Wer auf die Malediven reist, muss erst einmal runterkommen. Dann wird aus Entschleunigung wahrer Genuss. Besonders gut gelingt dies auf der Insel Kanifushi. Fast genauso schön, aber viel preiswerter, ist Sangeli Island.
Juanita ist ein echter Star auf den Malediven und längst über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Die junge Frau hat nicht nur eine beachtliche Fangemeinde auf Instagram und Facebook. Nein, aus aller Welt kommen mittlerweile Urlauber auf die Winzlingsinsel Naifaru ins entlegene Lhaviyani-Atoll, nur um sie ein einziges Mal leibhaftig zu erleben und vielleicht sogar ein Selfie mit ihr schießen zu können. Dabei gilt Juanita als ausgesprochen scheu, lebt in recht bescheidenen Verhältnissen und auch einen Schönheitswettbewerb würde sie wohl eher nicht gewinnen. Sie schielt ein wenig. Nun liegt Schönheit ja bekanntlich im Auge des Betrachters, aber einen handfesten Makel hat das Objekt der Begierde dann doch. Und grade dieser katapultiert Juanita in die Herzen ihrer Fans: Ihr fehlt der rechte Arm. Beim Tauchen verfing sie sich in einem Geisternetz und beim verzweifelten Versuch sich zu befreien, schnitt sich das herrenlose Fischernetz bis auf den blanken Oberarmknochen ins Fleisch. Dann beim panischen Auftauchen ein Lungenriss. Juanitas Schicksal schien besiegelt.
Reha-Zentrum für Schildkröten
Doch die Grüne Meeresschildkröte hatte wohl mindestens einen Schutzengel. In letzter Minute zog sie ein Fischer aus dem Wasser und brachte die schwer verletzte Suppenschildkröte – so der profane volkstümliche Name – nicht etwa in die heimische Küche, sondern ins nahe gelegene Atoll Marine Center, einer Art Schildkröten-Reha. Dort wird sie nun wieder aufgepäppelt und wenn alles gut läuft, kann Juanita irgendwann wieder in die Freiheit entlassen werden. Bis dahin wird jedoch noch etwas Zeit vergehen und so manch ein Tourist von der benachbarten Insel Kanifushi, das grade zum besten Familienresort der Malediven gekürt wurde, kann Zeuge dieses tierischen Schicksals werden.
Und vom Engagement der Menschen, die wiedergutzumachen versuchen, was andere leichtfertig verursacht haben. „Gerade für Kinder ist der Besuch des Atoll Marine Centers ganz großes Kino“, erklärt Kanifushi Guest Relation Managerin Darrine I-gie. „Die Kleinen zeigen große Empathie und lernen, wie verletzlich der Lebensraum Meer und seine Bewohner sind. Außerdem hilft jedes verkaufte Ticket, den Fortbestand des Zentrums zu sichern.“
Wie fragil das Ökosystem ist, wird spätestens bei einem Tauchgang offensichtlich. Zwar zählt das abgelegene Lhaviyani-Atoll zu den fischreichsten Gegenden der Malediven und Begegnungen mit Grünen Meeresschildkröten, zentnerschweren Zackenbarschen, patroullierenden Grauen Riffhaien und ganzen Schulen von Mantas sind fast garantiert, aber die letzte verheerende Korallenbleiche von 2016 ist leider noch immer allgegenwärtig. Trotzdem zählt ein Strömungstauchgang in einem der Kandus, der fischreichen tieferen Kanäle zwischen Lagune und Außenriff, sicher zu den absoluten Höhepunkten eines jeden Maledivenaufenthalts. Ganz langsam regenerieren sich inzwischen auch die Korallengärten wieder und die Touristenresorts tragen mit ihren Aufzuchtprogrammen einen kleinen Teil dazu bei.
Nun ist nicht jeder Maledivenurlauber auch Taucher. Macht gar nichts, geht es doch eigentlich um Entschleunigung, um süßes Nichtstun. „Genau das fällt gestressten Besuchern aus Übersee oft richtig schwer“, weiß Jorge Amaro zu berichten. Er managt das familiäre und preiswertere „Oblu Select Resort“ auf der Insel Sangeli im Kaafu Atoll. „Zu Hause sind unsere Gäste oft bis auf die letzte Minute durchgetaktet.“ Der charismatische Portugiese mit markanter Telly-Savalas-Glatze weiß, wovon er spricht. „Wann immer es geht, begrüße ich jeden Einzelnen bei der Ankunft am Jetty persönlich. Und in meinem Hinterstübchen gebe ich für jeden einzelnen Gast eine Prognose ab, wie lange es dauern wird, bis er wirklich angekommen ist auf der Insel. Meist dauert es zwei, drei Tage.“
Ins warme türkisfarbene Meer
Ein paar ganz wenige würden es allerdings nie schaffen. Schwer vorzustellen, denn das eingespielte Team aus über 30 Nationen macht es einem schier unmöglich, sich nicht ganz schnell wie ein Familienmitglied irgendwo auf Wolke sieben ziemlich nah dran am Paradies zu fühlen. Und dort gibt es bekanntlich keine stressigen Terminpläne.
Den Rhythmus auf Sangeli bestimmt Mutter Natur. Wenn die aufgehende Sonne den neuen Tag einläutet, duftet es schon verführerisch nach frischem Kaffee, Croissants und schier Tausenden anderer Leckereien im „Courtyard Restaurant“ direkt am Puderzucker-Strand. Wie wäre es denn zum Beispiel mal mit einem einheimischen Korianderblätter-Salat oder maledivischen Kopee Leaves, die an einen Mix aus Weißkohl und Spinat erinnern? Oder mit knusprig gerösteten Drumstick-Blättern vom Meerrettichbaum, in Deutschland für teures Geld als Moringa-Superfood zu haben.
Nach dem Frühstück wartet auch schon der Strand mit seinem badewasserwarmen türkisfarbenen Meer oder der hauseigene Swimmingpool, oder die Hängematte oder oder oder. Bis es gegen Mittag schon wieder verführerisch duftet. Und nachmittags? Massage, Strand, Hängematte. Oder vielleicht doch eine kleine Bootstour auf einem maledivischen Dhoni zu den Delfinen im Revier? Auf jeden Fall noch ein paar Fotos für die darbenden Freunde daheim.
Spätestens kurz bevor die glutrote Sonne im Indischen Ozean versinkt und die tropische Nacht ankündigt, muss man sich dann doch noch einmal bewegen. Und zwar zum chilligen Sundowner. Den zelebriert man bevorzugt in „The Rock“, einer Strandbar in einem offenen Turm mit atemberaubendem Blick auf das Weltmeer. Dann öffnen auch schon die Spezialitätenrestaurants „Simply Veg“, „Courtyard“ und „Just Grill“.
Geboten werden neben internationalen auch lokale Gaumenfreuden. Letztere sind überraschend vielfältig für ein kleines Land mit gerade mal 400.000 Einwohnern und einer Fläche von der Größe Leipzigs, verteilt auf 1.196 Miniatur-Inseln, auf denen nennenswerte Landwirtschaft kaum betrieben werden kann. Dafür wird die maledivische Küche naturgemäß von Fisch und anderem Meeresgetier dominiert.
Nur Suppenschildkröte steht selbstredend nicht auf der Speisekarte. Bei vielen Einheimischen landet das geschützte Tier trotzdem auf dem Teller. Nicht jede hat halt so viel Glück wie Juanita.