Neue Trainer, neues Glück? Nach der Trennung vom langjährigen Erfolgscoach Urs Fischer hofft Union Berlin im Heimspiel gegen Augsburg auf die Trendwende.
Im ersten Spiel nach dem Ende seiner Ära bei Union Berlin ist Urs Fischer einfach nur Fan. „Wenn Union gegen Augsburg spielt, werde ich sicher vor dem Fernseher sitzen und die Daumen drücken“, sagte der Schweizer in einem emotionalen Abschiedsvideo des Clubs. Seinen Ex-Spielern gab er mit auf den Weg: „Jetzt durchbrecht diese Negativspirale!“ Ihm war das nicht gelungen. 14 sieglose Spiele in Folge, davon 13 Niederlagen – diese Horror-Serie konnte selbst der langjährige Erfolgstrainer der Eisernen sportlich nicht überstehen. Die Trennung am 15. November war nur deshalb ein wenig überraschend, weil Club-Boss Dirk Zingler zuvor angekündigt hatte, entgegen der üblichen Mechanismen im Profifußball am Chefcoach ohne Wenn und Aber festhalten zu wollen. Doch das war Wunschdenken. In einem Krisengespräch mit Fischer und der sportlichen Leitung zwei Tage vor der offiziellen Verkündung der Trennung habe er „nach zwei Minuten gewusst, wie es enden wird“, berichtete Zingler. Die Überzeugung, mit Fischer und dessen Co-Trainer Markus Hoffmann die Trendwende zu schaffen, war nicht mehr da. Offenbar auch beim Trainer selbst nicht.
„Die letzten Wochen haben sehr viel Kraft gekostet. Wir haben viel versucht, die Mannschaft hat viel aufgewendet, aber es hat sich nicht in Ergebnissen ausgezahlt“ – so wurde Fischer in der Pressemitteilung des Vereins zitiert. Von Clubseite aus wurde peinlichst genau darauf geachtet, weder das Wort „Entlassung“ noch „Rücktritt“ zu verwenden. Das Ende der lange erfolgreichen Zusammenarbeit sei eine „gemeinsame Entscheidung“ gewesen. Und die fühle sich für ihn „nach wie vor richtig an“, sagte Fischer, der keinerlei Verbitterung an den Tag legte. Im Gegenteil. „Ich bin dankbar, dass Union Teil meines Lebens, Teil meiner Geschichte ist“, sagte er. Aber manchmal sei eine Veränderung nötig, manchmal helfe einer Mannschaft „eben doch ein anderes Gesicht, eine andere Art der Ansprache, um eine Entwicklung auszulösen“.
Diese Aufgabe übernahm das Trainerteam der vereinseigenen U19: Der 51 Jahre alte Fußballlehrer Marco Grote und seine Co-Trainerin Marie-Louise Eta (32) wurden erst einmal als Interimslösung installiert. Es galt als sehr wahrscheinlich, dass das Duo auch im richtungsweisenden Heimspiel am Samstag gegen den FC Augsburg auf der Trainerbank sitzen wird. Man werde nun „ohne Zeitdruck“ und in einem „sorgfältigen Prozess“ nach einem geeigneten Nachfolger für Urs Fischer suchen, betonte Zingler: „Wir werden uns die Zeit nehmen, weil wir Marco Grote, den Co-Trainern und der Co-Trainerin das sehr wohl zutrauen, die Mannschaft in den nächsten Tagen oder Wochen zu führen.“ Womöglich kann sich Grote auch selbst als Dauerlösung empfehlen – sofern er dies denn überhaupt sein will. Über ihn und seine Ambitionen ist in den vergangenen Tagen nur wenig bekannt geworden – über seine Assistentin dafür umso mehr. Dass erstmals eine Frau in der Geschichte der Fußball-Bundesliga als Co-Trainerin arbeitet, interessierte die Öffentlichkeit sehr. „Die Frau, die die Männer trainieren darf“ („FAZ“), „Die Pionierin auf Zeit“ („TAZ“) – fast alle Medien stürzten sich auf dieses Novum.
