Fachleute im Ruhestand wollen es noch mal wissen: Beim Senior-Experten-Service profitieren nicht nur Schwellenländer, sondern auch Auszubildende hierzulande von jahrzehntelangem Fachwissen – sagt Erich Nessen, Leiter der SES-Vertretung Saarbrücken.
Herr Nessen, nichts motiviert stärker als Erfolg. Was motiviert Sie eigentlich, sich so stark für den SES zu engagieren?
Es ist einfach ein gutes Gefühl, der Gesellschaft nach einem erfüllten Berufsleben etwas zurückzugeben. Ich wollte im Ruhestand noch einmal etwas ganz anderes tun, mein Wissen weitergeben und das in einem spannenden Umfeld bei freier Zeiteinteilung. Das habe ich beim SES gefunden und bekomme für mein ehrenamtliches Engagement und den Einsatz auch viel zurück.
Inwiefern?
Der SES kommt von seiner DNA her aus der Entsendung von Fachleuten in Entwicklungs- und Schwellenländer. Da wollen in der Regel auch weiterhin viele potenzielle Kandidaten hin, die sich für einen Einsatz interessieren. Sei es, weil sie sich dazu berufen fühlen, sei es, weil sie in ihrem Leben nochmals Fernweh verspüren. Doch in den letzten Jahren hat sich die Arbeit des SES aufgrund von Krisen wie Corona oder Konflikten in vielen Ländern verändert. Die Sicherheit unserer Leute hat bei Auslandseinsätzen absoluten Vorrang, und es wird niemand in Länder oder Regionen geschickt, für die es Reisewarnungen gibt. Solche „Hindernisse“ entfallen bei unserem Engagement in Deutschland. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang zum einen unser Mentorenprogramm „VerA“, bei dem es um die Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen geht. Und zum anderen das Schulprogramm, bei dem wir gezielt in die Schulen gehen, um Schülerinnen und Schüler zum Beispiel in der Orientierungsphase zur Berufswahl in MINT-Fächern sowie bei der Sprachförderung zu unterstützen.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Deutschlandweit profitieren im Schnitt jährlich 4.000 junge Menschen von „VerA“ – im Saarland sind es über 50 Begleitungen auf das Jahr bezogen – mit einer Erfolgsquote von über 75 Prozent. 95 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer würden unsere Hilfe jederzeit wieder in Anspruch nehmen und empfehlen uns weiter. Das macht stolz und motiviert.
Welche Voraussetzungen muss man mitbringen, um mitzumachen, und wie funktioniert der Praxiseinsatz?
Fachleute, die für den SES ehrenamtlich tätig werden wollen, sind in den meisten Fällen im Ruhestand und wollen in ihrem Leben noch einmal etwas Neues ausprobieren. Die angehenden Expertinnen und Experten müssen sich – genauso wie die Hilfesuchenden – in der Zentrale in Bonn registrieren und angeben, wie und mit welchem Know-how sie unterstützen können. Dann wird mithilfe der SES-Vertretungen in den jeweiligen Bundesländern versucht, ein Einsatzgebiet zu finden oder wie im „VerA“-Programm einen Coach und einen Azubi zusammenzubringen. Wenn es passt, wird eine Vereinbarung getroffen, wie die beiden bei freier Zeiteinteilung zusammenarbeiten. Inhalte und Form legen die beiden selbst fest. Ich selbst habe beispielsweise einem angehenden Maurergesellen kurz vor der theoretischen Prüfung in Mathematik und bei den bauspezifischen Aufgaben auf die Sprünge geholfen. Mein neuestes Projekt ist seit Juli die Betreuung von mexikanischen Auszubildenden am Klinikum Saarbrücken. Da geht es mehr um Hilfestellungen im Alltag wie das Finden eines Sportvereins oder den Arztbesuch als um Wissensvermittlung. Ziel ist es schließlich, die Azubis bei der Stange zu halten und einen Ausbildungsabbruch zu vermeiden. Sie sehen, die Aufgaben sind spannend und lehrreich für beide Seiten. Das bereichert ungemein. Es ist außerdem schön zu erleben, wenn jemand seine Ausbildung erfolgreich beendet.

Vor „VerA“-Begleitungen bieten wir ein zweitägiges Seminar an, bevor es in der Praxis richtig losgeht. Das ist keine Prüfung, sondern es hilft bei der alltäglichen Arbeit, die Probleme der hilfesuchenden Azubis besser zu verstehen. Diese können betrieblich, schulisch, aber auch familiär oder aus dem sozialen Umfeld begründet sein. Die Vorbereitung auf Auslandseinsätze ist ganz anderer Natur. Da sind längere Vorbereitungszeiten und eine aufwendigere Reiseorganisation die Regel. Bei unserer letzten Tagung Anfang November in Saarbrücken hat zum Beispiel ein saarländischer Experte für Energiewirtschaft von seinem kürzlich erfolgreich abgeschlossenen Auslandseinsatz in Kirgisistan berichtet.
Wie will der SES neue Fachleute für sich gewinnen?
Unser Durchschnittsalter liegt bei etwa 70 Jahren. Das ideale Zeitfenster, für den SES tätig zu werden, liegt aus meiner Sicht zwischen 65 und 75 Jahren. Aber wir haben auch sehr aktive Ältere in unseren Reihen. Im Saarland gibt es zurzeit insgesamt 125 registrierte Fachleute über alle Branchen hinweg. Unser Ziel ist es, deren Zahl um mindestens zehn Prozent im Jahr zu erhöhen, was uns bisher gelungen ist. Um unsere Arbeit als SES bekannter zu machen, sind wir zum Beispiel auf der Ehrenamtsbörse vertreten, gehen gezielt auf Betriebe zu, denn die wissen schließlich am besten, wann qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ruhestand wechseln. Zudem arbeiten wir mit den Kammern zusammen, denn die kennen ihre Ausbildungsbetriebe am besten und sind sehr daran interessiert, jede Möglichkeit zu nutzen, dem drohenden Fachkräftemangel entschieden zu begegnen. Inzwischen kommen auch Interessenten auf uns zu, weil sie von unserer Arbeit gehört haben.
Um Hilfesuchende auf uns aufmerksam zu machen, gehen wir aktiv in die Berufsschulen, sprechen mit den Lehrerinnen und Lehrern, informieren über unsere Arbeit. Gleiches gilt für die Haupt- und Gesamtschulen. Außerdem reden wir mit den Personalstellen in Betrieben, denn Ausbildungsabbrüche zu verhindern, das hilft nicht nur den Azubis, sondern auch den Unternehmen, die viel Geld für die Berufsausbildung in die Hand nehmen.
Welche Bereiche sind derzeit besonders gefragt?
Eigentlich alle, insbesondere vielleicht das Handwerk und die Gesundheitsbranche. Erfreulicherweise interessieren sich zusehends mehr Frauen für unsere Aufgaben, weil unser Bedarf an Know-how aus dem Gesundheitswesen deutlich gestiegen ist. Inzwischen beträgt die Frauenquote in unserem Register 24 Prozent. Aber es können gerne noch mehr sein.
Stark nachgefragt sind zurzeit Menschen mit handwerklichen und sozialen Fähigkeiten. Denn es zählt – etwa bei der Arbeit mit Azubis – ja nicht nur die reine Vermittlung von Fachwissen, es geht auch um Soziales und Empathie.