Rund 900.000 Pferdebesitzer gibt es derzeit in Deutschland. Damit auch diese Tiere bestens versorgt werden, bieten Pferdekliniken ein umfangreiches Angebot. Ein Besuch in der Klinik für Pferde der Freien Universität Berlin.
Es ist ein ruhiger Herbsttag im Oktober. Buntes Laub hat sich auf die Wege rings um die flachen Gebäude der Pferdeklinik Düppel gelegt. Sie befindet sich von Wald umgeben auf dem ehemaligen Rittergut Düppel. Dort ließ Prinz Karl Friedrich von Preußen 1859 ein Pferdegestüt einrichten. Einige der Gebäude sind heute noch erhalten und stehen unter Denkmalschutz. Nach 1945 betrieben die US-Alliierten dort eine militärische Reitschule und das „Veterinary Hospital“. Die Freie Universität übernahm die amerikanische Tierklinik und zog 1951 mit der Veterinärmedizin ein. Ab 1977 wurde das Gelände mit neuen Klinik- und Lehrgebäuden erweitert, um aktuellen medizinischen Anforderungen gerecht zu werden. Von 2000 bis 2019 erfolgte dann eine weitere Modernisierung. Neun Institute, die Fachbereichsbibliothek, das Dekanat und die Mensa befinden sich in Düppel. Eine Außenstelle gibt es in Bad Saarow mit der Abteilung für Reproduktionsmedizin, die aber auch demnächst nach Berlin zieht. Dann sind alle Fachgebiete: Innere Medizin, Orthopädie/Chirurgie und die Reproduktionsmedizin wieder unter einem Dach.
Immer mehr minimalinvasive Verfahren
Dr. Eva Müller, Tierärztin mit Schwerpunkt Orthopädie/Chirurgie, hat heute erst um 13 Uhr eine OP und deshalb Zeit für einen kleinen Rundgang durch die Pferdeklinik. Die funktioniert ähnlich wie ein Humankrankenhaus, außer dass die Patienten nicht in Betten liegen, sondern in Boxen stehen. Auch die Untersuchungsräume sind natürlich der Größe der Tiere angepasst. Es gibt verschiedene Stallabteilungen: Eine, in der vorwiegend internistische Patienten drinstehen, eine Intensivabteilung, eine Abteilung für Orthopädie/Chirurgie-Patienten. Auch Pferde haben ansteckende Krankheiten, deshalb gibt es ein entsprechendes Hygienemanagement. Patienten mit eitrigem Nasenausfluss beispielsweise stehen separiert von anderen oder werden, wenn sie auch noch Fieber haben und hoch ansteckend sind, voll isoliert. Zur Ausstattung der Klinik gehören zwei Untersuchungsräume für die innere Medizin, vier Orthopädie-/Radiologieräume, zwei Operationssäle mit Ablege-, Vorbereitungs- und Aufwachbereich. Für die weiterführende Diagnostik stehen Röntgen, Sonografie, Endoskopie, Gastroskopie, CT und ein Farbdopplergerät für Herz-Kreislaufuntersuchungen zur Verfügung. Die Entwicklung in der Tiermedizin geht stetig voran mit dem Ziel einer möglichst schonenden und komplikationsarmen Therapie. Für die Behandlungen werden mehr und mehr minimalinvasive Verfahren wie Arthroskopie, Laparoskopie und Thorakoskopien genutzt, um ein Gelenk, die Bauch- oder Brusthöhle ohne größere Schnitte zu operieren. In Düppel ist man spezialisiert auf schwierige OPs wie zum Beispiel die Versorgung von Knochenbrüchen mit Platten und Schrauben oder Coil-Embolisationen von Arterien, um Blutungen aus dem Luftsack zu stillen. In der rund um die Uhr besetzten Notfallklinik können in einem Notfalllabor zudem wichtige Untersuchungen durchgeführt werden.
Krankheiten durch schlechte Haltung
Der Rundgang beginnt im CT. Pferde können hier unter Vollnarkose, aber auch im Stehen untersucht werden. Gerade läuft eine Untersuchung. Es ist ganz ruhig in dem Raum, nur das leise Zischen der Beatmungsmaschine ist zu hören.
