Franz Wagner knüpft in der NBA da an, wo er bei der WM aufgehört hat. Inzwischen hat er auch Weltmeister-Kapitän Dennis Schröder den Rang abgelaufen. Der macht in New York mal wieder einen Neuanfang – notgedrungen.
Aufregung gehört zum Milliardengeschäft der NBA immer dazu, doch am 8. Februar lag wieder einmal eine besonders große Spannung in der Luft. Die NBA Trade Deadline sorgt Jahr für Jahr für reichlich Spekulationen, teils spektakuläre Wechsel und nicht selten für scheinbares Chaos. Die Manager sind mega gestresst, die Fans – je nach Blickwinkel – euphorisiert oder tieftraurig. Und die Spieler? Sie können das ganze Treiben hinter den Kulissen meist nur machtlos beobachten. Sie werden bei den kurzfristigen Deals von den Clubbossen in der Regel nicht miteinbezogen, ohne eine sogenannte No-Trade-Klausel im laufenden Vertrag können sie jederzeit von einem Club zum anderen „versetzt“ werden.
„Das Team entscheidet“
„Das Team entscheidet, ob es dich noch haben will oder nicht. Wir haben gar kein Mitspracherecht“, sagte Dennis Schröder einmal: „Es ist immer Gerüchteküche. Jeder schreibt, jeder will relevant sein, aber es ändert nichts.“ Der deutsche Weltmeister-Kapitän stand in diesem Jahr unter besonderer Beobachtung, weil sein erst im vergangenen Sommer unterschriebener Vertrag bei den Toronto Raptors 2025 schon wieder auslief und mit 25 Millionen US-Dollar relativ günstig dotiert war. Und tatsächlich hieß es für den 30-Jährigen und seine Familie am Ende der Trade-Phase: Koffer packen und umziehen. Die Brooklyn Nets sicherten sich den Zuschlag für den Point Guard, es ist bereits seine siebte Franchise in der nordamerikanischen Profiliga. So sei nun mal das Geschäft, meinte Schröder, „das habe ich nach zehn Jahren verstanden. Wenn sich etwas ändert, muss man nach vorne schauen und weitermachen.“
Auch die Brüder Franz und Moritz Wagner schauten gebannt auf den Trade Day, auch wenn es um sie keine größeren Spekulationen gab. Aber man weiß ja nie. „Man redet schon darüber, das ist ja ganz normal“, sagte Moritz Wagner (26), der gemeinsam mit seinem vier Jahre jüngeren Bruder Franz bei Orlando Magic unter Vertrag steht. Und das nun schon seit 2021, als Moritz von den Boston Celtics zur Franchise in Florida gewechselt war und Franz beim NBA-Draft an achter Stelle von Orlando gezogen wurde. Das höchst seltene Glück, als Brüder für ein Team in der besten Basketballliga der Welt spielen zu dürfen, gerät beim Trade Day immer ein wenig in Gefahr. „Man genießt umso mehr die Zeit zusammen und versteht, dass es sehr einzigartig ist“, sagte Moritz Wagner.
