Wuchshüllen schützen junge Bäume vor Wild und Vegetation. In deutschen Wäldern soll der Schutz aus Plastik bis 2030 sein Ende finden. 190 Alternativen sind bereits am Markt – einigen können sich Forstleute auf keine.
Dicke Regentropfen fallen auf einen Blätterteppich aus Orange, Gelb und Braun. Dazwischen blitzt etwas milchig Weißes auf: Plastik. Zwischen einer Gruppe junger Bäume liegt es auf dem Waldboden, halb verdeckt vom Herbstlaub: zerbrochene, teils zersplitterte Wuchshüllen. Jahrelang haben sie die Stämme junger Bäume geschützt, bis der wachsende Umfang sie absprengt.
Jetzt liegt das Plastik auf dem Boden. Aber wer holt es wieder aus dem Wald heraus? Diese Fragen stellen sich mittlerweile viele Bundesländer. Deshalb beginnen mehr und mehr von ihnen Alternativen zu testen. Das Ziel sind biologische Hüllen, die sich unter Waldbedingungen selbst abbauen.
Wild frisst Knospen junger Bäume
Starke Stürme im Frühjahr 2018 und 2022, extreme Trockenheit und die hohen Temperaturen im Sommer machen den Wäldern zu schaffen. Insbesondere für den Borkenkäfer ist es unter diesen Umständen einfach, Buche, Fichte und Eiche zu befallen. Rund 500.000 Hektar deutsche Waldfläche müssen nach Schätzungen von Fachleuten wieder bewaldet werden. Laut der Waldbestandserhebung der Bundesregierung 2023 sind vier von fünf Bäumen krank.
Natürliche Verjüngung kann diesen Schaden nicht ausgleichen, deshalb müssen Forstleute nachhelfen. Neue Bäume werden gepflanzt, doch damit ist es nicht getan. Denn an ihren saftigen Knospen erfreuen sich besonders Reh-, Rot-, Dam- oder Gamswild. Durch Verbiss- und Schalschäden, wenn junge Hirsche ihr Gehörn an der Rinde reiben, sterben Bäume im schlimmsten Fall ab. Laut Bundesjagdgesetz soll die Jagd den Wald vor Wildschäden schützen. Da das Wild sich aktuell aber stark vermehrt, werden junge Pflanzen, auch vor Konkurrenzvegetation, mit Hilfe von Wuchshüllen geschützt. Üblicherweise sind die aus Plastik, mit Belüftungslöchern, damit die Pflanze unter Sonneneinstrahlung nicht eingeht. Doch das soll jetzt ein Ende haben.
2022 beschloss die Agrarministerkonferenz (AMK), den Einsatz von Plastik im Wald bis 2030 stufenweise zu
beenden. Seit 2021 sind durch eine EU-Regelung sogenannte oxo-abbaubare oder bio-oxo-abbaubare Plastikwuchshüllen im Wald verboten. Dabei handelt es sich um Plastik, das sich durch UV-Einstrahlung zersetzt und in Form von Mikroplastikpartikeln in der Umwelt zurückbleibt.
Im Bundeswaldgesetz, das aktuell überarbeitet wird, heißt es, dass Wälder nachhaltig und ordnungsgemäß bewirtschaftet werden müssen. Keine schädlichen Rückstände dürfen im Wald bleiben. Laut Kreislaufwirtschaftsgesetz müssen auch die Wuchshüllen, wenn sie ausgedient haben, ordnungsgemäß aus dem Wald entfernt und entsorgt, im besten Fall wiederverwendet werden. Im Referentenentwurf für das neue Bundeswaldgesetz ist das jetzt explizit unter § 20.5 festgehalten: Im Wald bleiben kann nur, was keine Rückstände, also auch kein Mikroplastik hinterlässt. Eine derartige Hülle, die noch dazu den gleichen Zweck erfüllt wie eine aus Plastik, muss allerdings erst gefunden werden.
Auch in saarländischen Wäldern starben durch den Borkenkäfer und die Stürme Vivian und Wiebke 2018 zahlreiche Bäume. Deshalb wurden im 40.000 Hektar großen Staatswald seitdem 325.000 neue Bäume gepflanzt. Daneben gibt es noch 28.000 Hektar Kommunal- und 25.000 Hektar Privatwald. Während der Saarforst Landesbetrieb den Staatswald und Wälder einzelner Gemeinden bewirtschaftet, sind für den Rest andere Dienstleister verantwortlich. Einer davon ist die Forstbetriebs- und Waldschutzgemeinschaft Saar Hochwald e. V. unter Klaus Borger.
