Im schwedischen Östersund startet der Biathlon-Weltcup ab dem 25. November in seine 47. Auflage. Dem vor einem Umbruch stehenden deutschen Team trauen Experten kaum Podestplätze zu. Bei den Männern sind die Norweger klare Favoriten, bei den Frauen kommen verschiedene Nationen für Siege infrage.

Biathlon gilt hierzulande noch immer als die mit Abstand populärste Wintersportart. Was vor allem auf die grandiosen Siege deutscher Athleten in der Vergangenheit zurückgeführt werden kann. Namen wie Sven Fischer, Michael Greis oder Ricco Groß bei den Männern sowie Kati Wilhelm, Uschi Disl, Andrea Henkel, Magdalena Neuner oder Laura Dahlmeier bei den Frauen sind jedem Biathlon-Fan geläufig. In den letzten Jahren hatte sich im deutschen Team allerdings eine deutliche Abwärtsspirale abgezeichnet, was die Leistungen angeht. Dies konnte nur durch gelegentliche Überraschungserfolge etwas nach oben korrigiert werden, etwa durch den inzwischen zurückgetretenen Arnd Peiffer oder durch den nimmermüden Benedikt Doll sowie die Ende der vergangenen Saison ebenfalls in sportliche Rente gegangene Doppel-Weltmeisterin und Olympiasiegerin Denise Herrmann-Wick. Dennoch gibt es hierzulande weiterhin einen ziemlich stabilen Kern von Biathlon-Enthusiasten, der laut einer aktuellen Allensbach-Umfrage zahlenmäßig bei rund 7,3 Millionen eingeordnet werden kann. Kein Wunder daher, dass auch die anstehende Biathlon-Weltcup-Saison dank der beiden öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten sowie des Spartensenders Eurosport wieder komplett im Free-TV verfolgt werden kann.

Zum Weltcup-Auftakt geht es für die internationale Biathlon-Elite ins schwedische Östersund, wo vom 25. November bis zum 3. Dezember an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden gleich zehn Wettbewerbe ausgetragen werden. Insgesamt sieht der Terminplan der IBU für die Saison 2023/2024 bis zum Finale am 17. März 2024 neun Stationen mit 58 Wettkämpfen vor. Zusätzlich werden als Saison-Höhepunkt die Weltmeisterschaften im tschechischen Nove Mesto vom 7. bis zum 18. Februar 2024 über die Bühne gehen, wobei die dabei von den Athleten erzielten Ergebnisse wieder keinen Eingang in die Weltcup-Gesamtwertung finden werden. Im Anschluss an Östersund geht die Reise vom 8. bis zum 12. Dezember ins österreichisch Hochfilzen, danach in die Schweizerische Lenzerheide, wo vom 14. bis 17. Dezember der Biathlon-Zirkus erstmals zu Gast sein wird. Das neue Jahr beginnt dann gleich mit den beiden deutschen Zuschauermagneten Oberhof, vom 4. bis zum 7. Januar, und Ruhpolding, vom 10. bis zum 14. Januar. Im italienischen Rasen-Antholz können sich die Biathleten dann vom 18. bis 21. Januar gleich mal an die Höhenluft-Bedingungen herantasten, die sie auch bei den an gleicher Stelle ausgetragenen Olympischen Spielen 2026 vorfinden werden.
Oslo bildet vom 29. Februar bis zum 3. März das Ende der europäischen Stationen, bevor es nach Übersee geht, wo im US-amerikanischen Soldier Hollow vom 8. bis zum 10. März und im kanadischen Canmore vom 14. bis zum 17. März die letzten Saison-Wettbewerbe ausgetragen werden. Für den Sieg in einem Einzelwettkampf, in dem pro Nation maximal sechs Sportler an den Start gehen dürfen, können die Biathleten ein Preisgeld von 15.000 Euro einstreichen.
Große Mannschaft, wenig Startplätze
Vom deutschen Team dürfte in der Saison 2023/2024 kaum viel zu erwarten sein. „Für die Deutschen wird es wieder eine schwierige Saison“, so die Prognose der „Süddeutschen Zeitung“. „Ein Umbruch steht bevor, und die Talente sind rar.“ Beginnen wir mit den Männern, für die seit Mai der 56-jährige Slowene Uros Velepec als Cheftrainer verantwortlich zeichnet, der zuvor schon als Coach der slowenischen, finnischen und ukrainischen Männer-Nationalmannschaft tätig war. Velepec tritt fraglos ein schweres Amt als Nachfolger von Mark Kirchner an. Dieser hatte nach 13 Jahren nach dem desaströsen Abschneiden bei der Heim-WM in Oberhof 2023 seinen Rücktritt erklärt, als die Athleten erstmals seit 1969 keinen einzigen Podestplatz erringen konnten. Und Kirchner sollte möglichst schnell Erfolge liefern. Wobei er schon mal einen klaren Schwachpunkt bei seinen Schutzbefohlenen ausmachte, nämlich die im internationalen Vergleich viel zu lange Schießzeit: „Unsere Athleten brauchen zu lange, bis der erste Schuss abgegeben wird. Die Schießzeit muss besser werden. In diesem Bereich müssen alle besser werden. Nur so können wir mit der starken Konkurrenz aus Norwegen oder Frankreich mithalten.“

