Vor 250 Jahren wurde der Maler Caspar David Friedrich in Greifswald geboren. Eine Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle und Florian Illies Buch „Zauber der Stille“ eröffnen neue Zugänge.
Ich spinne mich in meine Puppe und überlasse es der Zeit, was aus dem Gespinst herauskommen wird, ob ein bunter Schmetterling oder eine Made“, so notierte es Caspar David Friedrich einst in einem Manuskript. Und was ist nun herausgekommen? Ein bunter Schmetterling? Oder eine Made?

250 Jahre, nachdem der Maler am 5. September 1774 in Greifswald geboren wurde, scheint es an der Zeit, einen neuen Blick auf das Werk des bedeutendsten Künstlers der Romantik zu werfen. Im Zentrum des diesjährigen Jubiläumsjahrs steht eine Trilogie von großen Ausstellungen in Hamburg, Berlin und Dresden. Die erste ging vor wenigen Wochen in der Hamburger Kunsthalle unter dem Titel „Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit“ an den Start. Welche neue Zeit ist damit gemeint?
Der erste Teil der Ausstellung umfasst mehr als 60 Gemälde und rund 100 Zeichnungen, darunter ikonische Werke wie den „Kreidefelsen auf Rügen“, den „Wanderer über dem Nebelmeer“ oder den „Mönch am Meer“. Außerdem sind frühe Selbstbildnisse, viele kleine Seestücke sowie Werke mit religiöser Thematik wie die „Ruine Oybin“ zu sehen. Als besonders aufschlussreich erweisen sich Friedrichs eher unscheinbare Wolken-, Fels- oder Pflanzenstudien: In ihnen zeigt sich der Künstler nicht nur als genauer Beobachter der Natur. Sie zeugen auch vom bewussten Aufenthalt in der freien Natur in künstlerischer Absicht, der für die Kunstpraxis der Romantiker essenziell war.
Mehr als 60 Gemälde, rund 100 Zeichnungen
Anlässlich eines Eisgangs an der Elbe hat Friedrich zudem minutiöse Ölstudien angefertigt, um sie später in eine völlig neue Landschaft, das „Eismeer“ aus der Zeit von 1823, einzufügen. Sie belegen, dass auf seinen Gemälden Fantasiewelten zu sehen sind, die zwar von präzisen Naturbeobachtungen ausgehen, aber in frei imaginierte Landschaften einfließen, die offensichtlich ganz bestimmte Stimmungen hervorrufen sollen.
Dass Caspar David Friedrich darin konsequenter vorging als seine Zeitgenossen, zeigen die rund 20 Arbeiten von Künstlerfreunden und Zeitgenossen wie Carl Blechen, Carl Gustav Carus, Johan Christian Dahl, August Heinrich und Georg Friedrich Kersting, die die Retrospektive ergänzen. Mitunter widmen sie sich sogar den gleichen Themen wie beispielsweise ein Seestück von Carl Gustav Carus. Doch kein Vergleich mit Bildern wie dem „Mönch am Meer“, das mit seiner Radikalität der Leere fast schon in Richtung Abstraktion weist. „Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts setzte er (Friedrich) damit wesentliche Impulse, um die Gattung der Landschaft zur ‚Kunst für eine neue Zeit‘ zu machen“, resümiert Alexander Klar, Direktor der Hamburger Kunsthalle.
Wie wirkmächtig Friedrichs Werke selbst für zeitgenössische Künstler sind, zeigt der zweite Teil der Ausstellung mit Arbeiten von 20 Kreativen. In Form von Videos, Fotografien oder raumgreifenden Installationen nehmen sie die Romantik, ihr Naturverständnis und die Kunst Friedrichs in den Blick. Zum Teil zitieren sie explizit ikonische Werke wie den „Wanderer über dem Nebelmeer“, indem zum Beispiel die finnische Fotografin Elina Brotherus anstelle des Wanderers sich selbst ins Bild setzt und so Gender-Fragen thematisiert. Andere beschäftigen sich eher allgemein mit Motiven wie Wolken. Wie Jonas Fischer, der seit 2020 den Himmel über Kraftwerken und Industrieanlagen mit Emissionen aus fossilen Brennstoffen fotografiert und so in seinem „Cloud Index“ die Klimasünden der Menschheit brandmarkt. Die Konzeptkünstlerin Swaantje Güntzel zeigt wiederum in ihrem „Seestück II“ eine Frau, die in einem Museum vor Friedrichs „Eismeer“ sitzt, aus einer Plastikflasche trinkt und von einem Meer leerer Kunststoffflaschen umgeben ist: ihr Kommentar zur Plastikflut in den Weltmeeren.
