In den letzten 70 Jahren hat sich der E-Sport vom Nischenprodukt zum milliardenschweren Massenphänomen entwickelt. Dabei entstand der Breitensport erst spät – als Nachahmung der Profi-Szene.
Auch wenn der Begriff „E-Sport“ für sportliche Wettkämpfe mit Computer- und Videos-Games im Einzel- oder Mehrspielmodus erst in den 1990er-Jahren gebräuchlich wurde: Die zunächst noch sehr bescheidenen Anfänge des heutigen Milliardenmarkts reichen bis in die frühen 1950er-Jahre zurück. Mit etwas gutem Willen könnte man schon „Cathode-ray tube amusement device“ als frühestes interaktives elektronisches Computerspiel ansehen, das 1947 vom amerikanischen Physiker Thomas T. Goldsmith Jr. und dem Ingenieur Estle Ray Mann für einen Röhrenrechner zum Patent angemeldet wurde. Doch gemeinhin werden zwei andere Spiele als E-Sport-Wegbereiter genannt: Das vom britischen Informatik-Professor Alexander Shafto Douglas 1952 entwickelte „OXO“, das „Tic-Tac-Toe“ ähnelt, sowie „Tennis for Two“ vom amerikanischen Physiker William Higinbotham. Dies orientierte sich an einer real existierenden Sportart und war ein mit einer Vorform des Joysticks handelbares Mehrspieler-Game. Das erste Spiel für digitale Computer war „Spacewar!“, bei dem zwei Gamer mit jeweils einem Raumschiff gegeneinander antraten. Es wurde unter Federführung des US-Informatikers Steve Russell 1962 veröffentlicht. Es sollte noch im Jahr 2007 von der „New York Times“ in einem Ranking der zehn wichtigsten Computer-Spiele aufgenommen werden. Zugang zu diesen frühen Spielen hatten wegen der nur unzureichend vorhandenen (Großrechner-) Hardware allerdings nur wenige, vor allem an Universitäten oder Forschungseinrichtungen beschäftigte Personen.
Erstes E-Sport-Turnier 1962 mit 24 Gamern
Kein Wunder daher, dass am ersten, von der kalifornischen Stanford University organisierten E-Sport-Turnier der Geschichte, den „Intergalactic Spacewar Olympics“, im Oktober 1962 gerade mal 24 Gamer teilnahmen. Dabei wurde der Sieger mit dem bescheidenen Preis eines Jahresabonnements für das Magazin „Rolling Stone“ belohnt.
Mit dem Aufkommen günstigerer Heimcomputer und der verbesserten Fernsehtechnologie begann in den 1970er-Jahren der erste Aufschwung des E-Sports. Wobei vor allem die ersten Spielekonsolen, die an ein TV-Gerät angeschlossen werden konnten, mit der 1972 lancierten „Magnavox Odyssey“ als Vorreiter für Furore sorgten. Als Alternative zur Anschaffung einer eigenen Spielekonsole entwickelten sich die Videospielhallen mit elektronischen Geräten („Arcade-Automaten“) zu einem Publikumsrenner. Zwar konnten diese Münzautomaten selbst in ihren Hochzeiten zwischen 1978 und 1982 nicht ganz an die Beliebtheit von Billard oder Flipper heranreichen, wurden aber dennoch ein Milliardengeschäft.
Zunächst war das von Atari 1972 veröffentlichte und dem Tischtennis verwandte Spiel „Pong“ am beliebtesten. Es erhielt aber bald schon Konkurrenz durch „Space Invaders“ (1978), „Pac-Man“ (1980) und „Donkey Kong“ von Nintendo (1981). Die konnten allesamt wenig später auch ihren Durchbruch bei den zu Massenprodukten aufsteigenden Heimkonsolen feiern. Dies war fraglos auch dem Push durch das E-Sport-Mega-Event „Space Invaders Championships“ zu verdanken, das 1980 von Atari in den USA organisiert wurde und mehr als 10.000 Teilnehmer anzog. Die Konsolen sollten jedoch im Laufe der 1980er-Jahre immer größere Konkurrenz durch Spiele auf Heimcomputern bekommen.
