Ein Phänomen, von dem Lokalpolitiker seit Langem ein Lied singen können, ist prominent auch auf Bundesebene angekommen. Die Absage des politischen Aschermittwochs der Grünen zeigt „Grenzüberschreitungen“, so Politiker.
Die angespannte Stimmung innerhalb der Gesellschaft der Bundesrepublik macht auch vor der närrischen Zeit nicht halt. Prominentes Opfer: die Grünen. Parteivorsitzende Ricarda Lang musste in Schorndorf im Rems-Murr-Kreis bei Stuttgart bei einer Veranstaltung unter Polizeischutz gestellt werden. Von Protestlern wurde sie beschimpft und an der Abreise gehindert. Die massiven Proteste der Agrar-Unternehmer gegen mehre Veranstaltungen der Grünen in der Faschingszeit haben die Parteioberen mehr als aufgeschreckt.
Zuvor musste der politische Aschermittwoch in Biberach aus Sicherheitsgründen abgesagt werden. Der Ministerpräsident des Ländles, Winfried Kretschmann, war gerade in seinem Dienstwagen auf dem Weg, als die Nachricht eintraf und er umkehren musste. Härter traf es Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, er war bereits vor Ort und bekam den Unbill der Landwirte aus seiner Heimat hautnah zu spüren. Die Seitenscheibe eines seiner BKA-Begleitfahrzeuge ging zu Bruch, mehrere Beamte wurden verletzt. In Deutschland ein bisher einmaliger Vorgang.
Für Özdemir umso ärgerlicher: Stimmen aus der Partei trauen nur ihm die Übernahme der baden-württembergischen Staatskanzlei zu. Über die Landesregierung wird 2026 abgestimmt, ablösen könnte er Kretschmann, der die Landesregierung seit 2011 führt. Doch die Pläne scheinen sich nach FORUM-Informationen nach diesem Debakel nun erstmal in Luft aufgelöst zu haben. Die Aufregung nach den Bauernprotesten, die zur Absage mehrerer Veranstaltungen der Grünen geführt haben, hat den amtierenden Ministerpräsidenten nachdenklich gemacht. Er sprach von „Grenzüberschreitungen“, man dürfe aber nicht überdramatisieren. Vor allem, nachdem Özdemir den protestierenden Bäuerinnen und Bauern vorwarf, sie würden sich von rechten Gruppen unterwandern und aufwiegeln lassen. Bauernpräsident Joachim Rukwied weist dies weiterhin zurück, man achte „bei den Demonstrationen schon sehr genau darauf, wer an unseren Kundgebungen teilnimmt“. Allerdings überraschte auch Rukwied das Auftreten der Landwirte im baden-württembergischen Biberach. Sprecher des Kreisbauernverbandes hatten in der Presse klargestellt, dass sie diese Proteste nicht organisiert hätten und dass auch andere Gruppen wütender Bürger, nicht nur Landwirte, daran beteiligt gewesen seien.
„Nicht überdramatisieren“
Auf Bundesebene war der Aufschrei ebenfalls nicht zu überhören, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verurteilte umgehend die aggressiven Protestaktionen gegen die Grünen. „Wenn eine politische Veranstaltung durch Gepöbel und Gewalt verhindert wird, wenn Polizisten angegriffen und Steine geworfen werden, dann sind Grenzen massiv überschritten“, so die SPD-Politikerin. Diese Aggression habe auch mit scharf geführtem demokratischem Streit nichts mehr zu tun. „Das gilt genauso, wenn Demokraten als ‚Volksverräter‘ diffamiert werden, wenn ein aufgepeitschter Mob Politiker an deren Wohnort aufsucht oder wenn Regierende symbolisch an Galgen aufgehängt werden.“ Grenzüberschreitungen, die laut Faeser eine Verrohung und Vergiftung des Diskurses zeigen. Doch was da den Grünen in der närrischen Zeit in Baden-Württemberg wiederfahren ist, ist seit Jahren für viele Kommunalpolitiker politischer Alltag. Hass-Mails, beschmierte Hauswände, Fackelzüge zum Wohnort, demolierte Privat-Pkw und Pöbeleien bei öffentlichen Auftritten, die dann auch abgebrochen werden müssen, werden bundesweit immer wieder angezeigt. Diese Vorfälle auf der lokalen Ebene finden meist nur in den lokalen Medien Beachtung. Alleingelassen werden Kommunalpolitiker damit jedoch nicht: Seit 2021 existiert die Initiative „Stark im Amt“, die Betroffenen Unterstützung anbieten möchte.
Warum es erheblich aggressiver bei den Protesten zugeht, darauf versucht die Wissenschaft Antwort zu geben: „Die Grünen besetzen in der Regierung viele unbequeme Themen wie die Klimakrise, vor denen manche lieber die Augen verschließen würden“, glaubt Elmar Brähler, der gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern regelmäßig Studien zu autoritären Einstellungen und Unzufriedenheit mit der Demokratie veröffentlicht. „Anders als in zurückliegenden Jahrzehnten, wo der Graben zwischen rechts und links stehenden Parteien verlief, sehen wir jetzt eher eine starke Polarisierung zwischen Städtern und Menschen im ländlichen Raum sowie zwischen gebildeten und weniger gebildeten Menschen“, sagt Brähler. Umweltministerin Steffi Lemke, ebenfalls Grüne, antwortete auf die Frage, ob sie sich erklären könne, warum die Grünen gerade so viel Ärger abbekommen: „Es gibt eine nervöse, eine aufgeheizte Stimmung in unserer Gesellschaft – nicht nur in Deutschland im Übrigen, sondern in vielen Ländern auf dem Globus, weil wir in schwierigen Zeiten leben: Der Angriffskrieg Russlands, der Angriff der Hamas auf Israel, die Klimakrise, globale Inflation, Lieferketten, die nicht mehr funktionieren.“ Für Politiker sei es in solchen Zeiten schwierig zu agieren, sagte Lemke in einer Sendung von RTL / ntv. Sie fügte hinzu: „Und wenn eine Partei wie die Grünen in solchen Zeiten dennoch immer wieder darauf hinweist, dass wir Veränderung brauchen, dass wir uns vorbereiten müssen auf das, was noch vor uns liegt, dann steht man sicherlich besonders im Fokus.“
Nervös und aufgeheizt
Bei den Landwirten dürften aber auch die Bilder ihrer ebenfalls seit Monaten demonstrierenden Berufskollegen in den Niederlanden oder Frankreich keine geringe Rolle spielen. Dort geht es seit Wochen zur Sache, wobei flächendeckende Autobahnblockaden noch die unterste Stufe des Protests darstellen.
Dass nun derzeit bundesweit die Bauern auf die Barrikaden gerade gegen die Grünen gehen, hat aber auch etwas mit einer jahrelangen Entfremdung beider Gruppen zu tun. Auf der einen Seite steht die Idee einer klimaneutralen, ökologischen und gesunden Landwirtschaft. Generell auch ein Interesse der Landwirte. Doch wie dieses finanzierbar sei, dort scheiden sich die Geister. Die beschlossene schrittweise Abschaffung der Agrar-Diesel-Subventionen brachte diese Entfremdung zu einem vorläufigen Höhepunkt. Ihre Kfz-Steuer-Pläne hat die Bundesregierung bereits beerdigt. Die Bauern wollen weitermachen, bis auch die auslaufende Agrar-Diesel-Subvention wieder eingestampft wird.