Mit den Sanktionen gegen Russland wollen die G7-Staaten im Mai ein deutliches Zeichen setzen. Allerdings wird Russland im Verlauf des Jahres immer besser darin, diese zu umgehen.
Es ist vor allem der Rohstoffreichtum Russlands, der den Krieg gegen die Ukraine finanziert. Deshalb einigten sich die G7-Staaten auf ihrem Gipfel in Hiroshima Ende Mai – mit dem Ehrengast, dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj – auf weitreichende Sanktionen gegen russische Rohstoffe. Jener Ort, an dem die USA die erste Atombombe zündeten, um Japan zur Kapitulation im Zweiten Weltkrieg zu zwingen, stand nach den Worten von Bundeskanzler Olaf Scholz als Mahnmal dafür, „dass wir eine Verantwortung für Frieden und Sicherheit in der Welt haben“.

Große Worte, bevor die sieben größten Industrienationen der Welt zur Tat schritten. Wirtschaftlich gesehen ist Russland laut Daten der OECD im weltweiten Vergleich der Wirtschaftskraft hinter Frankreich anzusiedeln – auf Platz acht, gemessen am nominalen Bruttoinlandsprodukt von etwa zwei Billionen US-Dollar (zum Vergleich: Deutschlands BIP betrug 2022 vier Billionen US-Dollar). Das meiste Geld verdient der russische Staat mit Rohstoffen, unter anderem, weil er selbst an Unternehmen wie dem Gasriesen Gazprom oder dem Ölmulti Rosneft beteiligt ist. Um den Geldhahn weiter zuzudrehen, hatten sich die G7-Staaten auf weitere Sanktionen auf Technologie, Dienstleistungen und Rohstoffe verständigt – im Mai 2023 auch für russische Diamanten, roh und geschliffen. Ein Drittel aller Naturdiamanten weltweit stammen aus Russland, die meisten davon werden von den G7-Staaten gekauft, entsprechend groß ist die Marktmacht des Landes in diesem speziellen Rohstoffsegment.
Drittel der Diamanten aus Russland
Im November nun kündigte die EU an, die Exportbeschränkungen in die Tat umzusetzen. Im nunmehr zwölften Sanktionspaket der EU sollen auch Diamanten ins Visier genommen werden. Dies im Vorfeld politisch zu verhandeln drohte jedoch an Belgien zu scheitern: Antwerpen ist der wichtigste Umschlagplatz des weltweiten Diamantenhandels. Der ukrainische Präsident reiste dazu persönlich nach Belgien, um das Land davon zu überzeugen, jene Sanktion zu unterstützen. Der International Peace Information Service (IPIS) im belgischen Antwerpen.
Aber die Sanktionen sollen weitergehen, Russland vom Zugang zu Technologie aus dem Westen abgeschnitten werden. Denn der Kreml zeigte sich offenbar im Jahresverlauf sehr kreativ beim Umgehen von westlichen Sanktionen. Deshalb soll das nächste Sanktionspaket auch Schlupflöcher schließen – zum Beispiel eines für Diamanten. Nach Berichten von Medien wie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland lässt Russland Diamanten auch in Indien schleifen. Diese würden dann als indische Diamanten deklariert und dürften somit eingeführt werden, Geld fließt dann unter anderem an das staatliche Diamantenförderunternehmen Alrosa. 2021 verdiente das Unternehmen nach eigenen Angaben 332 Milliarden Rubel, umgerechnet vier Milliarden Euro, immerhin ein Prozent des russischen Staatshaushaltes. Nach 2021 veröffentlichte das Unternehmen keine Jahresberichte mehr. Herkunftszertifikate könnten das Schlupfloch für umdeklarierte russische Diamanten aus indischen Schleifwerkstätten schließen. Das ist jedoch nicht so einfach, denn Herkunftszertifikate sind im internationalen Diamanthandel bislang unüblich. Sollten sich die G7-Staaten und die EU auf harte Maßnahmen gegen die Einfuhr russischer Diamanten einigen, könnte dies die Preise zumindest zeitweise deutlich erhöhen.
