Im ersten Heimspiel des neuen Trainers will Union Berlin unbedingt gegen Mönchengladbach gewinnen. Das wäre nicht nur für die Tabelle, sondern auch für die Köpfe wichtig.

Union Berlin ist in die Fernseh-Branche eingestiegen. Der Fußball-Bundesligist schloss eine Kooperation mit Pluto TV ab, dem kostenlosen Streamingdienst von Paramount. Dort hat der Club seinen eigenen Kanal, auf dem unter anderem alle Spiele der Bundesliga und des DFB-Pokals in Relive sowie Ausschnitte der Champions-League-Partien zu sehen sind. Auch gibt es dort für die Fans der Eisernen Interviews, Dokumentationen wie „Dit is Union, verstehste“ und andere ungewohnte Einblicke ins Innenleben der Mannschaft und des Clubs. „Ein Fernsehsender, auf dem ausschließlich Union läuft? Ein Traum, der ab heute Wirklichkeit wird“, schrieb der Verein zum Sendestart am 1. Dezember auf seiner Internetseite.
Ein Relive des wohl schwersten Auswärtsspiels der Saison beim deutschen Rekordmeister Bayern München suchten die Fans auf dem Union-Kanal aber zunächst vergeblich. Die am vergangenen Samstag angesetzte Partie war wegen des heftigen Schneefalls in München und Umgebung abgesagt worden. Intern gingen die Verantwortlichen davon aus, dass die Partie erst im neuen Jahr nachgeholt wird. So oder so: Unions neuer Trainer Nenad Bjelica sieht die Berliner auch im auf dem Papier ungleichen Duell mit dem Titelverteidiger nicht chancenlos. „Keiner erwartet was von uns. Bayern ist klarer Favorit. Das könnte unsere Chance werden, und wir glauben an unsere Möglichkeiten“, sagte der Kroate.
Doch auch Bjelica weiß: Für den Klassenerhalt sind andere Spiele wichtiger – die Partie bei seiner Heimpremiere zum Beispiel. Am Samstag (15.30 Uhr) zu Hause im Stadion An der Alten Försterei gegen Borussia Mönchengladbach müssen drei Punkte das Ziel sein. Die wären nicht nur für die Tabelle, sondern auch für die Köpfe und Körper immens wichtig. Nach dem 1:1 in der Champions League beim portugiesischen Erstligisten Sporting Braga, dem 16. Pflichtspiel in Serie ohne Sieg, hatte der Trainer „eine gewisse Angst in den Köpfen und Beinen“ seiner Spieler ausgemacht. Der Nachfolger von Urs Fischer wusste auch, woran das lag: „Diese Phase dauert nun schon drei, vier Monate, weil wir nicht gewonnen haben.“ Seine Erstdiagnose nach den ersten Trainingstagen und Spieleindrücken lautet: „Fehlendes Selbstvertrauen.“ Auf den Trainer selbst trifft das nicht zu.
„Ich bin voll überzeugt von meiner Arbeit, ich bin sehr selbstbewusst“, sagte der Kroate bei seiner Vorstellung. Keine Angst, die großen Fußstapfen von Urs Fischer nicht ausfüllen zu können? Er sei sicher, „dass ich so erfolgreich sein kann, wie mein Vorgänger“, betonte Bjelica. Auf Fischers Erfahrungsschatz will er aber offenbar trotzdem ein wenig zurückgreifen. Mit dem Schweizer wollte er unter der Woche telefonieren und „die Möglichkeit nutzen, mit ihm zu sprechen“, sagte er dem Streamingdienst DAZN. Fischer dürfte ihm weitestgehend das bestätigen, was Bjelica nach seinen ersten Tagen bei Union selbst festgestellt hat: Der Kader ist besser als der Tabellenplatz, aber es fehlt an Selbstvertrauen. Deswegen verzichtet der neue Coach auch (noch) auf große taktische Experimente.