Vom CT geht es in eine langgestreckte, glasüberdachte Halle, der sogenannten Vortrabstrecke. Gerade wird ein Tier auf der mit Tartan ausgelegten Bahn entlanggeführt und aufmerksam beobachtet. Lahmt es vielleicht? Noch mal dreht es eine Runde. Scheint aber alles in Ordnung zu sein. „Bei Auffälligkeiten wie leichte Lahmheit zum Beispiel sollte man das Pferd beobachten, eventuell den Bereich erst mal kühlen“, erklärt Eva Müller, „unbedingt zum Arzt sollte man mit dem Tier, wenn eine akute, hochgradige Lahmheit vorliegt. Natürlich auch bei Verletzungen, Koliksymptomen oder Nasenbluten, so etwas kann schnell dramatisch werden.“ Vorsorgliche Untersuchungen wie eine jährliche Zahnkontrolle oder eine halbjährliche, wenn die Zähne problematisch sind, können Problemen vorbeugen. Auch der Impfstatus sollte aktuell sein, und es sollten regelmäßige Entwurmungen durchgeführt werden.
Angst vorm Arzt scheint keine rein menschliche Empfindung zu sein. Gleich neben der Vortrabstrecke ist ein kleiner Raum mit einem Untersuchungsstand für Pferde. Ein Patient, ein ziemlich großes Pferd mit einem Verband um den Bauch, will partout nicht zwischen die beiden Haltestangen. Da helfen auch keine Streicheleinheiten, aber mit ein wenig Sedation ist die Untersuchung dann auch ohne Probleme möglich. Eine Tür weiter findet eine Augenuntersuchung statt. Aus dem Dunkel des Raumes leuchtet der Augenspiegel der Ärztin und die fluoreszierende Netzhaut des Tieres, die bei Dunkelheit am genauesten untersucht werden kann.
Gegenüber steht bei einem Isländer ein Verbandswechsel an. Er hat sich am Huf verletzt. Mit dabei ein Hufschmied, der sich zusammen mit dem Tierarzt die Stelle ansieht und säubert.
Auf dem Weg in den Stall, in dem die Patienten stehen, kommt die Frage auf, wofür all diese Technik eingesetzt wird. „Die Ursache für die gezeigten Symptome sind selten gleich sichtbar“, sagt Eva Müller. „Schließlich kann man nicht in das Pferd hineinschauen. Daher sind eine präzise Diagnostik und eine daraus resultierende, gezielte Therapie der Schlüssel zum Erfolg.“
Es gibt Erkrankungen, die betreffen alle Nutzungsformen und Rassen, einige Rassen sind aber auch für bestimmte Erkrankungen prädisponiert. „Sommerekzeme sind besonders typisch bei Islandpferden“, erklärt sie weiter, „die Krankheit wird von Kriebelmücken ausgelöst, die in Island nicht vorkommen, und entsprechend sind Isländer fern von der Heimat besonders anfällig dafür.“ Die Periodische Augenentzündung hingegen ist bereits seit der Antike bekannt und kann unbehandelt bis zur Erblindung führen. Sie kann in Schüben auftreten und sollte auf jeden Fall ärztlich abgeklärt werden. Wie die Hufrehe, eine der schmerzhaftesten Erkrankungen bei Pferden, bei der sich die Verbindung zwischen Hufbein und Hornkapsel entzündet und sogar lösen kann. Andere Diagnosen lassen auf Fehler in der Haltung schließen. Bei der Strahlfäule stehen die Pferde zu nass, wenn beispielsweise die Einstreu nicht regelmäßig gewechselt wird. Das kann auch die Ursache für Mauke sein, falls es sich nicht um einen Befall durch Milben handelt. Die gefürchteten Koliken sind eher ein Symptom, die Grundursache liegt im Magen-Darm-Trakt und manifestiert sich sehr unterschiedlich. Sie können schnell lebensbedrohlich werden. In der hiesigen Region nehmen die Pferde gern auch mal mit dem Gras Sand auf, der den Darm verstopfen kann. Und natürlich können sich Pferde verletzen, „überall, da ist man manchmal erstaunt“, meint Eva Müller. Häufig sind die Beine betroffen, weil sie relativ exponiert sind und wenig „Polsterschicht“ haben. Alles was tiefer geht als eine Schürfwunde, sollte tierärztlich abgeklärt werden. Vorbeugen kann man, indem man die Weiden und die Boxen kontrolliert, ob es dort Verletzungsquellen gibt. Pferde sind futterneidisch, also auf getrennte Futterplätze achten. Ja, auch bei Pferden gibt es sowas wie „Wohlstandskrankheiten“, zum Beispiel das equine metabolische Syndrom. Darüber hat Eva Müller ihre Doktorarbeit geschrieben. Vergleichbar mit Diabetes beim Menschen ist es eine Erkrankung des Energie- und Zuckerstoffwechsels, resultierend aus Überernährung und mangelnder Bewegung.
