Ein cholerischer Vereinspräsident, ein eigener Lokalrivale und sehr viel Emotion: Eintracht Spandau verbindet professionellen Wettkampf mit einer großen Menge Sportsatire. Co-Geschäftsführer Christian Baltes – selbst gebürtiger Saarländer – darüber, wie Tradition und Moderne im E-Sport zusammenfinden können.
Herr Baltes, hatten Sie vor Eintracht Spandau bereits Berührung mit E-Sport?
Ich bin selbst seit 2012 im E-Sport aktiv. Angefangen habe ich ehrenamtlich. Ich habe mich bei einer Communityseite engagiert, ähnlich wie der „Kicker“ für Fußball. Da gibt es im E-Sport-Bereich viele solcher Seiten. Als ich später einen Praktikumsplatz gesucht habe, bin ich bei der Agentur, die diese Seite betreut hat, gelandet, und da hat es mir so gut gefallen, dass ich sechs Jahre dort gearbeitet habe. Das ist lustigerweise die gleiche Agentur, die die Prime League betreut, in der Eintracht Spandau heute tätig ist. Daher kannte ich die Liga bereits vor Eintracht Spandau schon recht gut.
Wie entstand die Idee zur Eintracht?
Die Idee entstand im Zusammenspiel mit Hand Of Blood, einem der größten deutschen Gaming-Youtuber. Er hatte damals schon ein E-Sport-Team mit dem Namen „Spandauer Inferno“, das aus Influencern bestand, die sich des Spaßes wegen zusammengeschlossen hatten. Auf der kompetitiven Ebene hatten sie aber nie das Zeug, ganz oben mitzuspielen. Aus verschiedenen Gründen, insbesondere dem Zeitmangel, hatte Hand Of Blood das Projekt aufgeben müssen. Er hatte aber immer noch diesen E-Sport-Spirit im Kopf und es war klar, dass er es wieder machen würde, wenn er die Zeit hat. Da kam dann erst einmal Instinct3, seine eigene Agentur, dazwischen, die er 2018 gründete. Als Instinct3 aber langsam auf eigenen Beinen stand, kam er in Kontakt mit meinem Kollegen Kevin Westphal, der zu dem Zeitpunkt Euronics Gaming gemanagt hatte. Die beiden kannten sich damals schon gut und waren sich sehr schnell einig, doch mal etwas zusammen zu machen. So kam dann die Idee zu Eintracht Spandau. Bei dem Projekt ging es darum: Was fehlt uns im E-Sport aktuell? Was sind Dinge, die wir vielleicht aus dem klassischen Sport kennen, die wir aber im E-Sport nicht sehen? Und wie können wir diese für uns nutzen? So wurde dann eine ganz bewusste Marke rund um Eintracht Spandau gebaut, die eine gewisse Fußballnostalgie der Achtziger mitbringt. Wir sagen immer „E-Sport trifft auf Stadionwurst“. Los ging es also mit der Schnapsidee, man möchte was im E-Sport-Bereich machen und dann hat man sich überlegt: Wie macht man das gut?
Und wie macht man es gut?
