Friedrich Merz nutzt jede Chance zur Attacke. Und die gibt es derzeit reichlich. Aber ebenso reichlich sind die Konfliktlinien in der Union selbst. Inhaltlich und personell.
CDU-Parteichef und Oppositionsführer Friedrich Merz ist derzeit ein gefragter Mann. Nach einer eher zurückhaltenden Regierungserklärung von Bundeskanzler Scholz zu den Folgen des Urteils der Karlsruher Verfassungsrichter zur Umwidmung der Corona-Hilfen für Klimaschutzmaßnahmen setzt Merz im Bundestag zu seinem verbalen Sturmlauf gegen Kanzler und Ampelregierung an. Am Gipfel seiner Einlassung attestiert er Olaf Scholz, dass ihm seine Kanzlerschuhe mindestens zwei Nummern zu groß seien und er es halt nicht könne.
Friedrich Merz plädiert ein ums andere Mal für die Beibehaltung der Schuldenbremse in der jetzigen Form. Allerdings präsentiert er keine eigenen Pläne, wie er mit dieser misslichen Situation umgehen würde, wenn er denn in Regierungsverantwortung wäre.
Diskussion um Schuldenbremse
Was in der allgemeinen Aufregung der Debatten um die Regierungserklärung des Kanzlers fast untergeht: Der CDU-Chef keilt in seiner Rede nicht nur gegen die Ampel, sondern auch ordentlich gegen seine Parteifreunde, vor allem die Ministerpräsidenten. „Die Entscheidungen werden hier im Deutschen Bundestag getroffen und nicht im Rathaus von Berlin“: Breitseite gegen Berlins Regierenden Bürgermeister Kai Wegner. Der ist seit gut einem halben Jahr Regierungschef der Bundeshauptstadt und hat als erster CDU-Ministerpräsident die jetzige Schuldenbremse infrage gestellt. In Berlin geht es um einen Drei-Milliarden-Klimafonds, der nun auf der Kippe steht.
Wegner blieb nicht lang allein mit seiner Meinung im Kreis der CDU-Landeschefs. Drei Tage später schlugen sich auch die Ministerpräsidenten Reiner Haseloff aus Sachsen-Anhalt und Michael Kretschmer aus Sachsen auf die Seite von Wegner. In den beiden ostdeutschen Ländern steht die Ansiedlung von zwei Chipfabriken auf dem Spiel, deren Bau nur über Förderungen aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) realisiert werden kann. Und der ist nun wegen des finanziellen Verschiebebahnhofs vor dem Hintergrund der Schuldenbremse von den Karlsruher Richtern als unzulässig verworfen worden.
Noch härter trifft es ihren CDU-Parteikollegen Daniel Günther, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Seine schwarz-grüne Landesregierung musste eine Haushaltsnotlage beschließen, um überhaupt noch gesetzeskonform regieren zu können. Dazu kommt, dass die Finanzierung einer geplanten Batteriefabrik jetzt auf der Kippe steht. Der CDU-Ministerpräsident von der Waterkant ist ohnehin schon seit Monaten mehr als irritiert von seinem Bundesvorsitzenden Merz, nachdem dieser im Vorfeld der letzten Landtagswahlen in Hessen und Bayern die Grünen zum Hauptfeind der Union ausgerufen hatte. Immerhin regiert Günther Deutschlands nördlichstes Bundesland zusammen mit den Grünen. Doch Günther hält sich aus parteitaktischen Gründen derzeit in der Öffentlichkeit mit Kritik am Vorsitzenden zurück.