Doch Magic sah diesmal keinen Grund, ihren Kader für den Rest der Saison noch mal zu verändern. Nach Jahren des strategischen Aufbaus in der Kaderstruktur sehen die Verantwortlichen das Team auf einem guten Weg, in naher Zukunft vielleicht sogar mal um den Titel spielen zu können. Auf jeden Fall ist die sportliche Entwicklung positiv, die Mannschaft um Trainer Jamahl Mosley hat realistische Chancen auf die Play-off-Teilnahme in diesem Jahr. Die Wagner-Brüder haben am Aufschwung großen Anteil. Spieler wie sie werden in der NBA gern als „Glue Guys“ bezeichnet, also Spieler, die als Klebstoff (Glue) innerhalb eines Teams wirken. Sie spielen nicht immer spektakulär, sorgen aber mit ihrer Mentalität und Bereitschaft, auch undankbare Aufgaben zu übernehmen, für Zusammenhalt. Headcoach Mosley schätzt daher auch die „Basketball-Intelligenz und natürliche Wettkampfhärte“ von Franz und Moritz Wagner: „Sie versuchen Wege zu finden, um immer zu gewinnen. Ich glaube, das ist es, was sie in die Gruppe einbringen. Diese zwei Jungs sind einfach unglaubliche Wettkämpfer.“
Das haben sie auch schon bei der Weltmeisterschaft im vergangenen Sommer in Asien bewiesen, als sie mit dem DBB-Team sensationell den WM-Titel gewonnen haben. Mit gestärktem Selbstbewusstsein und auch einem größeren Standing innerhalb des Teams knüpfen die beiden deutschen Profis auch in Orlando an diese Leistungen an – allen voran Franz. Er spielt seine bislang stärkste Saison in der NBA, das belegen auch die Statistiken: Nach den ersten 46 Spielen erzielte er im Schnitt 21,1 Punkte, was eine deutliche Steigerung zu seinen ersten beiden Spielzeiten 2022/23 (18,6) und 2021/22 (15,2) ist. Auch bei der Anzahl der Assists (4,0) und Rebounds (5,7) hat sich der Small Forward verbessert. Sein Offensivrepertoire hat er ausgebaut, ist dadurch noch unberechenbarer für die Gegner geworden. Auch wenn sich diese nun verstärkt auf ihn konzentrieren, wenn sie die Offensive von Orlando aus dem Spiel nehmen wollen. Aus dem einst hochtalentierten Rookie ist längst ein Star der NBA geworden, auch wenn er sich niemals als ein solcher inszenieren würde. Doch er hat sich in der Szene längst einen Namen gemacht und einen exzellenten Ruf erarbeitet. Intern wissen sie bei Magic schon lange, was sie an dem 22-Jährigen haben.
Natürliche Wettkampfhärte
Trainer Mosley geriet nach der Wagner-Gala beim 111:99-Sieg bei den Detroit Pistons Anfang Februar mächtig ins Schwärmen, als er die 38 Punkte und die persönliche Bestleistung des deutschen Spielers bewerten sollte. „Franz war unglaublich, er spielte so selbstsicher“, sagte Mosley, dem eine statistische Besonderheit besonders ins Auge fiel: „Er hat 38 Punkte erzielt, ohne einen einzigen Freiwurf zu werfen.“ Das, betonte der Coach, sei „beeindruckend. Das ist das höchste Level.“ Vor allem in der zweiten Halbzeit gegen die Pistons, als es wirklich zählte, bewies Franz Wagner, dass er mittlerweile zu den Topspielern der NBA zählt. Er traf alle seine ersten zehn Versuche aus dem Feld im zweiten Durchgang und spielte sich in einen kleinen Rausch.
Der Sieg gegen Detroit und Einstellung seines Punkterekords aus seiner Rookie-Saison Ende Dezember 2021 war der Lohn für die Mühen. Seine eigenen Worte klangen nach dem Duschen und dem Cooldown aber etwas reservierter: „Ich war gut im Rhythmus“, sagte der gebürtige Berliner hinterher bescheiden. Aufgedreht habe er vor allem, weil es das Team gebraucht habe. „Wir lagen früh zurück, deswegen habe ich versucht, in die Zone zu kommen und Aktionen zu forcieren.“ Und auch ein Lob an die Kollegen vergaß Wagner nicht. Eine Leistung wie seine eigene sei „um einiges einfacher, wenn die anderen ihre Würfe so treffen, wie sie das diesmal getan haben“.
Franz Wagner, der Teamplayer. Orlando wusste schon 2021, dass sie sich nicht die Dienste eines egozentrischen Scorers sichern, sondern die eines fleißigen Allrounders. Eines Sportlers, der aufgrund seiner 2,08 Meter Körperlänge auch unter dem Korb gut ist, der für seine Größe relativ beweglich und schnell ist, der einen soliden Wurf – auch aus der Distanz – mitbringt, der auch im Pass-Spiel wenig Fehler macht. Auch defensiv überzeugt Wagner aufgrund seiner Spielintelligenz. Gegen die ganz großen Brocken kann er körperlich zwar nicht immer mithalten, und auch die extrem quirligen Point Guards muss er mitunter passieren lassen. Aber mit seiner starken Antizipation, seiner Aggressivität und Lauffreude macht er es nahezu jedem Gegenspieler schwer.