Wir hatten insofern den Vorteil, dass wir recht jung sind. Wir sind erst 2021 an den Start gegangen, also konnten wir aus den Fehlern, die andere Teams vor uns gemacht haben, lernen. Wir konnten schauen, was gut läuft und haben versucht, das für uns zu adaptieren. Wir haben von Anfang an auch gesagt: Wir wollen eine Marke sein. Wir wollen für etwas stehen. Wir wollen Werte vertreten. Wir wollen aber vor allem auch emotional, regional und identitätsstiftend sein. Lieber hassen uns Leute, als dass sie keine Meinung zu uns haben. Wir hatten das Gefühl, dass viele Teams, die in der Branche agieren, auf eine gewisse Art austauschbar waren. Man könnte so eine Art Blindverkostung machen: Du nimmst fünf Posts von fünf Teams und lässt raten, von welchem Team diese sind. Man hätte Schwierigkeiten, das zuzuordnen, weil sie in der Art, wie sie kommunizieren, sehr ähnlich waren. Es hat sich ein gewisser Standard etabliert, von dem wir uns bewusst absetzen. Dabei setzen wir auf Dinge, die man aus dem klassischen Sport kennt und die man im E-Sport noch nicht hatte. Das ist zum einen die Verbindung zur Region. Wir wollen Spandau stolz auf der Brust tragen, wir wollen Gesichter schaffen, mit denen sich Fans identifizieren können. Und wir wollten das Ganze emotional aufladen. Wir nutzen Begriffe, die man im regulären Sport gelernt hat. So was wie Derby. Da steckt direkt Feuer drin. Wir wollen eine emotionsgeladene Message, um die Fans sofort einzuheizen.
Aber sind diese Fußballromantik und E-Sport wirklich eine Kombi, die funktionieren kann?
Die Fußballromantik ist bei uns ja immer mit einem gewissen Augenzwinkern zu sehen. Wir machen uns hier und da ja auch über den Profifußball lustig. Wir machen Sportsatire – das funktioniert sehr gut. Teilweise sind es Leute, die dem Fußball enttäuscht den Rücken zugekehrt haben, die jetzt froh sind, eine neue sportliche Heimat gefunden zu haben. Und teilweise sind es begeisterte E-Sport-Fans, die sich einfach freuen, dass es ein wenig emotionaler zugeht. Insbesondere in den ersten Wochen haben wir extrem viel Zuschriften von Menschen erhalten, die sich nur wegen uns auf einmal mit E-Sport auseinandergesetzt haben, weil sie durch uns verstanden haben: Das ist ein Sport, der hier passiert. Die Einstiegshürden erscheinen im ersten Moment sehr hoch. Wenn man das aber übersetzt, zum Beispiel mit Begriffen wie Derby, dann fühlt man sich leichter in der Lage, das zu verstehen und nachzuvollziehen. Daher funktioniert das wirklich gut für uns.
Ihr arbeitet viel mit Stereotypen. Gibt es den stereotypen E-Sportler?
Ich glaube, viele Stereotypen, wenn nicht sogar alle, existieren, weil ein gewisser Kern Wahrheit darin steckt. Ich denke aber, der stereotype E-Sportler hat sich in den letzten Jahren sehr gewandelt. Wenn wir uns hier den Profibereich anschauen, dann sind das Menschen, die in der Regel mental und körperlich extrem fit sind. Die sehr gut darin sind, ein Team zusammenzuhalten. Die hart trainieren. Teilweise 50 bis 60 Stunden die Woche. Das ist eigentlich sehr gut vergleichbar mit anderen Profisportlern. Das ist mit Sicherheit nicht mehr das Stereotyp, das man vor 20 Jahren im Kopf hatte, wenn man an E-Sport gedacht hätte.
Wie hat sich die E-Sport-Szene in den vergangenen Jahren denn generell entwickelt?
Der E-Sport ist ja doch schon relativ alt. Jung für Sport, aber dennoch mit einer großen Historie. Man hatte verschiedene Phasen. Die E-Sport-Community hat sich zu Beginn international zusammengeschlossen. Man hat Gleichgesinnte gesucht, egal von wo. Dann kam etwa in den 2010er-Jahren der Wandel, dass auch vonseiten der Publisher, also der Firmen hinter den E-Sport-Titeln, immer mehr auch in regionale Ligen investiert wurde. Man hat immer mehr gemerkt, dass man einen Unterbau zu dem bauen muss, was international von alleine gewachsen ist, um sicher zu gehen, dass es eine Struktur gibt, die langfristig Wachstum und Talentförderung sicherstellt. Vergleichbar zum Fußball hat man also erst die Champions League und die Weltmeisterschaft geschaffen und dann die Kreisligen, um eine Durchlässigkeit nach oben zu ermöglichen. Der E-Sport wurde nationaler, ist global aber immer noch ein Riesenphänomen. Von Jahr zu Jahr wächst die Branche, was Zuschauerzahlen, Sponsorengelder und Interessierte angeht.