Damit die Sanktionen wirksam sind, müssten weitere Schlupflöcher geschlossen werden. Noch immer werden westliche Komponenten in Russlands Waffensystemen in der Ukraine gefunden, etwa in Raketen oder Drohnen. Die internationale Arbeitsgruppe für Russland-Sanktionen an der US-amerikanischen Stanford-Universität analysierte abgeschossene russische Drohnen. Unbemannte Fluggeräte spielen in diesem Krieg eine überwältigende, eine zentrale Rolle bei der Aufklärung, aber auch bei der Bekämpfung von Zielen. In einem Bericht vom August 2023 identifizierte die Arbeitsgruppe insgesamt 174 Teile in mehreren russischen Drohnenmodellen wie Lancet oder Orlan, von denen die Mehrzahl aus den USA stammten, vor allem Mikrochips. Zusätzlich analysierte sie Handelsrouten und -volumen einzelner Teile. Demnach nutzt Russland Drittländer, die von Sanktionen nicht betroffen sind. Vieles wird über China, die Türkei oder die Vereinigten Arabischen Emirate geliefert. Russlands Taktiken dabei „umfassen illegale Netzwerke, die Verschleierung von Zolldaten, kurzlebige Briefkastenfirmen, die Ausweitung von Zwischenhändlern, die Diversifizierung von Lieferanten und die Inszenierung falscher Operationen“, so die Forscher in ihrem Bericht.
Briefkastenfirmen und andere Mittel
Anfang November veröffentlichte das US-Finanzministerium eine lange Liste von Unternehmen und Personen, die in die Umgehung von Sanktionen verwickelt sind. Im August nahmen die Behörden auf Zypern auf Ersuchen der US-Staatsanwaltschaft einen russischen Elektronikschieber fest, der im Auftrag der russischen Firma Elektrokom gehandelt haben soll. „Sie haben im Auftrag von Elektrokom in betrügerischer Absicht große Mengen Mikroelektronik, die der US-Exportkontrolle unterliegt, von US-Händlern beschafft“, so das US-Finanzministerium. Zur Umsetzung des Plans nutzten Petrow und seine Mitverschwörer Briefkastenfirmen und andere betrügerische Mittel, um zu verschleiern, dass die Elektronikkomponenten für Russland bestimmt waren. Die Technologie, die Petrow und seine Mitverschwörer im Verlauf der Verschwörung unter Verstoß gegen Exportkontrollen beschafft haben sollen, hat „bedeutende militärische Anwendungen und umfasst verschiedene Arten von Elektronikkomponenten, die in russischer Militärausrüstung auf dem Schlachtfeld in der Ukraine geborgen wurden, wie zum Beispiel russische Lenkflugkörper, Drohnen sowie elektronische Kriegs- und Kommunikationsgeräte“, heißt es in der Pressemitteilung des Ministeriums weiter.
Auch über Kirgisistan fließen europäische Güter ungehindert nach Russland. Seit Februar 2022 sind die Exporte aus Deutschland um 5.500 Prozent gestiegen, so Robin Brooks, Chefvolkswirt des Institute of International Finance, einem Verband zahlreicher internationaler Banken. In Euro umgerechnet handelt es sich dabei um eine vergleichsweise kleinen dreistelligen Millionenbetrag. Dennoch landeten kirgisische Firmen auf Sanktionslisten. Auch hat die kirgisische Regierung bereits zugegeben, dass möglicherweise private Unternehmen im Land an der Umgehung von Sanktionen beteiligt seien. Man ermittele.

Klar ist, Sanktionen funktionieren nur dann, wenn ihr Regime ständig kontrolliert wird. Das gelingt immer wieder, wie kürzlich in Finnland: Dort gerieten Unternehmen wegen Lieferungen für Lkw-Teile ins Visier der Zollbehörden, 600 Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet, hieß es seitens der finnischen Behörden.
Auch Deutschlands Wirtschaftsministerium will das Verfolgen von Sanktionsbrüchen vereinfachen; auf Drittländer wie China, Kirgisistan oder die Türkei, über die westliche Technologie nach Russland gelangt, kann sich das Land offenbar nicht verlassen. Deshalb soll nun der Zoll verstärkt den Datenspuren folgen, die Russland hinterlässt, und deutsche Unternehmen sollen befähigt werden, mögliche Zwischenhändler Russlands leichter zu erkennen. Denn nicht zuletzt von durchgesetzten Sanktionen hängt ab, wie lange die Wirtschaft Russlands auf diese Weise dem Druck aus dem Westen standhalten kann.