Entwicklungshilfe und Wirtschaft müssen zusammengedacht werden, sagt Christoph Kannengießer vom Afrika-Verein der Deutschen Wirtschaft. Das deutsche Entwicklungsministerium habe das nicht verstanden. China und Russland schon – doch sie verfolgen ganz eigene Ziele.
Afrika hat Sonne, Wind und rund 30 Prozent der globalen Bodenschätze – kurz gesagt: das, was es für die grüne Technologie der Zukunft braucht. Der Kontinent verfügt über die größten Reserven an Kobalt, Diamanten, Platin und Uran weltweit. Erneuerbare Energien könnten in Afrika aufblühen.
Insbesondere seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine will Deutschland sein Engagement auf dem afrikanischen Kontinent ausbauen. Doch während es von Russland in Sachen Energie unabhängiger werden will, muss es um Partnerschaften mit afrikanischen Staaten wetteifern. China investiert bereits massiv in den Kontinent, baut Rohstoffe ab, Infrastruktur auf und seinen politischen Einfluss damit immer weiter aus. Russland will die Atomkraft nach Afrika bringen. Und beide Großmächte stellen dabei ihre wirtschaftlichen und politischen Interessen über Menschenrechte und den Schutz von Minderheiten. Wie also könnte eine deutsch-afrikanische Partnerschaft aussehen, die dem Konkurrenzdruck stand- und gleichzeitig Werte wie Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit hochhält?
In seiner Afrika-Strategie hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) eine neue Haltung angekündigt. Deutschland will eine Partnerschaft mit Afrika auf Augenhöhe etablieren. Die Partner sollen ihre Bedürfnisse gegenseitig kommunizieren und die durch Abhängigkeitsverhältnisse entstandene wirtschaftliche Ungleichheit ausgleichen. Soweit die Theorie. Christoph Kannengießer sagt jedoch: „Die Afrika-Strategie ist eher ein Signal, dass die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft eingedampft werden soll. Und das ist ein Rückschritt gegenüber dem, was wir in den vergangenen Legislaturperioden hatten.“ Es habe schon vorher an Mut gemangelt, sich fundamental zu modernisieren. Aber es seien immerhin Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) entwickelt worden, die mehr unternehmerische Aktivitäten in Entwicklungsökonomien ermöglichten.
Der Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft befürchtet, dass Deutschland sich mit seiner Strategie vom europäischen und internationalen Trend abkoppelt. Der Blick auf Afrika als ein Kontinent, dem geholfen werden muss, sei mittlerweile veraltet, sagt Christoph Kannengießer. Wirtschaftspolitische Interessen und EZ seien in der Praxis längst miteinander verbunden. „Nach Sicht des BMZ gibt es aber offensichtlich unterschiedliche Welten und die Welt der Wirtschaft scheint nicht seine Baustelle zu sein. Die EU fühlt sich für die moralische Ebene zuständig, für die gutgemeinten Zuwendungen. Das bringt uns nicht weiter“, sagt Kannengießer. Deutschland sei mal wieder: zu langsam, zu kompliziert, zu moralisierend.
Unternehmen finanziell unter die Arme greifen
Beispielsweise hat die Bundesregierung entschieden, in Afrika nur in grüne Energie zu investieren. Mit Namibia hat Deutschland ein Wasserstoff-Projekt begonnen. Mit Kenia wurde 2022 eine Klima- und Entwicklungspartnerschaft vereinbart, mit dem Ziel, bis 2030 den gesamten Energiebedarf aus erneuerbaren Energien zu decken. Kenia gilt als Vorreiter in Sachen grüner Energie und bezieht bis jetzt bereits 90 Prozent aus Erneuerbaren. Allerdings sind die regionalen Unterschiede in Afrika groß und was für das eine Land gilt, gilt nicht für das andere.
Während auf der einen Seite Pläne für die Technologie der Zukunft gemacht werden, lebt auf der anderen Seite immer noch ein Großteil der Menschen in Afrika ohne Zugang zu Strom. Alleine in der Demokratischen Republik Kongo waren es 2021 81,8 Millionen, in Nigeria 65 Millionen. Die Energie und die Infrastruktur, die es brauchen würde, um die grüne Technologie von morgen aufzubauen, ist schlichtweg nicht überall vorhanden.
Laut Christoph Kannengießer reiche es deshalb nicht aus, anderen die eigene Vorstellung von der Welt zu vermitteln, wenn dabei der Blick für die Verhältnisse vor Ort fehle. Vielmehr müsse man in der Lage sein, sich zu fragen, was aus Sicht der Partnerländer wirklich etwas nützt. „Was sind denn die realen Bedarfe unserer Partnerländer? Und nicht: Was wollen wir, dass die von uns brauchen?“, sagt er.
Afrikas Antwort auf diese Frage lautet: Brückentechnologien, beispielsweise in Form von Gas- oder Atomkraftwerken. Wenn Deutschland sich aber weigert, die zu bauen – seien die Gründe noch so nachvollziehbar –, dann machen das Angebot eben China oder Russland. Beispielsweise plant der russische Konzern „Rosatom“, Burkina Faso und Mali mit Atomkraft auszustatten. Ersteres ist eines der am wenigsten elektrifizierten Länder der Welt. Dabei passe es einfach nicht zusammen, dass Deutschland selbst für eine Übergangsphase Gas in Anspruch nehme, Afrika diese Option jedoch verwehre, kritisiert Kannengießer. Die Bundesregierung verliere aus den Augen, dass es in Deutschland um eine Energietransition gehe, während afrikanische Länder vor einer ganz anderen Herausforderung stünden.
