Mit seiner Kreuzberger Noodle Bar „Maiyarap“ sorgt Tanadon Santanaviboon für überraschende, authentische Geschmackserlebnisse. Damit setzt sich der Berliner Gastronom bewusst von der thailändischen Mainstream-Küche ab, die man hierzulande allzu oft vorfindet.
Andere Länder, andere Sitten, andere Märchen und Legenden. In Thailand etwa gibt es das Epos „Ramakian“. Ursprünglich stammt es aus dem Nachbarland Indien, wurde aber an regionale thailändische Gepflogenheiten angepasst. Seit seiner Entstehung wurde das siebenbändige Heldengedicht zu einem festen Bestandteil der thailändischen Kultur. In der Erzählung geht es im Wesentlichen um den König Phra Ram und seinen Kampf gegen den zehnköpfigen Dämonenkönig Tossakan (manchmal auch Thotsakan genannt) und seine Verbündeten, wie etwa den Unterweltkönig „Maiyarap“.
Ausgerechnet die facettenreichen Anti-Helden wie Tossakan und Maiyarap waren es, die Tanadon Santanaviboon für seine beiden Lokale inspirierten. Emotionen wie Wut, Liebe und Trauer und ihre Intensität sollten sich in den authentisch thailändischen, zumeist scharfen Speisen des Berliner Kochs und Restaurantbetreibers wiederfinden. So eröffnete Tanadon Santanaviboon vergangenes Jahr zunächst das „Tossakan“ in Prenzlauer Berg. Im August dieses Jahres sollte mit der Thai Noodle Bar „Maiyarap“ ein zweites Lokal folgen.
Klassiker des Hauses auf dem Tisch
Tanadon Santanaviboon, der sich auch Don nennt, kam als 14-Jähriger mit seinem Vater aus Thailand nach Deutschland. Dons Vater war selbst Koch und hatte schon für Weltstars wie Tina Turner gearbeitet. Tragischerweise verstarb der Vater relativ kurz nach dem Neuanfang in Berlin. Da war Don erst 15 Jahre alt und musste ins Kinderheim. Doch der Teenager kämpfte sich tapfer durch. Erst als Tellerwäscher, dann als Kochlehrling. Tanadon Santanaviboon arbeitete im „Hotel Hyatt“, bei „Spindler und Klatt“ und im „Nola’s am Weinberg“. Im „Dae Mon“ schließlich stand er als Sous-Chef hinter den Töpfen und Pfannen, bevor er selbst die Regie in seinen beiden Berliner Läden übernahm.
Dort legt der Küchenchef großen Wert auf authentische thailändische Küche. Nicht weichgespült und so, wie man sie in Berlin selten erlebt. „Das ist die richtige Küche für die kalte Jahreszeit“, sagt Don bei meinem ersten Besuch. Draußen vor der Tür steht auch eine kleine Hinweistafel. Dort steht „No Ramen, no Pho, just Gieuw Tiew“. Also bitte nicht die japanischen oder vietnamesischen Suppen erwarten, sondern eben echte thailändische Gieuw Tiew, sprich echte siamesische Suppen. Kaum dass ich mit Tanadon Santanaviboon ins Gespräch komme, stellt er auch schon den Klassiker des Hauses auf meinen Tisch. Ich komme in den Genuss einer dampfenden Gieu Tiew Nua. Die Suppe entpuppt sich als ebenso hocharomatisch duftend wie schmeckend. Versehen ist die wärmende Köstlichkeit mit Reisbandnudeln, Sojasprossen, Fleischklößchen und Rindfleisch aus dem Querrippenfleisch. Letzteres ist zu meiner Überraschung mit einer Fettrinde versehen. Das erinnert mich an die Küche meiner Großmutter in Kindheitstagen und an Zeiten, in denen man gut bestücktes Fleisch sehr hochgehalten hat.
Dass in Südostasien tatsächlich gern Fleisch mit ordentlich Fett dran oft und gerne verspeist wird, bestätigen mir auf Nachfrage wenige Tage später zwei andere Berliner Gastronominnen mit asiatischen Wurzeln. „Das schonmal als Einstieg“, verspricht Tanadon Santanaviboon und empfiehlt mir, noch etwas hausgemachten Chili-Essig hinzu zu geben. Diesen kleinen hausgemachten Gaumenkitzel mit seinen scharfen und säuerlichen Komponenten kannte ich auch noch nicht. Nach und nach fühle ich mich ein wenig wie Columbus bei der Entdeckung eines unbekannten kulinarischen Kontinents. Vor allem bei meinem zweiten Besuch, als ich mich durch mehr Speisen im Hause „Maiyarap“ probiere.
Schließlich kocht Tanadon Santanaviboon jenseits thailändischer Mainstream-Gerichte. Das übliche Thai-Curry-mit-Kokosmilch-Gericht wird man bei ihm nicht finden, lediglich das allseits beliebte Pad Thai ist auf der Speisekarte aufgeführt. Doch die Spezialitäten des Hauses bleiben die Suppen – ob mit Hähnchenkeule, Schwein, Rind oder Tofu. Überhaupt sei Pad Thai auch gar nicht so beliebt unter seinen Landsleuten, sagt Tanadon Santanaviboon. „Das isst ein Thailänder eigentlich nur, wenn er morgens aus dem Club kommt und nichts anderes zum Essen da ist“, befindet er kritisch. Erwischt – denn auch ich bin als typische Westlerin eine Wiederholungesserin von Pad Thai. Wie langweilig! Also entscheide ich mich, diesmal das Unbekannte dem Bekannten vorzuziehen.
