Dass Bäume sterben, ist üblich – wie viele derzeit sterben, nicht. Ob Fichte, Buche oder Eiche – sie leiden unter der Hitze und Dürre der vergangenen Sommer. Ein Wald in Rheinland-Pfalz will dem Klimawandel trotzen.
Zwischen einer kniehohen Zeder und kleinen Roteiche steht Franz Straubinger und knickt die Äste einer Birke um. Die Birken wachsen schnell und nehmen den anderen Baumzöglingen Licht und Platz weg. Also müssen sie weichen. Straubinger will verhindern, dass die Birken alles verdrängen. Hier soll eine Vielfalt an Bäumen stehen – einheimische Arten, aber auch Bäume, die in trockenen Regionen wie den Rocky Mountains oder am Mittelmeer vorkommen.
Straubinger ist Förster der Hatzfeldtschen Wälder in Wissen, Rheinland-Pfalz. Sein Chef und Waldbesitzer Hermann Graf von Hatzfeldt gilt als Vordenker der Ökobewegung. Nachdem heftige Stürme in den frühen 90er-Jahren über 300.000 Fichten zerstört hatten, begann der Graf Wälder aufzubauen, die den Stürmen und anderen Wetterkatastrophen standhalten sollten. Jetzt testen sie ganz konkret, welche Bäume gut mit dem wandelnden Klima, mit Hitze und Trockenheit, zurechtkommen. „Freilandlaboratorium“ nennt Straubinger das Feld, auf dem er gerade die Birke umgeknickt hat.
Vier von fünf Bäumen sind krank
Die Wälder in Deutschland sind angeschlagen. Seit 2018 gab es jedes Jahr, bis auf dieses Jahr, eine Dürre. Die Bäume vertrocknen. Der Borkenkäfer und andere Schädlinge setzen ihnen zusätzlich zu. Vier von fünf Bäumen sind krank, ergab eine Untersuchung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Und auch hier im Hatzfeldtschen Wald sieht man die Folgen des Klimawandels. Vor allem alte Bäume sind betroffen. Auf einem Rundgang durch den 7.000 Hektar großen Wald zeigt Straubinger auf zwei riesige, etwa 250 Jahre alte Eichen mit dicken Baumstämmen. „Das sind Bäume für die Ewigkeit, aber ich weiß nicht, wie lange die Ewigkeit noch geht“, sagt er. Aus der Baumkrone ragen einzelne Äste, die Blätter haben sich zurückgezogen – ein Zeichen, dass die Bäume leiden.
Ein paar Hundert Meter weiter stehen 30, 40 Meter hohe Buchen an einem Hang, alle tot, alle vertrocknet. Dieses Stückchen Wald ist seit 50 Jahren stillgelegt. Das heißt, es wurde komplett der Natur überlassen. „Schauen Sie sich das Elend hier an“, sagt Straubinger. „Der Tod gehört zum Waldwesen. Uns stört nicht, dass Bäume sterben, sondern dass aktuell so viele so rasch sterben.“ Der Wanderweg, der durch dieses Stück Wald führt, ist gesperrt. Zu groß ist die Gefahr von umstürzenden Bäumen. Der Weg wird vermutlich noch einige Jahre nicht betretbar sein, bis alle abgestorbenen Buchen gefallen sind.
Jetzt führt Straubinger in den „Dauerwald“. Hier wird seit 30 Jahren die Philosophie des Grafen von Hatzfeldt umgesetzt. Es gibt Bäume jeden Alters, jeder Größe. Zwischen hohen, alten Eichen und Buchen wachsen junge Vogelkirschen, Esskastanien und Tannen. Größtenteils hat sich der Wald selbst ausgesät. Einige Bäume wurden bewusst gepflanzt, oft neben oder auf alten Baumstümpfen. Der verrottende Stamm gibt nützliche Nährstoffe weiter. Andere Bäume werden gestutzt, damit kleinere Bäume Licht und Regen abbekommen. „Es ist immer ein Abwägen. Welcher Baum braucht unsere Hilfe, um groß zu werden? Da gestalten wir dann“, sagt Straubinger. Natur mit Unterstützung, nennt er das. Zwischen den Bäumen wachsen Gräser, Himbeeren und Brombeeren für die Insekten, die wiederum Nahrung für Vögel und Fledermäuse liefern. Sollten die alten Bäume krank werden oder absterben, steht die nächste Generation bereit.
„Wir Waldbesitzer alleine können den Wald nicht retten“
Ist eine bunte Mischung an Baumarten, Alter und Struktur also die Lösung, um Wälder fit für den Klimawandel zu machen? Ja, sagt Straubinger. Und die Jagd. Rehe und Hirsche lieben die Knospen junger Bäume und machen sie kaputt. So kann sich der Wald nicht verjüngen. In den Hatzfeldtschen Wäldern wird deshalb die Zahl der Rehe und Hirsche kleingehalten. Hier wird mehr Wild als in manch anderen Wäldern geschossen, das Fleisch zum Verkauf angeboten. „Wir sind nicht gegen Rehe. Doch zu viele Rehe sind des Mischwaldes Tod“, sagt er.
Die Natur ist aus dem Gleichgewicht geraten. Rehe und Hirsche können sich schnell vermehren, da es keine regulierenden kalten Winter mehr gibt und keine natürlichen Feinde – außer dem Menschen. Zäune und Hüllen würden zwar einzelne Bäume vor Verbiss schützen, aber das würde das Problem nur verlagern, sagt Straubinger. Die Rehe und Hirsche suchen dann woanders nach Knospen.
Der Wald rund um Wissen ist dank jahrzehntelangem Umbau vergleichsweise intakt. Doch Straubinger warnt: Der Tanne, Zeder, Roteiche und Kirsche gehe es heute gut. Aber ob das in 20 Jahren immer noch der Fall sein wird? Das wisse er nicht. Die Hitze und Trockenheit der vergangenen Jahre sind erst der Anfang. Solange Erdöl, Gas und Kohle verbrannt werden, steigt die globale Temperatur. Extremwetterereignisse wie Dürren, Hitzewellen und Stürme werden häufiger auftreten. Am Ende des Waldbesuchs ist es Straubinger deshalb wichtig zu betonen: „Wir Waldbesitzer und Förster alleine können den Wald nicht retten“, sagt er. „Es braucht eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung. Wir müssen den Klimawandel stoppen.“