Atomkraftwerke entpuppen sich gerade an vielen Stellen in Europa als Kostenfass ohne Boden. Daher drängen Investoren in Afrika auf einen neuen Markt, während an anderer Stelle Investoren für grüne Energie fehlen. „Es geht nicht nur um den Wettbewerb mit Russland und China. Es geht um den Wettbewerb mit der Türkei, Frankreich, UK, den Niederlanden, die eine sehr strukturierte Außenwirtschaftsstrategie verfolgen“, sagt Kannengießer. Damit Deutschland in so einer Situation wettbewerbsfähig sein könne, müsse man den Unternehmen unter die Arme greifen, und zwar mit Außenwirtschaftsinstrumenten wie Garantien, Darlehen und Subventionen aus den Entwicklungsetats. Als gutes Beispiel nennt der Experte die Diversifizierungsstrategie des Bundeswirtschaftsministeriums und die Pläne zu strategischen Großprojekten, die deutsche Unternehmen in Sachen Investitionsgarantien und Hermesbürgschaften gegen wirtschaftliche und politische Risiken in ihren Exportgeschäften absichern sollen.
An anderen Stellen wird das Risikoprofil afrikanischer Länder nach Einschätzung Christoph Kannengießers allerdings noch erhöht. Das europäische Lieferkettengesetz, das auf EU-Ebene aktuell von der FDP blockiert wird, sieht auch der Wirtschaftsexperte kritisch. Denn durch das Gesetz kämen zu den lokalen Risiken noch Haftungsrisiken und Bürokratie hinzu. Der Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins glaubt, dass es für den Zweck des Gesetzes in der Wirtschaft einen breiten Konsens gebe. „Die Frage ist nur: Kommt man mit regulatorischen Instrumenten ans Ziel oder stärkt man dadurch nicht eher den Wettbewerber?“, fragt Kannengießer und gibt gleich die Antwort: „Meine Bewertung ist: Man erhöht den Wettbewerbsnachteil unserer Unternehmen.“ Der Ansatz des Lieferkettengesetzes stelle die Unternehmen im Sinne einer Umkehr der Beweislast unter Generalverdacht.
Deutschland muss ins Handeln kommen
Die Verpflichtungen in den Lieferketten würden an kleinere Unternehmen weitergegeben, bis hin zu den lokalen Produzenten. „Lokale Lieferanten fliegen am Ende aus den Lieferketten heraus, weil sie die Anforderungen nicht mehr erfüllen können. Das ist für mich ein Hinweis darauf, dass man da offenkundig etwas falsch macht“, erklärt Kannengießer und fährt fort: „Wir können das Ziel nur erreichen, wenn wir unsere Partnerländer dazu befähigen, soziale, ökologische und Menschenrechts-Standards, die ja oftmals in der Gesetzgebung von Ländern längst verankert sind, praktisch durchzusetzen. Und zwar gegenüber allen – auch gegenüber Chinesen und Russen.“ Erst dann entstünden gleiche Wettbewerbsbedingungen, unter denen insbesondere deutsche Unternehmen mit hohen Standards einen Wettbewerbsvorteil hätten.
Darüber hinaus ist Afrika nicht länger in der bloßen Nehmerposition, sondern kann aufgrund seiner reichen Rohstoffvorkommen verhandeln. Aus diesem Grund haben 2023 einige afrikanische Länder ein teilweises oder vollständiges Exportverbot von kritischen Mineralien erlassen. Sinnvoll wäre deshalb, in die Weiterverarbeitungsindustrie vor Ort zu investieren, anstatt die Rohstoffe einfach abzubauen und den Kontinent damit faktisch weiter auszubeuten. „Wir wären in der Lage, einen echten Unterschied zu machen. Weil wir mit unserer industriellen Kompetenz tolle Angebote machen und damit viele andere Themen verknüpfen könnten: Qualifizierung, Bildung, soziale Themen und so weiter“, sagt Christoph Kannengießer.
Allerdings müsse Deutschland dann auch ins Handeln kommen. Viele Akteure müssten an einen Tisch. Beim Thema Batteriezellenproduktion wäre es aufgrund der hohen Investitionsbedarfe notwendig, dass sich gleich mehrere Automobilhersteller zusammentun, zum Beispiel in Südafrika. „Die dürfen sich aber nicht so einfach an einen Tisch setzen, weil sie dann möglicherweise Kartellrechtsprobleme kriegen“, sagt Kannengießer. Deshalb müsse ein solches Vorhaben von der deutschen Bundesregierung moderiert werden. „Nur so kann man herausfinden, was man für ein Made-in-Germany-Produkt aus einer Hand braucht.“
Laut dem Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins müsse man viel strategischer und zügiger vorgehen. Denn die erste Batteriezellenfabrik in Simbabwe baue aktuell schon China. „Diesen Wettbewerb muss man ernst nehmen und konkurrenzfähiger werden. Die zentralen Themen sind meiner Meinung nach der Faktor Zeit, Finanzierung und die politische Moderation.“ Denn ansonsten folge auf die Frage, warum Afrika weiterhin so viel mit China zusammenarbeite, die Antwort: „Sie haben das Scheckbuch, ihr habt die Checkliste.“