Genüsslich erzählt und erschreckend real: „Leave the World Behind“ ist ein apokalyptischer Thriller mit Starbesetzung. Derzeit zu sehen auf Netflix.
Rauskommen, durchatmen, Urlaub machen und das angespannte Familienleben in einem luxuriösen Ferienhaus ein wenig beruhigen. Das ist der Plan der dauergestressten Amanda (Julia Roberts), die sich gemeinsam mit ihrem Mann Clay (Ethan Hawke) und den Kindern Archie (Charlie Evans) und Rose (Farrah Mackenzie) im Umland von New York eine Auszeit am Meer gönnen möchte. Relativ schnell wird aber zumindest den Zuschauern klar, dass dieser Plan nicht aufgehen kann. Und das liegt zunächst weniger an der Handlung, sondern an Bildsprache und Musik des Films. Deplatziert wirkende, unheilvoll-klaustrophobische Orchestermusik erklingt in eigentlich entspannten Szenen, dramatische Kamerafahrten und Nahaufnahmen in ebenso unspektakulären Kontexten zeigen an, dass hier irgendetwas ganz und gar nicht stimmt. Und es dauert kaum zehn Minuten – die Familie hat ihr abgeschiedenes Ferienhaus gerade bezogen und macht es sich begleitet von erwähnter nervenaufreibender Musik am Strand gemütlich – da passiert es auch schon: Ein riesengroßer Öltanker taucht am Horizont auf und steuert schnurgerade auf den Strandabschnitt zu, an dem Amanda, Clay und die Kinder sind. Natürlich können sie rechtzeitig ausweichen, niemandem passiert etwas. Aber komisch finden sie sie schon, diese Sache mit dem Öltanker. Zu allem Überfluss fallen kurz darauf auch Handynetz und Internet im Haus aus, was die Familie aber noch auf die schlechte Infrastruktur dort zurückführt. Vor allem die Jüngste, Tochter Rose, ist deshalb gestresst: Sie hat jüngst fast alle Folgen der Kultserie „Friends“ gestreamt, nur die letzte Folge fehlt ihr noch. So wird es zu einer Art Running Gag, dass das offene Schicksal der Serien-Protagonisten Ross und Rachel inmitten des sich immer weiter zuspitzenden Apokalypsenszenarios Rose immer noch am meisten umtreibt.
Dramatische Kamerafahrten
Die Handlung wird vorangetrieben, als am Abend plötzlich die beiden Fremden G. H. (Mahershala Ali) und Ruth (Myha’la Herrold) vor der Tür stehen, die sich als Vater und Tochter und Besitzer des Ferienhauses vorstellen. Da es in New York zu einem Stromausfall gekommen sei und sie nicht zurück in ihr Penthouse kommen, wollen sie die Nacht in ihrem Haus verbringen. Die misanthropische und misstrauische Amanda ist alles andere als begeistert, am Ende einigt sich die Familie aber mit G. H. und Ruth und die beiden bleiben.
Was in der Welt eigentlich vor sich geht, wird im Laufe der Handlung nie ganz eindeutig geklärt. Der Strom fällt aus, laute Geräusche erschüttern die Gegend, Flugzeuge stürzen vom Himmel, Fenster splittern, die Wildtiere um das Haus verhalten sich merkwürdig, Hunderte von Teslas machen sich selbstständig und rasen auf der Straße nach New York ineinander. Auszugehen ist von einem Cyberangriff, der alles lahmgelegt hat. Aber wer steckt dahinter? Wie wird es weitergehen? Wird alles wieder gut? Als Zuschauer weiß man nicht unbedingt mehr als die Protagonisten selbst, die ohne die gewohnte mediale und kommunikative Infrastruktur im Laufe des Films immer unruhiger, panischer und hilfloser werden, aber trotzdem noch nicht ganz zu begreifen scheinen, welche Ausmaße die Situation wirklich annehmen könnte.
Der Anfang eines möglichen Endes
„Leave the World Behind“ basiert auf dem gleichnamigen Roman von Rumaan Alam („Inmitten der Nacht“ in deutscher Übersetzung) und deutet leise, aber eindrücklich an, was passieren kann, wenn sich gewisse Stellschrauben im Gefüge einer hochtechnisierten und digitalisierten Welt ändern. Gezeigt wird der Anfang eines möglichen Endes. Konkreter wird es nicht. Und doch ist es genau diese Ungewissheit, die ein mehr als mulmiges Gefühl erzeugt.
Obwohl die großen Namen Julia Roberts und Ethan Hawke dem Film mit Sicherheit eine gewisse Popularität gebracht haben (zudem ist auch Kevin Bacon in einer kleinen Rolle zu sehen), fügen sich ihre Rollen im Ensemblestück, das „Leave the World Behind“ ist, eher wie ein Puzzleteil perfekt in den Cast aus vier Erwachsenen und zwei Jugendlichen ein. Gezeigt werden die beiden Familien: Amanda mit Mann und Kindern auf der einen Seite, G. H. und Ruth auf der anderen, die sich während der gesamten Handlung Sorgen über ihre Ehefrau beziehungsweise Mutter machen, die sie nicht erreichen können. Auch hier bleibt vieles ungesagt, die Erwachsenen versuchen, die Ruhe zu bewahren und stoßen doch an ihre Grenzen.