Während hierzulande viele Kinder in materiellem Überfluss aufwachsen, werden auf der anderen Seite Millionen von Heranwachsenden durch Armut an den Rand der Gesellschaft gedrückt. Die Folgen können gravierend sein – nicht nur für den Einzelnen.
Während Tims Eltern dem Zwölfjährigen an Heiligabend das neue Mountainbike präsentieren, packt ein paar Kilometer weiter der zehnjährige Noah einen Schreibblock mit Stift aus, während seine Mutter ihm leise erklärt, dass für größere Geschenke kein Geld übrig ist. Zwei erfundene Szenen, die sich aber vielleicht in wenigen Tagen hier in Deutschland irgendwo abspielen könnten. Über zwei Millionen Kinder leben hierzulande in Armut, weil ihre Eltern mit dem Existenzminimum kämpfen. Zu sehen, wie andere Kinder in den neuesten Sneakern herumlaufen und von ihrem tollen Urlaub auf Mallorca erzählen, kann bei Kindern und Jugendlichen aus einkommensschwachen Familien das Gefühl erzeugen, ausgegrenzt zu sein. Sie leben wie in einer Art schlechten Parallelwelt in einem Land, das zu den 20 reichsten Ländern der Welt gehört. Und es tut sich nichts. Seit einem Jahrzehnt ist der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die in Armut aufwachsen, nahezu unverändert hoch, so der aktuelle Forschungsbericht des Unicef-Forschungsinstituts Innocenti.
„Kinder sind nicht so wichtig“
„Kinder sind uns als Gesamtgesellschaft nicht besonders wichtig“, sagt der Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-Markwort. Ein Satz, der betroffen macht. Mögliche psychische Folgen können laut dem Experten Verlust von Selbstwertgefühl, Angst, bis hin zu Depressionen sein. Studien zeigen, dass arme Kinder es selten schaffen, diesen Kreislauf als Erwachsene zu durchbrechen. Und deren Kinder wachsen dann auch in Armut auf. Die Wahrscheinlichkeit für Menschen in der untersten Einkommensschicht, dieser auch nach fünf Jahren noch anzugehören, ist laut dem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung von 2021 in den vergangenen 40 Jahren von 40 auf 70 Prozent gestiegen. Das hat auch Folgen für die Gesellschaft. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat im Auftrag der Diakonie ein Gutachten erstellt und verweist auf eine OECD-Studie, wonach sich die gesamtgesellschaftlichen Kosten vergangener und aktueller Kinderarmut in Deutschland im Jahr 2019 auf etwa 3,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beliefen, also mehr als 100 Milliarden Euro.
Während trotz allem die Mühlen der Politik weiterhin langsam mahlen und um jeden Euro für die Unterstützung armer Kinder diskutiert wird, kümmern sich quer durch die Republik verschiedene Organisationen darum, den jungen Menschen zu helfen. Sei es durch Betreuung bei den Hausaufgaben, Versorgung mit einer warmen Mahlzeit, Freizeitangebote oder einfach mit einem ruhigen Platz, an dem Kinder und Jugendliche Aufmerksamkeit und Wertschätzung erfahren. Gut, dass es diese Angebote gibt. Beschämend für ein Land, dass es sie überhaupt geben muss.