Auch nach Wochen gehen Kundgebungen gegen Rechtsextremismus ungebrochen weiter. Ebenso der Versuch, abzuwiegeln und zu verharmlosen. Dahinter steht ein systematisches Konzept rechter Vordenker.
Auf Straßen und Plätzen versammeln sich weiterhin Tausende, in größeren Städten auch mehrere zehntausend Menschen, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren. Großdemonstrationen gibt es auch gegen Veranstaltungen der AfD, wie in Saarbrücken, wo etwa 7.000 Menschen gegen einen sogenannten „Bürgerdialog“ demonstrierten, oder zuletzt in Münster, wo nach Polizeiangaben gut 30.000 Menschen gegen einen AfD-Empfang protestierten.
Bei deren Versammlungen haben sich inzwischen eigene Rituale entwickelt. Eines davon ist die Begrüßung zu einem „Geheimtreffen“. Damit eröffnete auch der saarländische Bundestagsabgeordnete Christian Wirth eine Versammlung unter Applaus von Anhängern. Andernorts dürfte es ähnlich verlaufen. Dazu gehört auch, die Demonstrationen als staatlich oder medial (oder beides) gelenkt herabzuwürdigen, den „Lügenmedien“ eine „Hetzkampagne“ vorzuwerfen.
Herabwürdigen und provozieren
Es ist der Versuch, nach den Recherche-Veröffentlichungen, die bundesweit millionenfachen Protest ausgelöst haben, die eigenen Strategien zu verschleiern und zu verharmlosen, und wohl auch, die durch öffentliche Proteste verunsicherten Anhänger zusammenzuhalten.
Die Doppelstrategie aus Provokation und Verharmlosung ist nicht nur Reaktion auf die aktuellen Entwicklungen, sondern hat Methode. „Immer sprechen deren Vertreter von Einzelfällen, von Denunziation, Verfolgung“, stellt der Trierer Politikwissenschaftler Markus Linden dazu in einer Veranstaltung der Stiftung Demokratie Saarland fest. Er beschäftigt sich seit Jahren mit den Entwicklungen und Methoden, die zu einer „Normalisierung rechter Ideen“ führen. Von dem Treffen bei Potsdam war er, wie viele Experten, nicht überrascht. Zusammenkünfte von Partei und Vorfeld seien schon eher Alltag und gehören zum Konzept der sogenannten „Mosaikrechten“. Mosaik deshalb, weil rechte Bewegungen selbst in sich vielfältig und alles andere als einheitlich sind. Gleichzeitig gehört es zur Strategie, Bewegungen, Partei und sogenannte Bewegungsintellektuelle zu vernetzen.
Linden, Experte für Parteienforschung und Rechtspopulismus, lenkt die Aufmerksamkeit dabei vor allem auf die Teilnahme von Vertretern der Werteunion. Ein Beispiel dafür, dass es um die Einbindung von Leuten geht, die dazu beitragen können, „Begriffe sagbar zu machen, den Raum des Sagbaren zu erweitern“. Dabei spiele Hans-Georg Maaßen eine besondere Rolle. Als früherer Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz sei er ein „Kenner szenespezifischer Sprache“. Angeblich soll Maaßen bei früheren Treffen mit führenden AfD-Politikern noch während seiner Amtszeit Hinweise gegeben haben, wie sie einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz entgehen könnten. Für diesen Vorwurf gibt es aber außer der Behauptung eines früheren AfD-Mitglieds keine Beweise. Maaßen war nach seiner Versetzung in den Ruhestand für eine Anwaltskanzlei tätig, die damals unter anderem die AfD vertrat. Er soll aber nach Auskunft der Kanzlei nicht mit Mandaten in diesem Zusammenhang betraut gewesen sein. Im Zusammenhang mit der „Ibiza-Affäre“ sagte Maaßen (2019 in der „Bild“): „Für viele linke und linksextreme Aktivisten rechtfertigt der ‚Kampf gegen rechts‘ jedes Mittel. Ich bin da anderer Meinung. Der Einsatz derartiger aktiver Maßnahmen ist ein Tabubruch.“ Ähnlich reagiert heute die AfD auf die „Correctiv“-Recherchen, die sie als illegale Geheimdienstaktion bezeichnet.
