Ein warmes Mittagessen, Hilfe bei den Hausaufgaben, Freizeitangebote – das Kinderhaus Malstatt ist seit 20 Jahren eine feste Anlaufstelle für armutsbetroffene Familien im Saarbrücker Stadtteil.
Um die Mittagszeit füllt sich das Kinderhaus im Saarbrücker Stadtteil Malstatt langsam mit Leben. Das hell gestrichene Haus in der Neustraße 22 mit dem Schaufenster im Erdgeschoss beherbergte einst die Dorfmetzgerei. Wo damals der Verkaufsraum war, steht heute ein meterlanger Tisch. Der Esstisch ist bereits mit Tellern und Besteck gedeckt, doch noch lässt der Ansturm hungriger Kinder auf sich warten. Hinter der Theke stehen zwei studentische Honorarkräfte und bereiten das Essen für alle vor.
Die Einrichtung der Diakonie Saar ist seit 20 Jahren eine zentrale Anlaufstelle für Kinder im unteren Malstatt. Finanziert wird sie zum großen Teil vom Regionalverband Saarbrücken. Bevor das heutige Kinderhaus Malstatt ins Leben gerufen wurde, existierte ein vergleichbares Kinderangebot des Stadtteilbüros Malstatt. Da die Nachfrage größer war als die vorhandenen Kapazitäten, stellte man beim zuständigen Sozialministerium einen Antrag auf Finanzierung. „Der Bedarf war deshalb so groß, weil festgestellt wurde, dass seinerzeit in Malstatt 40 Prozent der Kinder in Armut lebten“, erklärt Carsten Freels, Leiter des Kinderhauses Malstatt. Dazu muss man wissen, dass vor 20 Jahren das Nachmittagsangebot der Grundschulen noch nicht so ausgebaut wie heute war, dementsprechend konnten die meisten Kinder nach der Schule nicht betreut werden. Ende 2022 lebten in Malstatt 1.169 Familien mit Kindern, die auf Bürgergeld angewiesen waren, 21, die Sozialhilfe bezogen, und 18, die mit Leistungen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz unterstützt wurden.
Viele leben in zu engen Wohnungen
„Es gibt genauso viele Gesichter von Armut wie Menschen, die von ihr betroffen sind“, sagt Carsten Freels. Viele der Familien, deren Kinder regelmäßig die Malstatter Einrichtung besuchen, leben in zu engen Wohnungen. „Für die Kinder bedeutet das, dass sie sich nicht entfalten und in Ruhe Hausaufgaben machen können“, schildert Carsten Freels die angespannte Situation. Teilweise seien die Wohnungen kaum eingerichtet, manchmal fehlte sogar den Kindern ein eigenes Bett. Dadurch wüchsen diese Kinder bildungsbiografisch benachteiligt auf. Die finanzielle Situation der Familien erlaube oft keine gesunde Ernährung der Kinder, auch reicht das Geld nicht, um einen Platz in der Nachmittagsbetreuung zu bezahlen, ebenso wenig wie für den Kauf von Kleidung und für die Freizeitgestaltung. Obendrein gibt es laut Carsten Freels im Stadtteil Malstatt einen aktuellen Bedarf an 250 Kita-Plätzen. Wenn aber mangels frühkindlicher Betreuungsangebote die Kinder nur zu Hause sind und kein Deutsch lernen können, starten sie ihre Schullaufbahn mit schlechteren Chancen.
Damit diese armutsbetroffenen Kinder in Kindergarten und Schule nicht abgehängt und alleingelassen werden, bietet das Kinderhaus Malstatt Aufenthalts- und Spielräume, sechsmal in der Woche ein günstiges Mittagsessen und viele weitere Angebote, die das Lernen, ein Gesundheitsbewusstsein und kreatives Tätigsein fördern sollen. Ein weiterer Punkt, an dem das Mitarbeiter-Team des Kinderhauses ansetzt, ist die Teilhabe am kulturellen Leben zu ermöglichen. „Viele der Familien, die wir betreuen, schämen sich für ihre Armut. Sie gehen nicht bis zum St. Johanner Markt, sondern bleiben in ihrem Stadtteil“, sagt Carsten Freels. Um dabei zu helfen, dass sie das Gefühl der Scham überwinden können, organisiert das Malstatter Kinderhaus zum Beispiel Museums- und Theaterbesuche und bezieht die Eltern mit ein. So sollen sie erfahren, was ihren Kindern an kulturellen Veranstaltungen in der saarländischen Landeshauptstadt geboten wird. Daneben betreuen zwei Erziehungshelferinnen zehn bis zwölf Kinder im Alter von vier bis sechs Jahren an zwei Vormittagen in der Woche. „Das ist zwar kein adäquater Ersatz für eine Kita-Betreuung, aber es ist erstaunlich, wie viel das schon den betroffenen Eltern und Kindern hilft“, berichtet Carsten Freels über die frühkindlichen Brückenangebote des Regionalverbandes Saarbrücken. Als anerkannter Träger der Jugendhilfe beteiligt sich das Kinderhaus an ihnen.