Das Problem der Vergleichbarkeit von individuellen Leistungen von Spielern wurde nach und nach durch die Einführung von Highscore-Listen angegangen. Die konnten rudimentär zwar auch schon bei ersten Arcade-Spielen wie „Space Invaders“ erstellt werden. Doch die erste überregionale Bestenliste für Videospiele wurde erst 1982 durch den amerikanischen Spielhallenbesitzer Walter Day mit seinem „Twin Galaxies National Scoreboard“ erstellt. Darüber hinaus gründete Day 1983 mit dem „US National Video Game Team“ die erste professionelle Gamer-ÂMannschaft der Welt und veranstaltete im gleichen Jahr das erste landesweite Video-Game-Turnier der USA mit der „North American Video Game Challenge“. Walter Day gilt daher als einer der herausragenden E-Sport-Pioniere.
1990 war Anfang des lokalen Multiplayers
Dank verbesserter Grafiken und Soundkarten wurde der Personal Computer ab Mitte der 1980er-Jahre für die Gamer im Vergleich zu Heimcomputern und Konsolen zunehmend interessanter. Doch die größte Innovation sollte das Aufkommen des Internets werden. 1988 kam denn auch mit „Netrek“ das erste kostenlose Multiplayer-Computerspiel der Welt auf den Markt, bei dem sich bis zu 16 Gamer via Internet aneinander messen konnten. Wie zu den Frühzeiten der Videospiele konnten aber nur wenige Menschen „Netrek“ spielen, weil zunächst hauptsächlich wissenschaftliche Institutionen Zugang zum Internet hatten. Anfang der 1990er-Jahre konnten Gamer ihre PCs und Heimcomputer erstmals in einem lokalen Netzwerk miteinander verbinden. Die Spieler nutzten diese neue Option zum Abhalten sogenannter LAN-Partys, die sich schnell verbreiteten. Aus diesen Treffen gingen die frühen organisierten Mannschaften, sogenannte Clans hervor (in Deutschland 1996 „Ocrana“ oder „Clans SK Gaming“ 1997), die das professionelle Spielen entscheidend vorantrieben. Sie maßen sich in Turnieren wie dem 1999 in Duisburg mit 1.600 Teilnehmern abgehaltenen „Gamers Gathering“ oder dem 2004 im schwedischen Jönköping mit 5.272 Spielern über die Bühne gehenden „Dream Hack“.
Spiele wie „Doom“ (1993) oder „Quake“ (1996) waren Meilensteine neben weiteren Konsolen-Klassikern auf der Play Station von Sony oder dem Nintendo-Imperium. Das Multiplayer-Spiel „Counter-Strike“ von Valve aus dem Jahr 2000 nicht zu vergessen, das bis heute eines der erfolgreichsten Spiele in der E-Sport-Geschichte darstellt. Ende der 1990er-Jahre wurden die ersten europäischen E-Sport-Ligen gegründet, beispielsweise 1997 die Electronic Sports League, deren Besitzer ESL Gaming heute als größter E-Sport-Turnierveranstalter der Welt gilt und in der aktuell 4,4 Millionen Gamer registriert sind. Oder die Clan-Base von 1997. Ab 1998 stieg der US-Amerikaner Jonathan „Fatal1ty“ Wendel durch seine Siege bei Wettbewerben der „Quake“-Spielserie zum ersten Superstar des E-Sports auf und konnte bis 2006 Preisgelder in Höhe von 450.000 Dollar einsammeln.