Champions-League-Reise geht zu Ende
„Meine eigene Spielphilosophie zu führen, wäre zu diesem Zeitpunkt falsch“, sagte Bjelica: „Ich muss mich anpassen, an den Verein und an das, was wir haben.“ Generell sollen seine Mannschaften „sehr intensiv“ spielen, „mit viel Pressing“, beschrieb der 52-Jährige seine Spielphilosophie: „Wir wollen sehr unangenehm sein für den Gegner. Wir wollen dominieren, spielerisch und mit Tempo.“ Er sei kein „Tiki-Taka“-Trainer, „50 Ballkontakte bis zum Abschluss“ verlange er nicht. Schnelles Umschaltspiel nach Ballgewinnen war einst auch die große Stärke der Berliner, Bjelica will dies leicht modifiziert wiederbeleben. Doch das muss bis zur Vorbereitung auf die Rückrunde in der Winterpause warten. „Es ist eigentlich egal, mit welchem System wir gerade spielen. Das Hauptproblem ist das fehlende Selbstvertrauen, nicht das System“, sagte Bjelica. Deswegen sprach er in seinen ersten Tagen vor allem mit den Führungsspielern wie Rani Khedira und Christopher Trimmel viel, in den Trainingseinheiten streute er kleine Übungen mit Erfolgserlebnissen ein. Immer mit dabei: die Trillerpfeife.
In der Branche gibt es Zweifel daran, dass der Kroate der richtige Mann für den Bundesliga-Abstiegskampf ist. „Ob man mit einem Nobody diesen Fall auffangen kann, ist natürlich ein großes Risiko“, sagte der deutsche Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus: „Einer, der noch nie in der Bundesliga trainiert hat, soll Union Berlin retten, das ist eine schwierige und heikle Aufgabe“. Doch ein Nobody, wie Matthäus ihn nennt, ist Bjelica nicht. In Österreich, Polen, Kroatien und der Türkei hat er in den höchsten Spielklassen trainiert, mit Austria Wien und Dinamo Zagreb als Spieler sogar Champions-League-Erfahrung gesammelt. Und auch der Abstiegskampf ist ihm nicht fremd.
Deshalb ist Sandro Zakany, ein langjähriger Weggefährte in Österreich beim FC Kärnten und Wolfsberger AC, anders als Matthäus überzeugt: „Aufgrund seiner Erfahrung und Kompetenz kann er jedes Team trainieren. Wenn er gleich den Draht zu den Spielern findet, wird er auch dort großen Erfolg haben.“ Laut Zakany bringt Bjelica beim Führungsstil die perfekte Mischung mit. „Er ist ein absoluter Gentleman und eine Respektperson, trotzdem war und ist er für jeden Spaß zu haben.“ Mal sei er in der Kabine laut gewesen, mal habe er auch nur die Aufstellung aufgehängt und den Raum ohne ein Wort wieder verlassen. „Den Rest hatten wir Spieler zu machen“, erinnerte sich Zakany.
Die Champions-League-Reise geht für Bjelica und Union am 12. Dezember aber definitiv zu Ende. Vermutlich für

eine sehr lange Zeit, womöglich sogar für immer. Im Heimspiel gegen den spanischen Spitzenclub Real Madrid werden die Unioner noch mal ein Riesenfest im Olympiastadion feiern und versuchen, erhobenen Hauptes die Königsklasse zu verlassen. Eine Chance aufs Achtelfinale gibt es nicht mehr, auch das Überwintern in der Europa League ist unrealistisch. Dafür müsste Union die Königlichen aus Madrid besiegen und gleichzeitig auf einen Patzer von Braga im Parallelspiel gegen die SSC Neapel aus Italien hoffen. An dieses Fußball-Wunder glauben nicht einmal die Spieler selbst. „Es ist ein enttäuschendes Ergebnis“, sagte daher Khedira nach dem Remis in Braga, bei dem Union etwa eine Stunde in Überzahl agierte: „Wir hätten einen riesigen Schritt machen können, um uns Platz drei in der Gruppe zu sichern. Das haben wir nicht geschafft.“
Zumindest Marie-Louisa Eta hatte einen persönlichen Grund, sich über das Spiel zu freuen. Die 32-Jährige schrieb als erste Co-Trainerin in der Champions-League Fußball-Geschichte. Auch die Uefa gratulierte Eta, die beim Einstand des neuen Chefcoaches Bjelica zum Trainerteam gehörte. „Es war einfach wichtig, dass das jetzt passiert. Für ganz viele andere Frauen und junge Mädchen ist das einfach ein Beispiel dafür, dass es diesen Weg gibt“, sagte Ex-Nationalspielerin Tabea Kemme, die einst mit Eta bei Turbine Potsdam erfolgreich zusammengespielt hat. Sie ist sich sicher: Etas Beförderung bei Union ist keine Marketing-Maßnahme des Clubs: „Union fokussiert sich bei dieser Entscheidung einfach auf absolute Qualität, das kann ich als ehemalige Mitspielerin aus eigener Erfahrung bestätigen.“