Der britische Filmemacher Ridley Scott hat Filmgeschichte geschrieben. Streifen wie „Blade Runner“, „Alien“, „Thelma & Louise“ und „Gladiator“ hat er zu Pop-Kultur-Phänomenen gemacht. Jetzt liefert er mit dem Historienepos „Napoleon“ sein Opus magnum ab.
Viele große Regisseure, die zu Beginn ihrer Karriere aufsehenerregend gute Filme gemacht haben und ihre Meisterschaft auch noch viele weitere Jahre unter Beweis stellen konnten, verloren im Alter nach und nach ihre künstlerische Potenz. Nicht so Ridley Scott, der mit stolzen 87 Jahren mit „Napoleon“ (ab 23. November im Kino; siehe auch Filmtipp Seite 84) ein monumentales Biopic abliefert, das einen mitreißt und von der ersten bis zur letzten der 157 Minuten hervorragend unterhält.
Wie wohl keinem Zweiten gelingt es Ridley Scott, faszinierende Schlachten-Tableaus, atemberaubende Science-Fiction-Panoramen, grandiose Abenteuer-Bilderbögen und packende Action-Sequenzen mit scheinbar leichter Hand auf die Kinoleinwand zu zaubern, ohne dabei die psychologischen Beweggründe seiner Protagonisten zu vernachlässigen. Im Gegenteil: Die Charakterzeichnungen sind immer durchdacht und subtil, manchmal rätselhaft und oft sogar spektakulär.
Arbeitete 15 Jahre als Werbefilmer
Schon zu Beginn seiner Karriere als Filmemacher drehte Ridley Scott zwei Meilensteine: „Alien“ (1979) und „Blade Runner“ (1982). Vor allem die virtuose Verfilmung von Philip K. Dicks Roman „Do Androids Dream of Electric Sheep“ gilt bis heute als Blaupause für Science-Fiction-Filme. „Als Filmemacher muss man eine Vision haben. Und man muss Bilder sehen, Bilder, mit denen man die Geschichte, die man erzählen will, darstellen kann. Das ist es doch, was einen guten Regisseur ausmacht: das Bildermachen. Deshalb zeichne ich bei jedem meiner Filme – bis heute – zuerst einmal das Storyboard. Ich komme ja eigentlich von der Malerei, war früher selbst Maler und meine Fantasie wird seit jeher sehr stark von Bildern, Farben und Szenarien beflügelt“, meint Ridley Scott.
Viele halten ihn für einen Amerikaner, doch Ridley Scott ist tatsächlich Brite. Geboren in South Shields, in der Nähe von Newcastle, hat er am Royal College of Art in London Film studiert, bevor er als Set-Designer bei der BBC arbeitete. In den 60er-Jahren filmte er TV-Shows ab. Dann machte er Werbefilme. Ridley Scott erinnert sich: „Das war die beste Filmschule, die ich mir vorstellen konnte. Als Werbefilmer habe ich gelernt, auf die Sekunde genau zu arbeiten. 15 Jahre Werbefilm-Praxis – das ist unschlagbar. Nach schätzungsweise 2.500 Werbefilmen war ich schließlich in der Lage, die Signifikanz von Dingen besser zu erkennen. Ganz abgesehen davon konnte ich auch sehr gute Kontakte zu Autoren, Beleuchtern, Cuttern und Kameramännern knüpfen, von denen ich später sehr profitiert habe. Meinen ersten Film, ‚Die Duellisten‘, hätte ich ohne diese Erfahrungen niemals machen können.“
Das Historiendrama „Die Duellisten“ ist ein brillant inszeniertes FilmÂ-Essay über Besessenheit, Ehre und Gewalt. 1977 wurde es auf den Filmfestspielen in Cannes als bester Debütfilm ausgezeichnet. Es dauerte nicht lange, da wurden die Talent-Scouts in Hollywood auf Ridley Scott aufmerksam und holten ihn in die Traumfabrik, wo er seitdem die meisten seiner Filme realisierte. Dabei ließ er sich nie auf ein bestimmtes Genre festlegen. So drehte er mit Michael Douglas den Action-Thriller „Black Rain“ (1989), das Roadmovie „Thelma & Louise“ (1991) mit Susan Sarandon und Geena Davis, „1492 – Die Eroberung des Paradieses“ (1992) mit Gérard Depardieu als Christoph Kolumbus und natürlich „Gladiator“ (2000) mit Russell Crowe. Dieses epische Meisterwerk wurde mit fünf Oscars prämiert, darunter auch als Bester Film. Mit „Gladiator“ hat Ridley Scott nicht nur das ausgelutschte Historien-Film-Genre virtuos reanimiert, sondern auch viele Nachfolger auf den Plan gerufen, die es ihm gleichtun wollten. Erreicht hat ihn niemand.
