Der multikulturell geprägte Kiez am Hermannplatz ist um ein kleines kulinarisches Juwel reicher: Die neue französische Bäckerei „Boutique de La Maison“ verwöhnt ihre Kundschaft mit authentischem Gebäck und filigranen Tartes aus der Grande Nation.
Die Urbanstraße nahe dem Hermannplatz ist ein eher unwirtlicher Ort. Besonders in der dunklen Jahreszeit. Doch kaum, dass ich an einem verregneten Novembermorgen die „Boutique de La Maison“ betrete, bin ich in einer anderen Welt. Es duftet nach frisch gebackenen Croissants und Kaffee. Die Bäckerei ist in helles, warmweißes Halogenlicht getaucht. Mein Blick wird wie magisch angezogen von einer beeindruckenden, zwölf Meter langen Glastheke.
Dahinter liegen diverse französische Köstlichkeiten verführerisch nebeneinander – von Pain au chocolat über Tartelette au citron bis hin zur Zimtschnecke. Eine der freundlichen Damen hinter der Vitrine trägt eine schwarze Baskenmütze und ich höre, wie sich hinter mir ein Paar auf Französisch unterhält. Gefühlt bin ich binnen weniger Sekunden vom herbstlich-kalten Neukölln an die Côte d’Azur gereist – oder zumindest schon mal nach Paris, Nantes oder Lyon. Joie de vivre mitten in Berlin.
Die Studienjahre im zentralfranzösischen Lyon waren es auch, die den Gründer der „Boutique de La Maison“ auf den Geschmack gebracht haben. Ursprünglich in Frankfurt am Main aufgewachsen, ging Andreas Altmeyer zunächst in die USA und dann nach Frankreich. Wieder in Deutschland brachte der heute 40-Jährige ein Faible mit für französische Backkunst und Pâtisserie. An Berlin interessierte ihn die wiedererwachte Kaffeekultur mit ihren vielen kleinen Röstereien. Der ehemalige Philosophie- und Politologiestudent wollte den guten Berliner Kaffee mit französischer Backkunst verbinden.
Helle Hochtische und bequeme Barhocker
Und so gründete er – damals noch gemeinsam mit einem zweiten Geschäftspartner – das Café „La Maison“ am Paul-Lincke-Ufer. Das war im Jahr 2019. Zwischenzeitlich haben sich die Wege der beiden Entrepreneure getrennt, und seitdem betreibt Andreas Altmeyer seine Kreuzberger Location in Eigenregie. Vor wenigen Wochen nun hat das Café Nachwuchs in Form einer eigenen Bäckerei bekommen. Und so öffnete die gut duftende „Boutique“ am 3. Oktober ihre Türen.
Rein optisch hat die Berliner Boulangerie nicht so viel mit der Location am Paul-Lincke-Ufer gemein, die kaffeehaustypisch eher durch ein gemütliches Ambiente gekennzeichnet ist. Die neue Bäckerei indes hat einen L-förmigen, großen, luftigen Geschäftsraum mit weiß verputzten Wänden und hellem Betonboden. Die Gestaltung ist ausdrücklich minimalistisch. Ein wenig Platz zum Verweilen und für den Kaffeeplausch im Sitzen gibt es dennoch: in Form von hellen Hochtischen und Barhockern.
„Wir wollten unsere schönen Produkte besser ausstellen“, erläutert der Gastronomie-Unternehmer das Konzept. Die Fokussierung ist dem frankophilen Gründer gelungen. Augenfällig ist auch die Präsentation der zahlreichen Küchlein, Tartes und Croissants, die die Kundinnen und Kunden hinter Glas begehren und bestaunen können. Hier sind die süßen Sünden auf einer niedrigeren Präsentierfläche als üblich platziert. Das hat einen direkten Einfluss auf den Blickwinkel seiner Betrachter. Aus der Weitwinkelperspektive wirken die kleinen Köstlichkeiten einfach noch verführerischer, als sie es ohnehin schon sind.
Doch bevor wir weiter in die Tiefen der angewandten Optik einsteigen, gießt uns Andreas Altmeyer nach dem ersten Cappuccino noch ein Tässchen hausgefilterten Koromii-Kaffee ein. Die Bohnen kommen frisch von der Berliner Rösterei Vote Coffee. Der begleitende italienische Fotograf und ich sind zunächst skeptisch. Warum Filterkaffee trinken, wenn nach jahrelangen Selbstversuchen die Espressomaschine bisher stets das bessere Aroma hervorgebracht hat? Doch der Chef des Hauses schafft es, uns aus unserer Komfortzone zu bringen. Was soll ich sagen? Es hat sich gelohnt. „Das hätte ich jetzt nicht gedacht“, äußert auch mein italienischer Kollege voller Anerkennung. Auch ich bin begeistert von der weichen, fruchtigen Note des äthiopischen Kaffees. Wie gut, öfter mal etwas Neues auszuprobieren.