Aus Sicht von Linden spielt keine besondere Rolle, wenn in Teilen der Rechten jetzt gegen die Parteigründung von Maaßens Werteunion gewettert wird. Viel entscheidender ist, dass über solche Wege ein bestimmtes Gedankengut „an die Ränder des Parteienspektrums getragen“ wird, damit eben der „Raum des Sagbaren“ verbreitert wird. Neben Maaßen sieht Linden dabei auch bei Hubert Aiwanger eine bedenkliche Entwicklung, wenn der Sätze vom Stapel lässt wie „Demokratie zurückholen“ oder der Bundesregierung eine absichtliche Zerstörung Deutschlands vorwirft. Bekannte AfD-Sätze, zu denen der bayrische Vize-Ministerpräsident und Freie-Wähler-Chef Aiwanger sagt: „Nur weil irgendwann mal ein AfDler etwas ähnliches gesagt hat, ist das noch lange kein Tabu-Satz für jeden anderen.“
Die Doppel-Strategie der „Mosaikrechten“ aus gespielter Harmlosigkeit und Angriffslust scheint zumindest in Teilen zu funktionieren, soweit sie auf Selbstverharmlosung und Provokation setzt.
Markus Linden legt Wert darauf, sich bei seinen Analysen nur auf Zusammenhänge zu beziehen, deren Quellen für ihn als Wissenschaftler überprüfbar sind. Dazu gehören dann eben auch die Original-Veröffentlichungen wesentlicher Protagonisten der rechten Szene oder das, was in einschlägigen Medien der Szene selbst veröffentlicht ist.
Geplante Diskursverschiebung
Die Thesen des Vordenkers der Rechten, Götz Kubitschek, lassen sich bei der von ihm selbst herausgegeben Zeitschrift „Sezession“ nachlesen, in deren Selbstbeschreibung es heißt: „Vieles, was an der AfD und an anderen Widerstandsprojekten grundsätzlich, kompromisslos, nicht verhandelbar und angriffslustig wirkt und ist, wurde in unserer Zeitschrift vorausgedacht, ausformuliert und in die Debatte erst eingespeist.“
So beschreibt Kubitschek in Texten von 2017 und 2019 drei Methoden. „Die eine besteht darin, in Grenzbereichen des gerade noch Sagbaren und Machbaren provozierend vorzustoßen und sprachliche oder organisatorische Brückenköpfe zu bilden, zu halten, zu erweitern und auf Dauer zum eigenen Hinterland zu machen. Das ist – ins Zivile übersetzt – nichts anderes als die Schaffung neuer Gewohnheiten.“ Zum zweiten gehe es darum, die „emotionale Barriere einzureißen“, und dabei helfe eben die „Selbstverharmlosung“ und „zu betonen, dass nichts von dem, was man fordere, hinter die zivilgesellschaftlichen Standards zurückfalle“.
Womit Kubitschek schon vor Jahren vordachte, was derzeit in der Praxis als Reaktion zu beobachten ist: Treffen wie in Potsdam werden als „privat“ verharmlost und unermüdlich wird beteuert, dass mit „Remigration“ keine massenhaften Deportationen gemeint seien, sondern „nur“ die Abschiebung von Ausreisepflichtigen.
Dass die Strategie des sprachlichen Verdeckens eine lange Tradition bei Rechtsextremen hat, ist vielfach analysiert worden. Ebenso das Ziel, damit Anschlussfähigkeit in bürgerliche Milieus zu erlangen. Was die Rechte dabei nach Analyse von Linden deutlich besser macht: „Sie betreiben Gegnerbeobachtung“ und würden dann auch deren Konzepte „umdeuten“. Dabei werden immer wieder Grenzen ausgetestet. So hatte beispielsweise AfD-Parteichefin Alice Weidel zuletzt über die Bundesregierung behauptet, sie wolle nicht gut regieren, „weil sie Deutschland hasst“.
Mit einer derartigen „Diskursführung“, stellt Markus Linden fest, sind die angestammten Parteien „völlig überfordert“ und allzu oft tappe man dann auch in die aufgestellten Fallen. Was will man einer derartigen Formulierung auch entgegenhalten? In der Tat sei das „die Masterfrage“, sagt er und ergänzt: „Im Endeffekt sind es viele kleine Baustellen.“
Welchen Effekt dabei, die nach wie vor zahlreichen Kundgebungen und Demonstrationen haben, darüber wird noch intensiv diskutiert. Dass sie zu einer erhöhten Sensibilität und Auseinandersetzung mit dem geführt haben, was bislang eher hingenommen und in der Tragweite sicher auch eher unterschätzt wurde, ist wahrzunehmen. Ebenso aber auch, dass sich ein harter Kern im rechten Milieu in Abwehrhaltung einigelt. Wie groß der Anteil bisheriger Anhänger ist, die jetzt zumindest verunsichert und nachdenklich geworden sind, lässt sich nach den Protestwochen noch nicht realistisch abschätzen. Sicher ist aber, dass es ein Signal ist, das bei den europäischen Nachbarn und überhaupt international für aufmerksame Beachtung gesorgt hat.