Caspar David Friedrich als Retter der Natur in Zeiten des Klimawandels? Einige scheinen sein Werk tatsächlich so zu deuten. Und auch die Ausstellungsmacher scheinen dieser Lesart gegenüber nicht abgeneigt zu sein. „Mit seiner visionären Polarlandschaft erteilte Friedrich dem menschlichen Entdeckerdrang und seinem Überlegenheitsgefühl gegenüber einer vermeintlich beherrschbaren Natur eine Absage“, ist Kurator Markus Bertsch im Hinblick auf das „Eismeer“ überzeugt.
Fakten, Geschichten und Geschichtchen
Um sich vor vorschnellen Urteilen zu schützen, empfiehlt sich die Lektüre von Florian Illies’ neuem Buch „Zauber der Stille“. Mit sicherem Instinkt greift der Feuilletonist immer wieder Themen und Personen auf, noch bevor sie in aller Munde sind. So auch im Fall von Caspar David Friedrich. Von Illies’ unterhaltsamen Bestseller darf man keine Biografie erwarten, schon gar keine abschließende Interpretation des Werks. Vielmehr hat der studierte Kunsthistoriker in dem ihm eigenen, bisweilen etwas flapsigen Stil alle möglichen Fakten, Geschichten und Geschichtchen zusammengetragen, die er mit geistreichen Kommentaren und viel Witz würzt. Dabei springt er hin und her zwischen den Jahrhunderten und verschiedensten Orten, von Dresden nach Greifswald, von Rügen nach Stalingrad oder Düsseldorf. Statt chronologisch zu erzählen, ordnet er die historischen Ereignisse und Anekdoten den vier Elementen Feuer, Wasser, Erde, Luft zu, die mit Leben und Werk Caspar David Friedrichs in irgendeiner Form verknüpft sind. Was auf den ersten Blick allzu beliebig erscheinen mag, erweist sich im Fortgang der Lektüre als geschickter Kunstgriff, um das Phänomen Friedrich in all seinen Facetten zu umkreisen und dabei immer weiter einzukreisen.

Tatsächlich haben die Werke des Romantikers die widersprüchlichsten Reaktionen ausgelöst. Wenn Goethe dem jungen Friedrich erst einen halben Kunstpreis der Weimarer Kunstfreunde verlieh, soll er eins der späteren düsteren Bilder, die Friedrich ihm beharrlich schickte, vor lauter Wut über der Tischkante zerschlagen haben. Und das „Eismeer“, für Illies das innovativste Bild des 19. Jahrhunderts, sei ausgerechnet zum konservativsten König des 19. Jahrhunderts gewandert. „Jede Zeit sucht und findet Caspar David Friedrich auf ihre eigene Weise“, ist er überzeugt. Als der Maler beispielsweise 1974 mit Ausstellungen in Dresden und Hamburg geehrt wurde und sich Hunderttausende von Besuchern an seinen Gemälden sattsahen, hätte die 68er-Bewegung die religiös überhöhten Landschaften kritisiert, während sie in der DDR als Antizipation einer sozialistischen Kunst begriffen wurden. „Ja, jede Zeit und jedes System kann versuchen, sich Friedrich so zurechtzubiegen, wie es ihr passt“, schreibt Illies. Und ergänzt: „Seiner Kunst ist das völlig egal.“ Gerade darin, dass sich der Maler nicht positioniere und sich eindeutigen Antworten verweigere, liege das Geheimnis und die Faszination seiner Kunst, die immer wieder neu gelesen werden kann.