In der Klinik wird auch geforscht
Manche Pferde vertragen Stress nicht so gut, da spielt auch wieder die Haltung eine Rolle. Sie verändern ihr Verhalten und entwickeln Stereotypen wie Koppen oder Weben. Beim Koppen strömt Luft in die Speiseröhre und verursacht ein rülpsendes Geräusch, das kann durchaus Magenerkrankungen zur Folge haben. Beim Weben gehen die Pferde an den Gitterstäben von rechts nach links. Abhilfe kann mehr Auslauf, regelmäßiger Kontakt zu Artgenossen, Beschäftigung und ausreichend Raufutter schaffen.
Im Intensivabteil der Klinik macht eines der Patienten einen recht schwachen Eindruck. Das Tier leidet unter einer Darmentzündung. Die Vorderhufe sind verbunden, um den Körper trägt es eine Art Schutzdecke und es sind diverse Infusionen angeschlossen. Wenn man bedenkt, dass Pferd und Mensch seit 5.000 Jahren zusammenleben, in erster Linie als Nutztier, aber zunehmend auch als Begleiter, dann versteht man, warum solch ein Aufwand betrieben wird, um Pferde gesundzupflegen.
Die Klinik in Düppel forscht auch auf dem Gebiet der Pferdegesundheit. Dr. Müller hat zur CT-gestützten Diagnostik im Fesselträgerursprungsbereich, eine Erkrankung des sehnigen Ursprunges, eine Studie durchgeführt und diese auch schon international vorgestellt. Für sie und die anderen Mitarbeitenden ist der Vorteil einer Uniklinik die Ausbildung auf dem aktuellen Wissensstand sowie eine breite Vernetzung, in Deutschland wie auch international. So werden in Düppel auch Diplomates ausgebildet, ein Titel, der von Amerikanischen oder Europäischen Colleges der verschiedenen Fachbereiche verliehen wird. „Ich mache aktuell eine internationale Spezialisierung in der Chirurgie (Residency ECVS), die ich zeitnah abschließen werde.“
Der Rundgang durch die Klinik endet vor einem OP-Saal. Er darf nur mit entsprechender Schutzkleidung betreten werden. Es gibt zwei separate Operationssäle, einen für offene Verletzungen und Darmoperationen und einen für sterile Knochenoperationen. Und wie beim Menschen werden die Pferdeeigner vorher über die Risiken aufgeklärt und unterschreiben dies. Im Saal erinnert sich Dr. Müller an eine etwas ungewöhnliche OP: „Mir wurde im Notdienst ein Pferd vorgestellt, mit Lahmheit und Schwellung im Gelenkbereich, das Gelenk war septisch. Bei der Operation stellte sich heraus, dass Holzpartikel im Gelenk waren. Damit hatte keiner gerechnet, schließlich war keine Verletzung erkennbar. Aber alles in Ordnung, das Pferd ist gesund und wieder zu Hause.“ Auf die Frage, warum sie gerade Tiermedizin studiert hat und nun hier arbeitet, sagt sie voller Überzeugung: „Ich habe schon immer mit Pferden zu tun gehabt. Für mich sind das einfach faszinierende Tiere.“