In der Union geht es derzeit um mehr als nur um die Zukunft der Schuldenbremse in Bund und Ländern, auch wenn diese Frage nicht nur auf Bundes- oder Landesebene, sondern auch in den Kommunen den führenden Unionspolitikern auf den Nägeln brennt wie kein anderes Thema, während ihr Bundesvorsitzender die Schuldenbremse als ein unantastbares Gut behandelt wissen möchte. Neben Sachfragen geht es bei der Union derzeit im Hintergrund immer auch mit um die Frage der nächsten Kanzlerkandidatur. Und da hat sich CDU-Chef Friedrich Merz mit seinen Ambitionen auf diesen Posten mit der von ihm maßgeblich betriebenen Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Haushaltsgebaren der Ampel offensichtlich vergaloppiert. Das Urteil hat die schwelende Frage der Kanzlerkandidatur in der Union jetzt nur weiter angefacht. Als Indiz dafür mag auch die Bundesratssitzung nach dem Urteil gelten. Nach über zwei Jahren taucht plötzlich der bayerische Ministerpräsident Markus Söder in der Länderkammer wieder persönlich auf. Das letzte Mal geschah dies während des Machtkampfes in der Union um die Kanzlerkandidatur im Frühjahr 2021 zwischen Armin Laschet und Markus Söder. Seitdem waren ihm dann Berlin und der Bundesrat einerlei, doch nun ist das Schattenboxen zwischen den Schwesterparteien CDU/CSU offenbar wieder eröffnet.
Söder gibt sich auf der Plenarebene der Länderkammer jovial, erzählt Witzchen. Dann taucht sein direkter Kandidaten-Konkurrent, Hendrik Wüst, Ministerpräsident aus Nordrhein-Westfalen, neben ihm auf. Söder beachtet ihn gar nicht weiter, plaudert munter weiter. Wüst steht neben ihm wie bestellt und nicht abgeholt. Schließlich würdigt Söder seinen NRW-Amtskollegen eines Blickes und begrüßt ihn per Handschlag. Und das war es dann auch schon. Der bayerische Ministerpräsident dreht sich wieder weg und schwadroniert im Kreise seiner politischen Freunde im Rund des Bundesrates weiter: der gerade erst wiedergewählte Ministerpräsident des Freistaates wieder im Mittelpunkt der Bundespolitik. Der unionsinterne Machtkampf um die Kanzlerkandidatur ist eröffnet.
Im Hintergrund steht die K-Frage
Sowohl Markus Söder als auch sein Amtskollege Hendrik Wüst haben sehr wohl wahrgenommen, dass ihr Fraktionschef im Bundestag, Friedrich Merz, beim Ernst der Lage um die Bestellung des zukünftigen Bundeshaushalts (und auch der Länderhaushalte) keinen eigenen Plan hat. Die Kläger waren von dem Karlsruher Urteil offenbar auch selbst kalt erwischt worden. Nun lädt Merz großzügig den Kanzler zu Gesprächen ein – die Herausforderungen für den Bundeshaushalt sind schließlich gewaltig.
In CDU-Kreisen hat mancher das als Einladung für einen „Deutschlandpakt“ 2.0 interpretiert. Aber genau das hat auch Verwirrung hervorgerufen.
„Deutschlandpakt“ – das war ein Appell des Bundeskanzlers, sich angesichts der gigantischen Herausforderungen für das Land in wichtigen Punkten gemeinsam zu verständigen. CDU-Chef Merz war im Herbst darauf eingestiegen, aber wohl ohne Absprache mit seinen CDU-Ministerpräsidenten, wie denn dieser Deutschlandpakt im Konkreten aussehen könnte. In der CDU fragen sich nun viele Entscheidungsträger in Bund und Ländern, was diese „Einladung“ an den Bundeskanzler nun sollte – wenn sie denn als solche auch wirklich gemeint gewesen ist und nicht eigentlich als Attacke.
Die meisten vermuten dahinter aber tatsächlich nur, dass es Merz kaum um die Lösung von Sachfragen geht, sondern hauptsächlich darum, die Regierungskrise anstacheln, um so schnell wie möglich Neuwahlen erreichen zu können – vielleicht die letzte Chance des 68-Jährigen: Bei einer vorgezogenen Neuwahl wäre er in seiner Funktion als CDU-Chef und Unionsfraktionsvorsitzender als Kanzlerkandidat dann wohl gesetzt. Ob das auch für den regulären Wahltermin gelten würde, ist fraglich. Der wäre wohl im Herbst 2025 – also noch Zeit für innerparteiliche Konkurrenten, sich zu positionieren.