Süße österreichische Spezialitäten haben einen guten Ruf. Einer, der diesem Ruf mehr als gerecht wird, ist Lucas Huemer. Ein Erfahrungsbericht vom Backen mit einem besonderen Genussbotschafter des Alpenlandes.

Die österreichische Botschaft in Berlin wird von allen, die jemals dort zu einem familiären Essen, einem festlichen Dinner oder einem feierlichen Empfang eingeladen waren, als das beste österreichische Restaurant der Hauptstadt gepriesen. Das liegt am Oberösterreicher Lucas Huemer. Der 38-jährige Botschaftskoch hat nach Restaurantfachschule und Bäckerlehre im Familienbetrieb der Eltern seine Künste unter anderem in San Francisco und Portugal, in Sterne- und japanischen Restaurants vervollkommnet.
Geheimnisse der Zubereitung
Er kocht grundsätzlich saisonal und möglichst regional und am allerliebsten das, worauf er gerade Lust hat. Rezepte dienen ihm höchstens als Anregung, denn er experimentiert gern und viel und lässt dabei seiner Fantasie freien Lauf. Nur wenn es um traditionelle österreichische Hausmannskost geht, nimmt er es sehr genau. Das ist er seiner Uroma, der Urli, schuldig, die eine großartige Köchin war und ihm vieles weitergegeben hat.

So zum Beispiel die Rezepte für klassischen Apfelstrudel und Grießnockerl, Süßspeisen, die Menschen auch weit jenseits der Alpen glücklich machen und deren Duft allein schon bei vielen schöne Kindheitserinnerungen weckt.
Bei einem Besuch in seiner Botschaftsküche weiht der Profi in die Zubereitungsgeheimnisse ein.
Für zehn Portionen Apfelstrudel werden benötigt: 200 Gramm doppelgriffiges Mehl (das ganz fein und leicht, fast wie Staub rieselt), 120 Milliliter Wasser, 20 Milliliter Öl, etwas Salz, trockene Brotreste in Bröseln, Butter, Zimt, Zucker, eventuell gemahlene Nüsse oder Mandeln und mindestens ein Kilogramm Äpfel.
Der Anfang ist noch einfach: Wasser, Öl, Mehl und eine Prise Salz werden zunächst drei Minuten langsam und dann etwa sieben Minuten schnell zu einem schön geschmeidigen Teig verarbeitet. Danach wird er mit etwas Öl bestrichen, damit er nicht austrocknet, und abgedeckt für etwa zwei Stunden kühl gestellt.
Während der Teig ruht, wird die Füllung vorbereitet. Der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt. Das klassische Rezept bevorzugt Äpfel. Lucas Huemer findet die Sorten Holsteiner Cox und Ingrid Marie am geeignetsten und hobelt sie in feine Scheibchen.
Dicke Stellen beleidigen sein Auge

Ist der Teig ausgeruht genug, rollt er ihn auf einer großen, mit Mehl bestäubten Arbeitsplatte aus. Und jetzt wird’s spannend und erfordert einiges Geschick: Während Lucas Huemer immer weitererzählt und in Erinnerungen an seine Urli und die Gerichte seiner Kindheit schwelgt, lässt er den Teig kreisend über seinen gespreizten Händen tanzen, bis er so gleichmäßig dünn ist, dass sich eine Zeitung dadurch lesen ließe, und mindestens das Format eines großen Geschirrhandtuchs angenommen hat. Da ihm das nicht reicht, wird das hauchdünne Etwas auf dem „mehlierten“ Arbeitstisch ein weiteres Mal ausgerollt. Ein paar dicke Stellen am Rand beleidigen sein Auge, also schneidet er sie ab, rollt sie zu einer Kugel, sperrt sie abgedeckt in den Kühlschrank und beschließt, sie 24 Stunden später zu verarbeiten.
Das Teigrechteck, das die Qualitätskontrolle bestanden hat, bekommt noch mal einen Hauch von Mehl ab, dann wird es zusammengeschlagen – das Mehl verhindert ein Verkleben – und anschließend auf einem mittelgroßen Tischtuch wieder auseinandergeklappt. Zunächst wird der künftige Strudel mit in Butter goldbraun gerösteten Bröseln aus trockenen Brotresten bekrümelt, mit zerlassener Butter beträufelt, dann mit den dünn gehobelten Äpfeln bestrichen.

Es folgen weitere Brösel, Zimt, wenig Zucker, eventuell gemahlene Nüsse oder Mandeln und wieder Butter, denn: „Butter gibt’s nie genug. Das ist ein Geheimnis der österreichischen Hochküche“, wie der Koch verrät, „doch auf Rosinen kann ich getrost verzichten.“ Dann werden die Kanten des Teigs eingeschlagen und mithilfe des Tischtuchs wird der Strudel schubweise aufgerollt. Der Schlussrand wird mit Butter „verklebt“. Mit einer letzten Rolle vorwärts wird das stattliche Meisterstück aufs eingefettete Backblech manövriert, auf das es im vorgeheizten Ofen bei 180 Grad binnen 40 bis 50 Minuten goldbraun und knusprig und anschließend mit Puderzucker bestäubt werde.
„Auf Rosinen kann ich verzichten“

Zufrieden streicht sich Lucas Huemer seine Hände an der blauen Werkstattschürze seines Opas ab, die ihm die typische Kochkleidung ersetzt, und verrät ein weiteres Geheimnis: „Besonders knusprig wird der Strudel, wenn er abgekühlt und dann noch einmal aufgebacken wird. Dazu wird übrigens keine Vanillesoße gereicht, höchstens Schlagsahne!“ Die aber, wie sich später beim Verkosten herausstellt, reichlich.
Während der Strudel seiner köstlichen Bestimmung entgegenbäckt, weiht Lucas Huemer in die Zubereitung einer weiteren, nicht ganz so aufwendigen österreichischen Spezialität ein: Süße Griesnockerl mit Ei.
Dazu werden 100 Gramm Butter, 80 Gramm Zucker, Zimt und Vanille je nach Geschmack sowie eine Prise Salz gemeinsam erhitzt und sobald alles kocht, 200 Gramm Grieß so lange eingerührt, bis der Brei eindickt. Dann muss er etwa eine Stunde lang abgedeckt abkühlen. Die nunmehr kalte Masse mischt Lucas Huemer mit zusätzlichen 50 Gramm rohem Grieß und drei Eiern und rührt sie zu einem glatten Teig. „Ein Schuss Rum kann auch nicht schaden“, findet er, denn auch Nockerl dürfen nach eigenem Geschmack variieren. Inzwischen brodelt schon in einem großen Topf leicht gesalzenes Wasser, um die Nockerl je nach Größe zehn bis 15 Minuten lang köcheln zu lassen. Ob dafür kleine Bällchen oder Schiffchen geformt werden, ist jedem selbst überlassen. Der Botschaftskoch fährt mit einem in das Kochwasser getauchten Löffel am Schüsselrand entlang und erwischt damit die für ihn genau richtige Portion, die sich gut vom heiß gebadeten Löffel löst.
Wenn alle gar sind, werden die Nockerl in einer Mohn-Zucker-Mischung gewendet, der auch geriebene Nüsse und Zimt zugesetzt werden können. Schließlich werden sie mit Zwetschgenröster – mit Zucker, Zitrone, Zimt und Gewürznelken im eigenen Saft gedünsteten Zwetschgen – oder auf einem Fruchtspiegel, zum Beispiel auf feinem Apfelmus, serviert. Guten Appetit!