Dennoch gibt es immer noch große Diskussion darüber, ob E-Sport wirklich Sport ist oder nicht. Wie sehen Sie das – und warum?
Für uns ist die Sache ganz klar. Erstens: E-Sport ist ein sportlicher Wettkampf. Und zweitens: Es ist relativ egal, wie andere das sehen. Diese Diskussion, die seit Jahren im öffentlichen Raum geführt wird, ist mittlerweile für die E-Sport-Community gar nicht mehr so emotional. Weil uns allen klar ist: Es wird wachsen, egal, ob man diese Anerkennung bekommt oder nicht. Es hat natürlich einige Folgen, wenn es um die Gemeinnützigkeit geht, die meiner Meinung nach sehr wichtig für den E-Sport ist. Aber der Faktor, ist es ein Sport oder nicht, ist den meisten Menschen in der Community mittlerweile egal. Für die Branche ist das eine Scheindiskussion, die an der eigentlichen Sache vorbei geführt wird.
Welche Vorteile könnte denn eine solche Anerkennung bringen? Wo wir schon bei der Gemeinnützigkeit sind …
E-Sport hat enorm große Chancen, was den Breitensport angeht. Bisher ist E-Sport vor allem in Deutschland noch eine sehr profiteamgesteuerte Sache, aber immer mehr Vereine versuchen auch gerade im Breitensportaspekt die Möglichkeiten des E-Sports für sich zu nutzen. Und die sind eigentlich immens. In fast allen Vereinen hört man von Problemen, Nachwuchs in den Verein zu bekommen und es gibt in Deutschland mittlerweile zahlreiche Beispiele – unter anderem in Frankfurt oder Magdeburg – wo es geschafft wurde, durch den E-Sport eine tolle Jugendarbeit zusammenzustellen. Vor allem für Jugendliche, die zu Hause nicht die Mittel haben, zum Beispiel für die richtige Technik. Man kann sich im E-Sport toll austauschen. Online passiert das jeden Tag. Wenn man es schafft, diesen Austausch über den E-Sport auch in Jugendzentren oder Vereine zu bringen, wäre das eine wahnsinnige Chance für die Gesellschaft.
Seit Januar seid Ihr nicht nur digital, sondern auch analog auf dem Feld: Eintracht Spandau ist Teil der Baller League. Wie kam es dazu?
Die Baller League ist eine neue Hallenfußball-Liga, die sich als Aufgabe gesetzt hat, den Fußball wieder mehr „Straße“ werden zu lassen. Im Vordergrund stehen also Entertainment, die kostenlose Experience und vor allem der ehrliche Sport. Das alles verkörpern wir mit Eintracht Spandau ja auch. Ich sage immer: Wir sind der Stehblock, nicht die VIP-Loge – das meinen wir auch mit unserem Slogan „Hier is real“. So sind auch die Verantwortlichen der Baller League auf uns aufmerksam geworden. Die haben also mitbekommen, dass da ein Team gerade im E-Sport einige verrückte Dinge macht und uns gefragt, ob wir da mitmachen wollen würden. Wir mussten da gar nicht so lange überlegen: Auf der einen Seite haben wir Eintracht Spandau ja bereits fußballnostalgisch geplant, es passte also auch ideal zu unserer Marke. Gleichzeitig ist das natürlich auch für uns eine tolle Chance, wenn es darum geht, bei einem breiteren Publikum bekannter zu werden. Eine Chance, die wir fest vorhaben zu nutzen – so wie bisher zum Beispiel mit einem Einzug mit Blaskapelle oder unserem eigenen Mannschaftsbus. Selbst der echte Bürgermeister von Spandau war schon vor Ort.