„Natürlich habe ich bei meinen großen Historiendramen auch Fakten und Fiktion vermischt. Das hat vor allem dramaturgische Gründe. So kann man zum Beispiel Zeitabläufe sehr effektvoll raffen. Vieles ist aber historisch absolut stimmig. Ganz abgesehen davon will ich mit meinen Filmen ja auch Fantasiewelten erschaffen. Ich bin schließlich kein Dokumentarfilmer. Wichtig ist nur, die richtige Balance zu halten. Und das lehrt einen die Erfahrung. Ein guter Regisseur analysiert sich ständig selbst, während er an einem Film arbeitet. Natürlich ist in solchen Filmen der Inhalt wichtiger als die Spezialeffekte; die Charaktere sind wichtiger als die Schlachten. Und vergessen wir die Schauspieler nicht! Sehr oft sind sie für das Gelingen eines Films von entscheidender Bedeutung.“
„Ich bin nie wirklich abgestürzt“
Also ist es nicht verwunderlich, dass Ridley Scott seinen Napoleon mit dem hervorragenden US-Schauspieler Joaquin Phoenix besetzte, der schon in „Gladiator“ als unheimlicher Kaiser Commodus dem heldenhaften Russell Crowe als einziger Paroli bieten konnte.
Nach vielen sehr unterschiedlichen Filmen – „ich habe nun einmal einen sehr eklektischen Geschmack und bin zum Glück in der Lage, mir meine Projekte selbst aussuchen zu können“ – wandte sich Ridley Scott mit „Prometheus – Dunkle Zeichen“ (2012) und „Alien: Covenant“ wieder der „Alien“-Saga zu. „Diese Thematik scheint mich auch nach all den Jahren nicht wirklich loszulassen“, verriet er in einem Interview im Berliner „Hotel de Rome“. „Dafür habe ich mindestens drei, vier Drehbücher in der Schublade.“
Ridley Scott ist sichtlich stolz darauf, dass er den Balanceakt zwischen Kunst und Kommerz in den letzten 40 Jahren ohne große Blessuren überstanden hat. „Zumindest bin ich nie wirklich ab-gestürzt“, meint er lächelnd. „Und das ist gar nicht so selbstverständlich, denn Ende der 70er-Jahre ging leider der Stern des New-Hollywood-Kinos langsam unter, das uns viele großartige Filme beschert hat. Martin Scorsese war wohl einer der letzten, der es noch schaffte, in seine Filme die Kunst mit einzubauen. In dieser Zeit des Umbruchs kam dann Steven Spielberg mit seinen Filmen. ‚Der weiße Hai‘ hat da sicher eine Marke gesetzt. Obwohl ich sagen muss, dass Spielbergs Filme zwar immer sehr kommerziell sind, meist aber auch einen künstlerischen Anspruch haben. Ich sehe mich da übrigens in derselben Kategorie. Ich hoffe doch sehr, dass ich Filme mache, die unterhalten und intelligent sind.“
Dass Ridley Scott diesem Credo voll und ganz genügt, konnte man auch vor zwei Jahren in seinem Ritter-Film „The Last Duel“ sehen. In diesem Drama geht es ebenfalls in erster Linie nicht um Showeffekte, sondern um das seelische Dilemma einer verheirateten Frau (gespielt von Jodie Comer, bekannt aus der TV-Serie „Killing Eve“), die von einem Freund der Familie vergewaltigt wird. Das (historisch verbürgte) Duell, das sich die beiden Rivalen (Matt Damon und Adam Driver) liefern, ist in seiner fürchterlichen Wucht und bluttriefenden Brutalität ziemlich einzigartig. Und natürlich brillant inszeniert. So schnell wird sich wohl kein anderer Regisseur trauen, zwei Ritter dermaßen erbarmungslos aufeinander einschlagen zu lassen. Und dass der große Stilist, Visualist und Geschichtenerzähler Ridley Scott nächstes Jahr mit „Gladiator II“ ins Kino kommt, darauf kann man sich jetzt schon freuen.