Angenommen, man reist im Winter nach Madonna di Campiglio, wirft sich aber nicht die berühmte FIS-Piste „3-Tre“ hinunter: Was also tun im Winterurlaub? FORUM-Autorin Barbara Schaefer hat die Ski zu Hause gelassen und es ausprobiert.
Ihr müsst keine Bäume umarmen“ sagt Bergwanderführer Nicola Cozzio. „Dolomiti Winter Wellness“ sei ein Angebot, sich dem Wald mit allen Sinnen hinzugeben. Ich bin erleichtert. Es wird also nicht esoterisch und ich muss nicht Achtsamkeit vortäuschen.
Menschen seien biophil, sagt er, es tue ihnen gut, neben Pflanzen zu sein. Ich vermute, er meint damit nicht die Büro-Yucca. Wir spazieren los. Cozzio regt dazu an, auf den Atem zu achten, eine Konzentrationsübung. Danach geht es um die Augen, „die sind im Alltag auf eine Entfernung eingestellt, etwa auf den Schreibtisch.“ Im Wald kann man das neu justieren. In das ferne Blau des Himmels schauen, dann wieder auf Tannenzweige, auf Sonnenstrahlen zwischen den Bäumen. Cozzio lädt zum Tannennadelkauen ein. Schmeckt nach Hustenbonbon, aber nicht übel. Wir sollen Harz aus der Rinde kratzen und zwischen den Fingern zerbröseln. Es riecht nach Sauna. Schließlich sollen wir Kälte zulassen. Entsetzt schaut eine Neapolitanerin auf Nikola, der mit nacktem Oberkörper im Schnee steht. Sie ist dick angezogen, zittert und leidet. Wir sollen in die Sonne schauen, mit den bloßen Händen in den Schnee fassen, Schnee im Gesicht verreiben. Offensichtlich für einige eine Herausforderung. Als Fazit gibt er uns mit auf den Weg, man könne mal im Wald den Bäumen zuhören, und sie nicht vollquatschen. Mehr Input als Output. Wer sich darauf einlasse, könne zu einem sozialeren Menschen werden. Dazu braucht es vielleicht etwas Übung.
Im Wald den Bäumen mal zuhören
„Es kann ja nicht immer alles nur heilige Natur sein“, sagt ein anderer Wanderführer später. Und weil man unten im Wald zwar Bäume, aber nichts von der Brenta sieht, fahren wir mit der Spinale-Seilbahn hinauf. Großartige Natur empfängt uns auf dem Monte Spinale, und ein treibender Beat. Das „Chalet Spinale“ hat ein DJ-Pult in den Schnee gestellt, die Sonne gleißt, rundum blicken Berge auf das bunte Treiben, die Adamello-Presanella-Gruppe brüstet sich mit ihren senkrechten Felswänden und den schneebepuderten Bändern. Linkerhand liegen Adamello- und Presanella-Gletscher schutzlos in der Wintersonne.
Der perfekte Gegenentwurf zum Waldbaden, das Bad in der Menge, die sich von der House Music wegtragen lässt. Viele Frauen mit viel Lippen, viele teure Skiklamotten mit Glitzer, viel Aperol und Sekt. Nicht alle hier tragen Skianzüge, ich falle kaum auf mit den Wanderschuhen. Auch wenn es an Bling-Bling an der Jacke fehlt.
Man sieht rundum glückliche Gesichter, Winter, die Sonne scheint, die Musik passt. Beim Runterfahren mit der Gondel sind die Pisten wie leergeräumt. Ja klar, erklärt eine Einheimische: „Langes Mittagessen, und der Caffè.“ Danach wolle doch niemand mehr Skifahren! Schon gar nicht die Italiener.
Auf Schneeschuhen in die Vollmondnacht, das klang romantisch. Allzu idyllisch sollte man es sich jedoch nicht vorstellen. Es macht Lärm, denn zwölf Paar Schneeschuhe sind laut, wenn sie auf gefrorenem Schnee herumkratzen. Und wir sind in Italien. Da muss man „La Luna!“ rufen, wenn der Mond über der Cima Tosa hervorkommt. Danach muss gesungen werden. Und doch dringen zauberhafte Momente durch. Guide Alessandro führt die Gruppe vom Hauptweg in den Wald hinein, endlich kommen die Schneeschuhe richtig zum Einsatz. Das neonweiße Licht des Mondes wirft harte Schatten. Eine schwarzweiße Landschaft. Die Flanken der Brenta leuchten geradezu.
