dirk von Lowtzow liest am 10. Dezember aus seinem Buch „Ich tauche auf“, begleitet von Tocotronic-Songs aus 30 Jahren und im Januar stellt Gregor Gysi sein neues Buch „Auf eine Currywurst mit Gregor Gysi“ vor.
Wer mehr über die Historie des Kinos erfahren möchte, dem sei das Buch „Das Kino ‚International‘ in Berlin“ von Dietrich Worbs empfohlen, das Architektur- und Filmgeschichte unterhaltsam verknüpft.