Biologisch abbaubare Wuchshüllen
Während Borger davon überzeugt ist, dass Wuchshüllen und -gitter aus Holz ihren Zweck erfüllen, meint Sybille Rauchheld, Revierleitung im Wald Saarforst-Gebiet Ottweiler: „Man kann nicht eine Wuchshülle auf allen Flächen anbringen. Man muss auf jeder Fläche gesondert schauen, welche Konkurrenzsituation es gibt und welche Hülle sich eignet.“ Der Saarforst Landesbetrieb testet verschiedene Hüllen aus biologisch abbaubaren Materialien auf fünf Flächen. Klaus Borger findet, dass es keine Tests mehr braucht. Die Holzhüllen, die er unter anderem im Waldgut Jungenwald bei Merzig-Brotdorf einsetzt, werden bei der Firma Reha GmbH von Menschen mit Behinderung hergestellt. Ein anderes Modell aus Bambus von der Firma Toko Toko GmbH erfülle ebenfalls seinen Zweck. „Mir sind keine Nachteile eines Jungbaumschutzes aus Holz bekannt.“
Auf den Testflächen des Landesbetriebes stehen Hüllen aus Baumwollgemischen und furnierter Fichte, auf Maisstärkebasis und aus einem erdölfreien Werkstoff. In diesem Winter folgt eine Hülle auf Zuckerrohrbasis nach Optik der Plastikhüllen. Auch die Reha-Holzwuchshülle kommt zum Einsatz. Alle sollen rückstandslos biologisch abbaubar sein. Ob dem so ist, bleibt noch abzusehen. Da sich die Modelle noch in der Testphase befinden, gibt es laut Umweltministerium keine Zielvorgabe, bis wann alles Plastik aus dem Wald entfernt werden soll. Gleichzeitig hat sich das Saarland laut Saarforst allerdings zum Ziel gesetzt, noch vor 2030 kein Plastik mehr auf den Flächen auszubringen. Was zählt, ist allerdings auch, das ausgediente Plastik wieder herauszuholen. Laut Saarforst reagieren immerhin einige Hersteller und honorieren einen Teil der Plastikhüllen bei Rückgabe.
Auf der glatten Oberfläche der Plastikhülle findet die Brombeere keinen Halt. Diese überwuchert alles, wenn man sie lässt. Holzhüllen könnten ihr daher als Rankhilfe nützen, Klaus Borger kann dieses Argument jedoch nur bedingt nachvollziehen. Das Modell aus erdölfreiem Werkstoff scheidet laut Rauchheld höchstwahrscheinlich aus, da es der Sonneneinstrahlung nicht standhält. Einige Hüllen aus Baumwollgemisch sind durch die Witterung und Wildschäden zum Teil schon jetzt löchrig.
„Man muss grundsätzlich sagen: Zwei Förster, drei Meinungen“, sagt Ulrich Potell, Geschäftsführer des Landeswaldverbandes Baden-Württemberg, wenn es um das „richtige“ Vorgehen bei der Verjüngung von Wald geht. Er ist nicht der Meinung, dass Wuchshüllen allein die Probleme lösen können. Er sagt: „Es ist auch eine technologische Herausforderung.“ Wuchshüllen braucht es insbesondere da, wo Kahlflächen sind. Im Saarland sind die über 0,3 Hektar verboten. Ausnahmen gibt es bei verkehrssicherheitsrechtlichen Gründen, Brand-, Sturmschäden oder Schädlingsbefall.
Auf den Flächen, die Klaus Borger bewirtschaftet, bleiben auch kranke Bäume stehen. Er ist davon überzeugt, dass diese Vorgehensweise einer naturnahen Verjüngung am nächsten kommt. Die Bäume fallen nach und nach in sich zusammen, unter dem nährstoffreichen Totholz wächst neuer Wald. Einzelne Bäume verkauft er.
Im Saarforst-Revier sind von 40.000 Hektar Wald insgesamt circa 1.000 Hektar Kahlschläge. „Begünstigt durch Trockenheit und Hitze bringt der Borkenkäfer die Fichtenwälder zum Absterben. Wir ernten zwangsweise das, was unsere Großväter und Großmütter gepflanzt und gepflegt haben, bevor es abstirbt und verrottet. Natürlich verkaufen wir den wertvollen Rohstoff an eine aufnahmefähige Sägeindustrie“, sagt Saarforst-Betriebsleiter Thomas Steinmetz. „Das Holz von Russland oder Finnland herzutransportieren, ist auch nicht zielführend für den Klimaschutz.“ Das Kleinholz, worin sich die meisten Nährstoffe befinden, bliebe in der Regel beim Nadelholz im Wald. Doch auch der Saarforst lässt einige Schadflächen stehen, beispielsweise am Hangarder Brunnenpfad zwischen Sportplatz und Schutzhütte Kameradschaftsbrunnen.
Unklar, wie viel Plastik im Wald liegt
„Bei öffentlichen Forstbetrieben ist es häufig so, dass die schwarze Null am Ende stehen soll. Der Wald soll kein Geld kosten, aber alle Gemeinwohlleistungen müssen erbracht werden. In diesem Fall steht das wirtschaftliche Ziel nicht im Vordergrund“, erklärt Ulrich Potell. Der Vorwurf, Kahlschläge würden vor allem aus wirtschaftlichen Gründen gemacht, falle unter Forstleuten allerdings häufiger.