Vielleicht sein letzter großer Dienst am Verein
Und so wissen viele Fußballfans nun, dass Marie-Louise Eta einst eine erfolgreiche Spielerin war, die mit Turbine Potsdam dreimal den Deutschen Meistertitel und 2010 sogar die Champions League gewann. Und dass sie nach dem verletzungsbedingt frühen Ende ihrer aktiven Karriere ins Trainergeschäft einstieg. Die gebürtige Dresdnerin begann bei Werder Bremen im Junioren-Innen-Bereich, arbeitete dann mit dem jungen männlichen Nachwuchs und sammelte auch beim Deutschen Fußball-Bund Erfahrung. Das und ihr abgeschlossenes Sportmanagement-Studium halfen ihr dabei, einen der begehrten Plätze für den Erwerb der Trainer-Pro-Lizenz zu bekommen. „Ich bin immer gut damit gefahren, Schritt für Schritt zu machen“, sagte Eta vor rund anderthalb Jahren. Dieser Schritt aber, vom U19-Team zur Bundesliga- und Champions-League-Mannschaft von Union Berlin, ist ein gewaltiger. An Ehrgeiz mangelt es ihr aber absolut nicht. Sie wolle „im absoluten Topbereich als Trainerin dazu beitragen, erfolgreich zu sein“, hatte sie einmal in einem Interview als ihr mittelfristiges Ziel ausgegeben.
Zingler hätte nichts dagegen, würde Eta das schon jetzt als Co-Trainerin in der Bundesliga gelingen. Dass er mit der Entscheidung etwas für die nach wie vor miserable Frauen-Quote im Profifußball oder für die Außendarstellung des Clubs habe tun wollen, verneinte der Präsident. „Es ist keine bewusste Entscheidung für eine Frau als Co-Trainerin“, sagte Zingler: „Ich finde auch, das würde diese Entscheidung schon fast wieder diskreditieren. Sie ist für mich eine ausgebildete Fußballlehrerin.“ Von ihrer Ausbildung her hätte Eta das A-Männer-Team auch als Cheftrainerin übernehmen können. Doch da sie Grote bei der U19 assistiert, war diese Aufgabenteilung als Interimslösung nur logisch. Ex-Nationalspielerin Tabea Kemme, die mit Eta bei Turbine Potsdam erfolgreich zusammengespielt hat, ist sich sicher: Union hat eine gute Entscheidung getroffen. Eta sei „eine klassische Strategin“ und verfüge über einen „starken Charakter“, den sie in der aktuellen Position „definitiv“ auch gebrauchen könne.
Denn Union steht das Wasser weiter bis zum Hals. Nach der auch in dieser Höhe verdienten 0:4-Niederlage vor der Länderspielpause bei Tabellenführer Bayer Leverkusen ist der Vierte der Vorsaison auf den letzten Platz abgerutscht. Defensiv geht den Eisernen die Kompaktheit und Stabilität der vergangenen Jahre komplett ab, offensiv fehlen Durchschlagskraft und Effizienz. Dass der Kader durch prominente Neuzugänge wie Robin Gosens, Kevin Volland und Leonardo Bonucci auf dem Papier stärker ist als in den Spielzeiten zuvor, macht die Sache nicht leichter. Denn lange Zeit schien die Krise gerade deshalb nicht mit dem notwendigen Ernst angegangen worden zu sein. Doch spätestens mit der Trainer-Trennung sollten alle wachgerüttelt sein, meinte Zingler. Man befinde sich „in einer prekären Situation, wir sind akut vom Abstieg bedroht“.
Sollte sich Union am Ende in der Liga halten, hätte Fischer mit seinem Rückzug dem Club einen letzten Dienst erwiesen. Einen Platz in den Annalen des Vereins hat er ohnehin sicher. Vielleicht wird sein Schaffen bei Union auch für immer unerreicht bleiben. Er wisse nicht, „ob wir das noch mal wiederholt bekommen, die Ereignisse der letzten fünf Jahre“, sagte Zingler. Er habe „immer Angst vor diesem Tag“ gehabt. Der Präsident deutete an, dass er mit Fischer schon zuvor eine Vereinbarung für ein Ende der Zusammenarbeit getätigt hatte. Womöglich wäre nach dieser Saison ohnehin Schluss gewesen. „Wir wussten beide, dass es eine endliche Zusammenarbeit ist.“ Man habe daher die Beendigung „nur vorgeschoben“.
Vielleicht machte dieser Umstand die Trennung für Fischer auch etwas einfacher. „Fünfeinhalb Jahre, wer hätte das gedacht? Also ich sicher nicht“, sagte Fischer lächelnd zum Abschied. Auch seine Frau hatte an eine solche Erfolgsstory nicht geglaubt. „Als ich mich entschieden habe, Union zu machen, habe ich meine Frau gefragt, ob sie nach Berlin mitkommt. Da hat sie gesagt: ‚nein, auf keinen Fall! Ich breche doch hier nicht alles ab und nach vier, fünf Monaten wirst du entlassen, und wir sind wieder zu Hause‘“, erzählte Fischer: „Daraus wurden fünfeinhalb Jahre, in denen wir so tolle Erlebnisse und Geschichten jetzt erzählen können.“