Bei allem Talent und der positiven Entwicklung sieht der Weltmeister aber auch noch Steigerungsbedarf bei sich selbst. „Ein Aspekt in meinem Spiel, den ich verbessern möchte“, verriet er, „ist, langsamer zu werden, wenn ich nah am Korb bin“. Das klingt im schnellen Basketballsport zunächst kontraproduktiv, doch Wagner erklärt: „Diese Verzögerung bringt mir mehr Kontrolle beim Abschluss und hilft mir, weniger schwierige Würfe von außen zu nehmen.“ Als Vorbild könnte in dieser Hinsicht Superstar Luka Doncic von den Dallas Mavericks dienen, der gekonnt das Tempo aus seinen Aktionen drosseln kann, um den Gegenspieler auszugucken und auszutricksen. Und noch an einer anderen Sache will Franz Wagner künftig verstärkt arbeiten: „Mit Körperkontakt anzugreifen ist etwas, was ich noch vertiefen will.“ Dies bedeute zwar mehr Schmerz und auch mehr Risiko, bringe aber auch „öfter Freiwürfe“. Und das sind im Basketball einfache Punkte, die die Scorer-Zahlen der meisten Topstars in die Höhe schrauben lassen.
Mehr Kontrolle über den Abschluss
Dass sein persönliches Rekord-Spiel gegen Detroit kein Ausrutscher nach oben war, bewies Franz Wagner drei Spiele später, als ihm satte 36 Punkte gelangen. Er führte sein Team zum 114:108-Sieg nach Verlängerung gegen die Chicago Bulls und stellte erneut die Teamleistung in den Vordergrund: „Im Allgemeinen haben wir den Ball besser laufen lassen und gute Lösungen gefunden.“ Doch Wagner kann auch anders, nach Niederlagen spricht er als Führungsspieler inzwischen Klartext. Nach dem enttäuschenden 95:121 gegen die Miami Heat kritisierte er öffentlich: „Wir waren nicht physisch genug, hatten zu viele Turnover, zu viele Offensivrebounds.“ Das sei zwar „kein Weltuntergang“, so Wagner, „aber wir müssen aus den Spielen lernen, damit wir es in den nächsten Spielen besser umsetzen können“.
Gut für Orlando, dass Wagner nach seiner Sprunggelenksverletzung, wegen der er acht Saisonspiele verpasste, inzwischen wieder komplett fit ist. Zunächst war ein Bänderriss befürchtet worden, was ein herber Rückschlag für den Club im Play-off-Rennen gewesen wäre. Franz Wagner ist inzwischen nur ganz, ganz schwer zu ersetzen. „Er ist allein wegen seiner Größe ein sehr effizienter Rollenspieler und hat ein gutes Gefühl“, lobte sogar Pistons-Trainer Monty Williams. Dass er das Wort „Rollenspieler“ für Franz Wagner benutzte, zeigt aber auch, dass der Deutsche bei einigen noch immer etwas unter dem Radar läuft. Doch das muss kein Nachteil sein.
Und Schröder? Der legte bei seinem neuen Club einen perfekten Einstand hin. Beim 123:103 in seinem ersten Spiel für die Brooklyn Nets gegen die San Antonio Spurs gelangen Schröder 15 Punkte und zwölf Assists. „Es war großartig“, sagte er hinterher. Dass er den Wechsel nicht wirklich forciert hatte und er auch mit der Metropole New York etwas fremdelt („Ich komme aus Braunschweig in Deutschland mit nur 250.000 Einwohnern, einer kleinen Stadt“) – vielleicht spielt das am Ende alles keine Rolle. „Du spielst am Ende immer noch in der NBA. Du bist immer noch einer von 400 Leuten auf der Welt, die in der NBA spielen“, sagte Schröder.