Zurzeit werden im Kinderhaus Malstatt 25 Kinder regelmäßig betreut. Zählt man weitere Angebote hinzu, erreicht das Kinderhaus noch einmal 50 bis 60 junge Leute. An fünf Tagen in der Woche, von Dienstag bis Samstag, öffnet das Kinderhaus von 11.30 bis 16.30 Uhr. Immer dienstags arbeitet das Team therapeutisch und sonderpädagogisch mit hoch belasteten Kindern. Von Mittwoch bis Freitag können die jungen Menschen zahlreiche offene Angebote wahrnehmen, so können sie etwa unter Aufsicht schulische Lerndefizite aufarbeiten, an zwei Tagen in der Woche Geigen-Unterricht nehmen und in einer Yoga-Gruppe Achtsamkeit lernen. Ein besonderer Schwerpunkt in der Arbeit mit den Malstatter Kindern liegt auf dem gemeinsamen Einkaufen und Kochen von Gerichten. Die „Kinderhaus-Gänger“ werden auch eingebunden, wenn die Räume sauber gemacht werden, der Tisch gedeckt und abgeräumt wird. „Wir fördern bei den Kindern die vorhandenen Ressourcen und sorgen dafür, dass sie größer werden“, sagt Carsten Freels. Samstags organisiert das Kinderhaus-Team auf dem Schulhof zwischen der Kirchberg- und Wallenbaum-Schule ein betreutes Bewegungsangebot. „Das ist im Stadtteil zu einer festen Institution geworden und besteht seit nunmehr 16 Jahren“, sagt Carsten Freels. Kinder können beispielsweise Fußball und Basketball spielen, mit Fahrrädern fahren und auf einer Slackline üben, das Gleichgewicht zu halten.
Auch Eltern finden im Kinderhaus mit ihren Problemen Gehör, etwa indem ihnen Erziehungshilfe in Form von Eltern-Kursen gegeben wird. Außerdem veranstaltet das Kinderhaus Malstatt einen wöchentlichen Eltern-Treff, in dem sich Mütter und Väter über alltägliche Probleme austauschen können. „Es hat für die betroffenen Eltern einen sehr erleichternden Effekt, sich in einer Umgebung zu wissen, in der sie über alles Mögliche reden können“, sagt Carsten Freels. Das Kinderhaus sieht auch eine Aufgabe darin, Bildungsgerechtigkeit in die Wege zu leiten. So kann der Erziehungswissenschaftler Carsten Freels Eltern zu Gesprächen in der Schule begleiten und die Lehrer für die besonderen Thematiken des Stadtteils sensibilisieren.
Zurück zum Kinderhaus. Wenige Meter vom hellen Esszimmer entfernt liegt die kleine Werkstatt, eine Art Multifunktionsraum, in dem getobt und gewerkelt wird. Zwischendurch begrüßt Carsten Freels einen Jungen, ruft ihm zu, dass er an seine Brille denken soll, und schaut dann, wie weit seine Kolleginnen mit der Essensvorbereitung gekommen sind. Um den Geräuschpegel während der Mahlzeiten möglichst gering zu halten, isst in der Werkstatt eine zweite Kindergruppe. Die achtjährige Sedra und die neunjährige Narin haben am Tisch schon mal Platz genommen. Kurz zuvor haben die beiden geholfen, draußen den Gehweg vor dem Haus zu kehren. Sedra besucht die zweite Klasse der Freiwilligen Ganztagsgrundschule Wallenbaum. Ihr Vater ist von Beruf Maler und Lackierer, doch zurzeit arbeitslos, erzählt sie. Seit Sedra ins Kinderhaus geht, hat sie viele Freunde und Freundinnen gefunden. An vier Tagen in der Woche kommt Sedra hierher, ihre beiden älteren Geschwister, ihr Bruder und eine ihrer zwei Schwestern wurden auch schon im Kinderhaus über einen längeren Zeitraum betreut.
Ihre Sitznachbarin Narin erzählt, dass sie gern ins Kinderhaus Malstatt kommt, sie nimmt an der Yoga- und Geigen-Gruppe sowie am Bewegungsangebot teil. Vor allem gefällt ihr der Kontakt zu den Betreuerinnen und Betreuern und dass sie mit ihren Freundinnen spielen kann. Wenn die Drittklässlerin nach Unterrichtsschluss in die Einrichtung kommt, isst sie mit den anderen zu Mittag und erledigt in Ruhe ihre Hausaufgaben. Auf die Frage, ob sie viele Freunde gefunden hat, zählt sie alle auf, die ihr einfallen. Kurz muss sie überlegen, denn mit einem Mädchen habe sie gerade etwas Stress, daher sei die nicht mehr ihre richtige Freundin. Narin wohnt mit ihren Eltern und Großeltern in einem Haus. Bruder und Schwester habe sie jedoch keine. „Ich habe eine Cousine und die ist wie eine Schwester für mich“, sagt sie und lächelt.