Großkunden in Berlin werden beliefert
Nach dem kräftigenden Kaffee geht es für uns beide in die hauseigene, 200 Quadratmeter große Backstube nebenan. Seit vier Jahren steht sie unter der Leitung des französischen Chef-Bäckers Bérenger Hibou. Überhaupt sind die Bäcker und Pâtissiers des Unternehmens entweder selbst Franzosen oder sind „durch französische Backschulen gegangen“, wie der Gründer sagt. Die hauseigene Produktionsstätte ist auch für das Café am Paul-Lincke-Ufer zuständig und beliefert zudem einige Großkunden in der Stadt. „Französische Backwaren haben eine außergewöhnliche Qualität, das ist eine andere Herangehensweise als in Deutschland“, weiß der Wahl-Berliner.
Beispielsweise gebe es ein Reinheitsgebot für die Herstellung von Baguette. „Das französische Mehl wird anders geschrotet“, sagt er. „Durch das andere Mehl und vor allem durch das andersartige Falten und Kneten wird der französische Baguetteteig dann anders als deutscher Brotteig.“ Der Teig bekommt mehr Luftblasen und das fertig gebackene Stangenbrot schmeckt fluffiger. Auch wird für das Pain de tradition ein ganz spezielles Mehl verwendet, das sogenannte T65er Mehl. „Wir legen viel Wert auf regionale Produkte, aber dieses Mehl lassen wir uns tatsächlich aus Frankreich anliefern, weil es das in Deutschland nicht gibt.“
In der Backstube dürfen wir zuschauen, wie schnell und behände Bäcker Noé Morandi Dutzenden von Baguettes den letzten Schliff gibt. Dann schiebt er die noch rohen Brote auf einer unendlich lang erscheinenden Schiene in den großen Ofen. Schwups. Die Ofentür fällt geräuschvoll ins Schloss. Zeitgleich wird im Raum nebenan der Teig für die Croissants geschnitten und gefaltet. Einer der Bäcker hält ein Lineal auf den ausgerollten Teig. Dann setzt er das Cutter-Messer an und schneidet den Teig entlang des Lineals ganz präzise in dreieckige Teile. Am Ende unserer kleinen Tour können wir noch einem der Pâtissiers über die Schulter gucken. Hochkonzentriert gibt er gerade ein paar Chouquettes ihr letztes Finetuning.
Zurück in der Boutique, kosten wir auch schon von den kleinen zarten Teigbällchen. Von ihrer Textur her erinnern sie an kleine Windbeutel, sind aber weniger süß. Süßer hingegen, aber nicht überzuckert, schmecken die verschiedenen Teilchen mit Mandeln, die uns Andreas Altmeyer kredenzt. Das erste ist ein Blätterteigröllchen, das außen mit blauschwarzen Mohnsamen verziert ist und von innen heraus durch seine cremige Marzipanfüllung überzeugt. Amuse-Gueule Nummer zwei ist ein doppelt gebackenes Croissant mit einer Füllung aus gerösteten Mandeln. Das Ensemble schmeckt erstaunlich haselnussig, doch Andreas Altmeyer versichert uns, dass das Blätterteiggebäck nur Mandeln enthalte.
„Das ist die Bäckerei meines Herzens“
Der nächste Gaumenkitzel ist ein saftig-aromatischer Financier aus Mandeln und Pistazien. Wie gut, dass wir uns vorher nicht für eine der drei Mandelkreationen entscheiden mussten. Denn eine ist köstlicher als die andere. Endgültig im Himmel der Aromen angelangt bin ich nach dem ersten Biss in einen Kouign-amann. Das bretonische Gebäck mit karamellisierter Butter ist ein absoluter Gaumenschmeichler. Dabei kommen an der Urbanstraße 70A durchaus auch Gourmets veganer und glutenfreier Backwaren auf ihre Kosten. So gibt es etwa eine glutenfreie Tarte mit Pekannüssen und diverse Blätterteigspezialitäten, die wahlweise auch ohne Butter goutiert werden können.
Dazu zählen zum Beispiel die Croissants oder das Pain au chocolat. Wer eher einen herzhaften Snack mag, ist gut versorgt mit den verschiedenen herzhaft belegten Sandwiches und Croissants. Oder man nimmt einfach eines der vielen hausgemachten Sauerteigbrote, Brötchen oder Blätterteiggebäcke mit nach Hause und belegt sie dort nach eigenem Gusto.
Unter den Baguettes kann man wählen zwischen einem Baguette tradition, einem Baguette aux céréales oder dem etwas krosseren Baguette Campagne. Ich selbst genieße erst einmal eine Scheibe des körnigen, hocharomatischen Danish Bread mit Mohn, Kürbis und Hafer. Noch am selben Abend treffe ich zufällig eine Bekannte, die mir von den fabelhaften Baguettes an der Urbanstraße vorschwärmt. „Das ist die Bäckerei meines Herzens“, sagt sie zu mir. „Das kannst du gerne so schreiben.“