Zudem hat er sich frühzeitig auf zwei Team-Anführer festgelegt und damit für klare hierarchische Verhältnisse gesorgt: „Wir haben eine große Mannschaft. Zwei der sechs Startplätze für den Saisonstart sind vergeben. Benedikt Doll und Roman Rees sind unsere Teamleader. Dahinter ist alles offen“, betont Velepec. Doll, inzwischen 33 Jahre alt, wird nachgesagt, dass er seine Karriere wohl nach Ablauf der aktuellen Saison beenden wird. Immerhin konnte er in der Saison 2022/2023 einen Sieg erringen und als bester Nicht-Norweger im Gesamtweltcup den vierten Platz belegen. Der 30-jährige Roman Rees hatte es im gleichen Ranking immerhin auf den neunten Platz geschafft und gilt zudem als solider Top-Ten-Biathlet. Von daher lässt sich durchaus nachvollziehen, dass dieses Duo gesetzt wurde.
Wer neben diesen beiden Athleten für die restlichen vier Plätze im deutschen Team für den Weltcup-Auftakt in Östersund infrage kommt, wird erst unmittelbar vor dem Saisonstart nach internen Ausscheidungen und Trainerabwägungen entschieden werden. Letztlich geht es um sieben Biathleten: David Zobel, Johannes Kühn, Philipp Nawrath, Lucas Fratzscher, Philipp Horn, Justus Strelow und Simon Kaiser. An guten Tagen können Johannes Kühn, Justus Strelow, Philipp Nawrath oder David Zobel durchaus in die erweiterte Weltspitze laufen. Nur leider passiert das nicht allzu oft. Mit dem 24-jährigen Simon Kaiser, der im rheinland-pfälzischen Hunsrück-Dörfchen Höppstädten-Weiersbach im Kreis Birkenfeld geboren wurde, später dem TV Lebach beigetreten war und inzwischen in Oberhof lebt, taucht ein neues Gesicht im deutschen Team auf. Allerdings hat Velepec schon mal klar gemacht, dass sich auch die sechs Starter von Östersund nicht auf ihren Lorbeeren werden ausruhen können: „Wir wollen elastisch und dynamisch sein. Wenn jemand in den ersten Weltcups nicht das Niveau hat, dann können wir schon wechseln.“
Die „neue Magdalena Neuner“?
Bei den deutschen Damen hat der Rücktritt von Denise Herrmann-Wick natürlich eine riesige Lücke hinterlassen. Die wird Cheftrainer Kristian Mehringer wohl kaum schließen können. Auch er hat drei Athletinnen frühzeitig für Östersund gesetzt. Wobei die Nominierung der bald 26-jährigen Hanna Kebinger etwas überrascht hatte. Sie hatte erst 2022 ihr spätes Weltcup-Debüt gegeben, aber hatte bereits bei der WM in Oberhof 2023 zur Silberstaffel gehört. Die ebenfalls 26-jährige Sophia Schneider, ebenfalls an der Staffel-Silbermedaille beteiligt, muss beweisen, dass ihre drei Top-Ten-Platzierungen in der Weltcup-Saison 2022/2023 keine Eintagsfliegen gewesen sind. Ob die 26-jährige Vanessa Voigt nach einer komplett verkorksten Vorsaison noch einmal den Sprung zur Weltspitze schaffen kann, bleibt abzuwarten. Mit Anna Weidel, Janina Hettich-Walz, Juliane Frühwirt, Selina Grotian und Franziska Preuß kämpfen fünf weitere Damen um die restlichen drei Weltcup-Tickets. Wobei die Verantwortlichen die größten Hoffnungen auf die inzwischen 29-jährige Franziska Preuß setzen, die nach einer von Krankheiten und Verletzungen geprägten Seuchensaison ihr Comeback Richtung Weltspitze angehen möchte. Drei Titel bei den Deutschen Meisterschaften in Ruhpolding im September 2023 lassen hoffen. Doch noch mehr wird von Deutschlands wohl größtem Biathlon-Talent Selina Grotian erwartet, die in den Medien schon mal als „neue Magdalena Neuner“ gefeiert wurde. Vor allem im läuferischen Bereich kann die 19-Jährige, die bei der Junioren-WM 2023 vier Goldmedaillen gewinnen konnte, bereits mit der Weltcup-Elite mithalten. Warum ein solches Ausnahmetalent nicht automatisch für den Weltcup gesetzt wurde, lässt sich kaum nachvollziehen. „In einem Alter, in dem andere schon Weltcup-Siege feiern, führt man den Nachwuchs in Deutschland erst an die erste Liga heran“, wie die „Süddeutsche Zeitung“ einst zu Recht kritisiert hatte.

In den Kampf um den Gesamtweltcup-Sieg wird kein Athlet und keine Biathletin aus Deutschland eingreifen können. Bei den Männern wird wieder kein Weg am Norweger Johannes Thingnes Bø vorbeiführen. In der vergangenen Saison konnte er lediglich von seinen Landsmännern Sturla Holm Laegreid und Vetle Sjastaad Christiansen etwas bedrängt werden, auch wenn Bø mit 16 Siegen in 21 Rennen natürlich eine megastarke Duftmarke gesetzt hatte. Die zuletzt schwächelnden Franzosen um Quentin Fillon Maillet und Émilien Jacquelin dürften auf Wiedergutmachung aus sein. Auch den Schweden rund um Sebastian Samuelsson und Martin Ponsiluoma ist der eine oder andere Saisonsieg zuzutrauen. Bei den Damen ging es schon in der Vorsaison im Kampf um die Biathlon-Krone zwischen der französischen Siegerin Julia Simon und den beiden Italienerinnen Dorothea Wierer und Lisa Vittozzi bis zum Finale sehr eng zur Sache. Doch bei den Damen kommen noch andere Athletinnen für den Weltcup-Gesamtsieg infrage, beispielsweise die beiden Schwedinnen Hanna und Elvira Oeberg, die Französin Justine Braisaz-Bouchet oder die Norwegerin Ingrid Landmark Tandrevold.