Wie viel Geld verfügbar ist, beeinflusst auch welche Hilfsmittel man sich leisten kann. Im Gegensatz zu Privatbetrieben, würden bei öffentlichen Betrieben teurere Wuchshüllen von der öffentlichen Hand gezahlt. Alternative Wuchshüllen seien im Vergleich zu herkömmlichen noch verhältnismäßig teuer. Auch wie viel Zeit der Aufbau benötigt, spiele eine Rolle. „Wenn ein günstigeres Produkt das Gleiche leistet, entscheide ich mich dafür“, erklärt Potell. Laut ihm waren Plastikwuchshüllen in den letzten Jahren vor allem eines: einfach zu handhaben, billig und verfügbar. „Und sie wurden teilweise sogar gefördert. Das sind vier Mechanismen, die dazu beitragen, dass diese Wuchshüllen massenhaft in den Wäldern landeten.“ Baden-Württemberg und Bayern haben die Plastikwuchshüllen mittlerweile aus der Förderung genommen. Im Saarland werden sie noch gefördert.
Wie viele davon in den letzten 20 Jahren im saarländischen Wald ausgebracht wurden, ist laut saarländischem Umweltministerium „mit vertretbarem Aufwand kaum zu ermitteln“. Mitarbeitende des Ministeriums würden stichprobenartig kontrollieren, ob ausgediente Wuchshüllen sachgerecht entfernt wurden und Missachtung entsprechend sanktioniert. Darüber, wie viele Hüllen in den letzten 20 Jahren zurückgebaut wurden, hat das Ministerium aber keinen Überblick. Wie viel Plastik also noch in den saarländischen Wäldern liegt, weiß niemand.
Prof. Dr. Sebastian Hein ist Professor für Waldbau und Forstpflanzenzucht an der Hochschule für Fortwirtschaft Rottenburg und hat das Projekt „The Forest Cleanup“ ins Leben gerufen. Er will Plastik generell aus dem Wald holen. Mit seinem Projekt, das vom BMEL und dem Bundesumweltministerium gefördert wird, will er einen neuen Standard für Wuchshüllen setzen. Er arbeitet derzeit an einer neuen DIN Norm. Laut ihm sind 190 alternative Wuchshüllen am Markt verfügbar, viele davon jedoch nicht in ausreichender Menge. Steigende Rohstoffpreise verlangsamten die Entwicklung. Dazu warteten Hersteller auf Kredite für Produktionshallen, sodass eine Skalierung im großen Stil noch nicht möglich sei, erklärt Hein.
„Jetzt merken wir, dass die Normierung für die Abbaubarkeit einer Wuchshülle genauso komplex ist wie die Wünsche dafür, wie sie aussehen soll“, sagt er. Denn in einem Waldboden herrschen andere Bedingungen als in einem Komposthaufen. Die vier Eigenschaften, die er ebenfalls in den Referentenentwurf des Bundeswaldgesetzes bringen will, lauten: biobasiert, also fossilfrei, unter Waldbedingungen biologisch abbaubar, so funktional wie bisherige Hüllen, ohne dabei mehr Energie oder Ressourcen zu benötigen als herkömmliche. Daneben entwickelt er mit seinem Projekt Konzepte, um Plastikhüllen aus dem Wald herauszuholen.
„Das Wort naturnah ist missbraucht“
Wenigstens für den saarländischen Staatswald hält der Saarforst in Listen fest, wie viele Plastikwuchshüllen ausgebracht wurden. Das ist notwendig, falls der Förster oder die Försterin in einem Revier wechselt. In einer App können zudem mittels GPS die Standorte auf einer Karte markiert werden.
Trotzdem bleibt fraglich, wer das Plastik aus der eingangs beschriebenen Szene aus dem Wald holt. „Es gibt in jedem Betrieb Leute, die ihre Arbeit nicht sorgfältig machen“, sagt Saarforst-Betriebsleiter Steinmetz dazu. Die Regel sollte das jedoch nicht sein. Klaus Borger würde sich deshalb wünschen, dass der Begriff „naturnah“ näher definiert wird. „Naturnah kann nicht heißen, dass man Fremdstoffe in den Wald bringt. Das Wort ist mittlerweile so missbraucht, dass alles naturnah ist, was im Wald passiert.“
Ulrich Potell nimmt die Interessenskonflikte, die im Wald aufeinander prallen, gelassen. „Die Gesetze zum Wald und unsere politischen Forderungen zielen zwar vordergründig darauf ab, Wald zu managen, aber in Wahrheit managen wir überwiegend Menschen und ihre Bedürfnisse. Fläche ist endlich und in Deutschland haben wir eine gewisse Menge Wald, an die wir als Gesellschaft umfangreiche und teilweise widersprüchliche Erwartungen stellen.“
Sebastian Hein verfolgt seine ganz eigene Mission. Er arbeitet deshalb unter Hochdruck an der Wuchshüllen-Norm und veranstaltet mit seiner Projektgruppe einmal im Jahr einen Waldputztag. „Das Rad hat sich zu den biobasierten und abbaubaren Hüllen gedreht – auch wenn ich noch nicht sage, welche unter Waldbedingungen abbaubar sind“, sagt Hein. Er nimmt einen Bewusstseinswandel wahr. „Die Förster wissen, dass etwas passieren muss, und sie ziehen mit.“