Eine zentrale Vorreiterrolle für den heutigen E-Sport sollte Südkorea übernehmen. Dort wurde durch die Gründung des nationalen E-Sport-Verbandes Korean e-Sports Association (KeSPA) im Jahr 2000 nicht nur eine professionelle Infrastruktur geschaffen, sondern der Verband wurde von Anfang an von der Politik unterstützt und konnte dadurch schnell in die klassischen Sportverbände eingebunden werden. Zudem machten die Südkoreaner, die wegen der hohen Zölle auf Spielekonsolen vor allem PC-Games wie „Star Craft“ bevorzugten, vor, wie sich E-Sport lukrativ vermarkten ließ. Beispielsweise durch Übertragungen von Turnieren wie den ersten „World Cyber Games“ im Fernsehen oder der Gewinnung von zahlungswilligen Sponsoren wie Samsung oder der SK Telekom. Südkorea gilt daher als Pionier für die Professionalisierung des digitalen Wettbewerbs. Seinem Beispiel sollten über die Jahre weitere Länder mit der Gründung eigener E-Sport-Verbände und -Ligen oder dem Mitwirken von Sponsoren oder TV-Sendern folgen. Wichtige Spiele-Plattformen bei Youtube, Twitch oder Facebook nicht zu vergessen.
TV, Youtube, Twitch und Facebook
Lag anfangs der Schwerpunkt bei Turnieren noch auf PC-Spielen, wurden nach und nach auch Konsolentitel wie „Halo 2“ in den internationalen Wettbewerbskanon aufgenommen. Bei der in zehn Metropolen ausgetragenen „CPL World Tour“ 2005 wurde erstmals um ein Preisgeld von einer Million Dollar in der Disziplin „Painkiller“ gekämpft. Seit dem Jahr 2014 werden bei den größten Turnieren für Titel wie „League of Legends“ (von Riot Games), „Dota 2“ (Valve), „Overwatch“ (Blizzard), „Fortnite“ (Epic Games) oder „FIFA“ (Electronic Arts) teilweise achtstellige Millionenbeträge ausgeschüttet. Das meiste Geld können Gamer beim „Dota 2“-Turnier „The International“ abräumen (Höchstsumme bislang 2021 mit rund 40 Millionen Dollar). Kein Wunder daher, dass sich die aktuelle Top Ten der E-Sport-Spitzen-Verdiener mit dem Dänen Johan Sundstein (Preisgeld bislang: sieben Millionen Dollar) an erster Stelle, gefolgt vom Finnen Jesse Vainikka (6,4 Millionen Dollar) und dem Australier Anathan Pham (sechs Millionen Dollar) auf die „Dota 2“-Disziplin spezialisierte.
Vor allem bei der jüngeren Generation genießen diese Pro-Gamer genannten Spieler inzwischen den Status von Film- oder Popstars. Die großen Turniere finden in stets ausverkauften Hallen statt und können sich eines stetig wachsenden Publikumsinteresses dank TV und Online-Streaming-Plattformen erfreuen (Schätzungen zufolge soll sich die Zahl der E-Sport-Begeisterten schon auf rund 650 Millionen belaufen). Die Umsatz-Milliardengrenze konnte schon im Jahr 2021 geknackt werden, auch weil sich immer mehr Investoren fernab der Games- oder IT-Branche in diesem lukrativen Markt engagieren. In Deutschland sollen sich schon mehr als 13 Millionen Bundesbürger regelmäßig bei E-Sport-Events einklicken. Hiesige Top-Talente werden seit 2020 von der in Köln ansässigen Esports Player Foundation gefördert. Um das Jahr 2015 herum sprang der Funke im E-Sport von der Profi-Szene auf den Breitensport über. Es kam weltweit zur Gründung von neuen Amateurvereinen oder zur Bildung von E-Sport-Abteilungen in klassischen Sportclubs (wie hierzulande in den meisten Bundesligavereinen oder in den USA in der NBA oder NFL). Als gesamtdeutscher Spitzenverband wurde 2017 der eSport-Bund Deutschland ins Leben gerufen.