Location stand monatelang leer
Bei meinem zweiten Besuch stehen draußen in der Kälte schon eine Handvoll Leute, die auf einen Platz warten. In Dons Thai Noodle Bar kann man nicht reservieren und es gibt nur 36 Plätze, die auf zwei Ebenen verteilt sind. Die Wände im unteren Bereich bestehen aus rohem Mauerwerk und sind zum Teil mit Zeitungspapier verkleidet; daneben kann man in die offene Küche schauen. Im oberen Bereich befindet sich noch eine kleine Cocktailbar. Das Ambiente hat etwas von Industriestil, keine Schnörkel und wenig Chichi. Authentisch, direkt und eher deftig – ganz so wie die Küche. Bis vor etwa einem Jahr befand sich in diesen Räumen noch Zed Markes „Moksa“, bevor er mit seiner indischen Küche ins „Manifesto“ am Potsdamer Platz weitergezogen ist. Monatelang stand die Location am etwas ruhigeren Teil der Oranienstraße leer, bevor Santanaviboon ihr wieder neues kulinarisches Leben einhauchte.
Zur Einstimmung kredenzt mir der passionierte Koch eine kleine, aber feine Palette an drei Appetizern. Mein Favorit als Gemüse-Fan und Flexitarierin unter den Vorspeisen ist das Gui Chai Thod. Die kleine, knusprige Köstlichkeit ist ein ungewöhnlicher Dumpling aus frittiertem Schnittlauch, abgeschmeckt mit Pfeffer, Knoblauch und etwas Soja-Essig. Es geht aber auch fleischig zu auf meinem Brettchen, mit Gui Thod Tom Yum und Muh Grob. Ersteres entpuppt sich als frittiertes sowie höllisch scharfes Teigteilchen, gefüllt mit Garnelen und Schweinefleisch. Dagegen kommt das dezent scharfe Muh Grob fast schon sanftmütig daher. Hierbei handelt es sich um ein Stückchen Schweinebauch mit einer knusprigen Panade und einer hocharomatische Soße, an die ich noch lange denken muss. Kein Wunder, besteht die Seafood-Soße doch aus meinen Lieblingskraut Koriander. Dazu noch Knoblauch, Chili und Fischsauce und das Umami-Erlebnis auf dem Gaumen ist perfekt. Meiner Erfahrung nach scheiden sich in Sachen Koriander die Geister. Die einen vergöttern und die anderen verschmähen das in der asiatischen Küche oft verwendete Doldengewächs. Das weiß Küchenchef Don und bietet seinen Gästen auch korianderfreie Köstlichkeiten an. Allerdings sollte man vorher Bescheid geben.
Schweineblut als Geschmacksträger
Unerwartetes erlebe ich auch bei dem Schwarztee, den ich koste. Der Cha Manao mit Limette und Zucker schmeckt überraschend karamellig und ein bisschen wie eine Mischung aus Chai Tee und Espresso. Echten siamesischen Kaffee gibt es bei Tanadon Santanaviboon natürlich auch: Der Oliang entfaltet sich auf dem Gaumen trotz bereits beigefügtem Zucker und Kondensmilch als ein überraschend starker, sehr aromenreicher Bohnentrunk.
Nichts für zart besaitete Vegetarierseelen ist dann die Boot Noodle Soup (Gieuw Tiew Ruer). Die Suppenbrühe ist mit Schweineblut gemischt, das als Geschmacksträger dienen soll. Ihr Name bezieht sich auf die Nudelgerichte, die in Thailand auf schwimmenden Booten verkauft werden. Eher maronenbraun als blutrot vom Aussehen, ist ihr Geschmack aromatisch abgerundet und sehr erdend. In eine ähnliche Richtung geht es mit einem weiteren Schüsselchen Suppe. Das Gieuw Tiew Tom Yam hat wieder eine ordentliche Portion Erdung zu bieten durch gehacktes und geschnittenes Schweinefleisch sowie frittierte Fischhaut. Thaisellerie und Limette geben dem Ensemble den ausgleichenden Frische-Kick.
Nach so viel Herzhaftem genehmige ich mir zum Ausklang noch einen kleinen süßen Cocktail in Form eines Tom Kha Sour. Die Mischung aus Kokosmilch, Rum und Galgant lässt mich gedanklich sofort an die Strände von Koh Samui oder Koh Phangan reisen. Verziert ist die liquide Kreation mit ein paar Chili-Schnitzern und einem Stängel Koriander. Dass der Cocktail ausgerechnet an eine bekannte thailändische Suppe erinnert, ist kein Zufall. Der kreative Küchenchef hat die klassische Tom Kha Gai als Inspiration genommen, um daraus seinen eigenen Cocktail zu mischen. Auch etwas, das man in Berlin wohl nur bei Tanadon Santanaviboon findet.