Für viele Jugendliche ist es ein absoluter Traum: für den Lieblingsverein zu spielen. Aber nicht auf dem grünen Rasen, sondern vor der Konsole. E-Sport ist momentan in aller Munde. Und das nicht nur positiv. Personen aus dem Sportgeschäft sowie aus der Wissenschaft sehen die immer bedeutender werdende Sportart kritisch.
Eintracht Frankfurt hat es geschafft. Sie dürfen sich amtierender Deutscher Meister in der Bundesliga nennen. Jetzt werden sich Fußballfans die Frage stellen, ob sie entweder in den letzten Monaten etwas falsch verstanden haben oder die Eintracht aus Frankfurt mit dem FC Bayern München verwechselt wurde. Beides falsch. Die Hessen sind tatsächlich Deutscher Meister in Deutschlands höchster Spielklasse geworden. Aber nicht im Profifußball, sondern im E-Fußball. Genauer gesagt in der „Virtual Bundesliga“ (VBL). Diese Liga, die ausschließlich unter der Gattung E-Sport läuft, gibt es seit elf Jahren. Im Jahr 2012 startete die Deutsche Fußballliga (DFL) eine Kooperation mit dem Videospielanbieter EA Sports. Als Besonderheit kommt hinzu, dass die DFL Vorreiter in Sachen E-Sport ist. Denn als erste professionelle Fußballliga überhaupt startete der Verband einen E-Sport-Wettbewerb. Jörg Höflich, Head of VBL bei der DFL, blickt zufrieden auf die Entwicklung der Virtual Bundesliga: „Wir können schon mit Stolz darauf zurückblicken, was die Kollegen damals extrem weitsichtig mit EA Sports angegangen sind“.
Virtual Bundesliga seit elf Jahren aktiv
Nicht jeder blickt so positiv und stolz wie Höflich auf die aktuelle Entwicklung des E-Sports. So befassen sich beispielsweise Wissenschaftler mit der Thematik der mentalen Gesundheit der E-Sportler. In der Studie „eSport Studie 2023 Mentale Gesundheit im Gaming – Entspanntes Zocken oder angespannter Wettbewerb“, veröffentlicht vom Institut für Bewegungstherapie und bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation, ist genau abzulesen, ob die Gamer mit mentalen Problemen zu kämpfen haben. Die analysierten Ergebnisse besagen, dass ehemalige E-Profis häufiger von mentalen Problemen berichten.
17,3 Prozent der Befragten haben laut dem für die Studie angefertigten Fragebogen eine erhöhte Wahrscheinlichkeit in Bezug auf eine klinische Depression. Eine weitere Studie des Instituts für Bewegungstherapie und bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation der Deutschen Sporthochschule Köln beschäftigt sich mit der Schlafqualität der E-Sportler. Das Ergebnis: Die Akteure haben ein erhöhtes Risiko, an Schlafstörungen zu leiden. Als Begründung geben die Wissenschaftler an, dass das Spielen von Videospielen zu negativem Schlafverhalten führen kann. Als Ursachen werden beispielsweise der beleuchtete Bildschirm oder die aktivierende Wirkung eines Computers auf den Menschen genannt. Auch Kriminologen wie Christian Pfeiffer, langjähriger Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, sieht Probleme in der neuen Sportart. „Das ist eine Einstiegsdroge. Darüber finden die Jungs den Zugang zu anderen Spielen“, so Pfeiffer. Der Nährboden seiner Kritik sind Erkenntnisse der Forschung: „Die bundesweit wachsende Leistungskrise der männlichen Jugendlichen und jungen Männer beruht in hohem Maß auf einem Anstieg der Intensität und täglichen Dauer ihres Computerspielens.“ Deshalb sei der E-Sport laut dem 79-Jährigen ein „Leistungskiller“.
Nicht nur Wissenschaft und Kriminologen, auch der bedeutendste Verband in der deutschen Sportwelt, der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), ist gegenüber dem E-Sport kritisch eingestellt. In einem offiziellen Statement auf der Verbandswebsite argumentieren sie, warum sie den elektronischen Sport nicht als eigentlichen, traditionellen Sport ansehen. Als eine Begründung gibt der DOSB das Geschäftsmodell des E-Sports an: „Im Gegensatz zu dem gemeinwohlorientierten Sport, den der DOSB mit seinen Vereinen und Verbänden vertritt und in dem Entscheidungen über Regeln, Spiel- und Wettkampfsysteme demokratisch getroffen werden, stehen im E-Sport gewinnorientierte global agierende Unternehmen im Vordergrund. Einzig und allein diese Unternehmen entscheiden über Regeln, Inhalte und Spielformen.“ Ein nächster Punkt des DOSB ist die Gewaltverherrlichung in den jeweiligen Videogames: „In vielen Spielen ist die Vernichtung und Tötung des Gegners das Ziel des Spiels. Insbesondere die deutlich sichtbare und explizite Darstellung des Tötens von virtuellen Gegnern ist mit den ethischen Werten, die wir im Sport vertreten, nicht vereinbar.“
„E-Sport und all das macht mir richtig Angst“
Neben dem DOSB kritisieren auch Funktionäre die E-Sport-Aktivität. Beispielsweise sieht der Ehrenpräsident des FC Bayern München, Uli Hoeneß, ein grundlegendes Problem: „Heute sehe ich fast nie Kinder auf der Wiese Fußball spielen.“ Eine Mitschuld gibt der 71- Jährige dem virtuellen Sport: „Dieses ganze elektronische Zeug, E-Sport und all das, macht mir richtig Angst.“ Auch sein sportliches Gegenüber, BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, sieht den Sport an der Konsole äußerst kritisch. Die Hauptsorge des 64-Jährigen besteht darin, dass die aktuelle Generation an Jugendlichen nicht mehr selbst die Sport- oder Fußballschuhe schnüren würde, um auf den Sportplatz zu gehen. Viel lieber sitzen sie vor den Videospielen und kicken auf dem virtuellen Rasen. „Meine Kinder mussten eine Mannschaftssportart betreiben, und es ist meine große Sorge, dass dies wegfällt. Wer an der Konsole gewinnt, ist für mich kein Held“, so der BVB-Boss. Ähnlich sieht es auch der ehemalige DFB-Präsident Reinhard Grindel: „Fußball gehört auf den grünen Rasen und hat mit anderen Dingen, die computermäßig sind, nichts zu tun. E-Sport ist für mich kein Sport.“
Die Zukunft wird zeigen, inwieweit die Kritiker ihre Meinungen verstärken können. Fest steht, dass die Thematik des E-Sports im Zuge der Digitalisierung nicht kleiner wird. Ob dann die Kritiker immer noch standhaft bleiben, ist abzuwarten. Sicher ist nur eins: Die Frage, ob der E-Sport eine Sportart ist, wird noch lange ein Wegbegleiter des Sports bleiben. In „traditioneller“ und in elektronischer Form.