Die Ampel muss in Zeiten der Kriege neue Prioritäten im Haushalt setzen
Als sich die Ampelkoalition im Dezember 2021 formierte, ging ein erwartungsvolles Raunen durch die Republik. Von einem politisch interessanten Experiment, das eine neue Dynamik erzeugen könnte, war die Rede. Die Grünen als Schrittmacher der ökologischen Transformation, die FDP als Garant der Haushaltsstabilität, die SPD als Bannerträgerin der Sozialpolitik: Das klang nach einem reizvollen Mix, zumal ein politischer Kaltblütler wie Olaf Scholz den Ober-Moderator gab. Das durch die matten Groko-Jahre ermüdete Land könnte so revitalisiert werden, glaubten viele.
Die Hoffnung erwies sich als trügerisch. Von der selbsterklärten „Fortschrittskoalition“ ist nicht viel übrig geblieben. Das Bundesverfassungsgericht zeigte der Dreier-Allianz zweimal die rote Karte. Im Juli stoppten die Karlsruher Richter das handwerklich schlecht gemachte Heizungsgesetz. Im November kippte die Kammer das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021. Die Pläne von Scholz & Co., 60 Milliarden Euro aus dem Topf zur Bekämpfung der Corona-Krise einfach in einen Klima- und Transformationsfonds umzuschichten, waren plötzlich Makulatur.
Die Schockwellen des Urteils sorgten in Berlin für kräftigen Wirbel: Das Bundesfinanzministerium sperrte Teile des Haushalts 2023. Zahlungsverpflichtungen für die Zukunft aus diesem Etat sind geblockt.
Es ist ein schwerer Dämpfer für die Ausgabenpolitik à la carte, die die Ampel zum neuen Modus erhoben hatte. Die einen träumten von einer Kaskade der Sondervermögen am regulären Budget vorbei – getreu dem Vorbild des nach dem Beginn des Ukraine-Krieges aufgelegten Finanzinstruments für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro. Die anderen warben vehement für eine Aufweichung der Schuldenbremse. Sie ist im Grundgesetz verankert und sieht Ausnahmen nur bei wirtschaftlichen Depressionen, Naturkatastrophen und Kriegszuständen vor.
Wohlgemerkt: In der Corona-Pandemie, die die Lieferketten weltweit unterbrochen und die Konjunktur in Deutschland heftig nach unten gerissen hatte, musste die Regierung handeln. Die milliardenschweren Hilfen für Unternehmen und Verbraucher waren berechtigt – als Notfallmaßnahme.
Staatliche Investitionen in Bildung, Infrastruktur oder Digitalisierung sind zwar wichtig, sollten aber nicht mit der großen Gießkanne auf Pump beglichen werden. Die Defizite von heute sind die finanziellen Bleigewichte für die künftigen Generationen.
Allein der Bund muss in diesem Jahr fast 30 Milliarden Euro für Zins und Tilgung von Staatsschulden berappen.
Ja, es stimmt: Die Ampelkoalition bewegt sich in einem Umfeld multipler Krisen. Zwischen den Kriegen in der Ukraine und im Gazastreifen, den hohen Energiepreisen und den Unsicherheiten rund um die US-Präsidentschaftswahl in knapp einem Jahr wird der Balanceakt immer schwieriger. Darin steckt aber auch eine Chance. Die Regierung muss ihre Etats umschichten und neue Prioritäten setzen. Teure Sozialprogramm gehören auf den Prüfstand. So passt die abschlagsfreie Rente mit 63 angesichts des immer gravierender werdenden Fachkräftemangels nicht in die Landschaft.
Seit vielen Jahren doktert die Bundesregierung am immer teureren Rentensystem herum. Regelmäßig machen Horror-Szenarien über die „Rente mit 70“ die Runde. Eine Lösung könnte ganz anders aussehen. Anstatt jedes Jahr über 100 Milliarden Euro Staatszuschuss in den Topf für die Altersbezüge zu buttern, sollte die Finanzierung auf mehrere Beine gestellt werden. Ein Blick nach Österreich lohnt. Dort zahlen alle – auch Selbstständige und zunehmend auch Beamte – in die Rentenkasse ein. Ergebnis: Die Ruhestandsgelder sind deutlich höher als in Deutschland.
Die Ampel muss sich auf einen neuen Kompass in Zeiten von Krisen und Kriegen einigen. Sie sollte eine Reformagenda erstellen – Was brauchen wir? Was ist verzichtbar? –, die finanzierbar ist. Die Wirtschaft benötigt Investitionsanreize, denn der Staat kann nicht alles machen.
Für die Regierung sind die nächsten Monate eine Bewährungsfrist. Nutzt sie diese, kann sie sich neue Akzeptanz bei den Bürgern verschaffen. Gelingt ihr das nicht, wird sie bei der Europawahl im Juni 2024 sowie bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September die Quittung erhalten. Es wäre der Beginn einer rasanten Talfahrt.