Wir kommen auf eine Lichtung, es ist überwältigend, wie hell der Mond leuchten kann. Zudem sieht man noch mehr Lichter. Die Stirnlampen, auf die die meisten nicht verzichten wollen. Sterne, die sich gegen das Mondlicht behaupten. Und in der Ferne die Glühwürmchen der Pisten, Pistenraupen, die den Schneeteppich für den kommenden Tag präparieren. Am Ende wird an einem Lagerfeuer Gulaschsuppe und Glühwein serviert. Im Sitzen auf Holzbänken kriecht die Kälte herauf. Einige beginnen, mit den Schneeschuhen zu scharren. Wir wandern zurück.
„Hunde sind immer im Moment“, sagt Maurizio Cattafesta. „Wenn sie hungrig sind, fressen sie. Wenn sie müde sind, schlafen sie. Das können wir von den Hunden lernen.“ Das klingt beängstigend nach Achtsamkeit und „In-die-Ruhe-Kommen“. Doch dann geht die Post ab. Cattafesta schirrt je vier Hunde vor einen Schlitten. Die Hunde beginnen zu heulen. Er teilt uns Anfängern je einen Schlitten zu. Rennt hin und her auf der Ebene von Nambino, voller Energie, wie seine 37 Schlittenhunde.
Balance halten auf dem Hundeschlitten
Einige der jungen Frauen trauen sich die erste Fahrt nicht alleine zu, Cattafesta fährt mit ihnen mit. Die Männer trauen sich nicht, so etwas zu erfragen. Bei der zweiten Runde schauen alle schon ganz Musher-mäßig cool in die Landschaft. Es ist anstrengend. Bei Neuschnee muss man mehr schieben als bremsen und dazu die Balance halten. So ist man schließlich auch ganz im Moment.
Am Ende bringt man den Schlitten ordentlich zum Stehen. „Super! Gut gemacht!“ brüllt Cattafesta. Er meint
die Hunde.
Sich im Wald zu verlieren sei eine berührende Erfahrung, sagt Bergwanderführer Diego Maroni. Urlaubern empfiehlt er es nicht, schließlich arbeitet er auch bei der Bergrettung. Er bietet Bushcraft im Wald an, Survival-Training im Winter. Zum Glück wird daraus eine spielerische Erfahrung und kein Bootcamp. Dreckig wird man allerdings doch.
Schutz finden, Feuer machen, Wasser finden – darum gehe es in einem Notfall. Das mit dem Wasser ist kein Problem. Es hat geschneit, wird aber nun warm. Der Schnee fällt in Batzen auf uns herab. Bald sind wir dreckig und nass, also packt man mit beiden Händen vergammeltes Holz an, drückt sich an Bäumen vorbei. Wir schleppen Äste heran, nehmen es so wichtig, wie sonst nur ins Spielen vertiefte Kinder. So entsteht ein Unterschlupf an einer Tanne. Wir flechten Haselzweige zwischen dicke Äste. In das lose Geflecht murksen wir nadelige Tannenäste, allmählich dringt weniger Regen durch. Ja, Zweige abschlagen, Feuer machen, wenn Not herrscht, sei alles erlaubt, erklärt Diego.
Dann soll ich trockenes Holz suchen. Haha. Diego zeigt unter gestürzten Bäumen, wo sich trockene Äste befinden könnten. Und schickt uns zu drei Birken, wir sollen die papierne Rinde abfriemeln. Wir hauen uns die Fingerknöchel blutig beim Versuch, mit einem Schlageisen Feuer zu entfachen. Am Ende züngelt nur ein zögerliches Flämmchen. Wenn man sich im Hotel der dreckigen Klamotten entledigt, fallen Holzstücke und verrottete Laubblätter heraus. Eines ist sicher: Feuerzeug und Taschenmesser kommen in Zukunft immer in den Rucksack.