In den vergangenen Jahren wurde vor allem über Afrika diskutiert. Heute streift der Kontinent die Bevormundung ab. Junge Afrikanerinnen und Afrikaner finden eigene Lösungen für globale Probleme. Kulturelle Vielfalt und Fortschritt müssen sich dabei nicht ausschließen.
Die EU ist seit Jahren dabei, ihre Partnerschaft mit Afrika zu intensivieren. Eine Partnerschaft auf Augenhöhe, wie immer wieder betont wird. Dabei stehen die Beziehungen immer unter einem doppelten Aspekt: der in Teilen immer noch nicht wirklich aufgearbeiteten Kolonialzeit, die bis heute tiefe Spuren auf dem afrikanischen Kontinent zeichnet, und neben der Vergangenheit die Zukunft: „In Afrika steht auch ein Teil der Zukunft Europas auf dem Spiel“, formulierte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bereits vor Jahren, und ergänzte: „Wir brauchen ein starkes Afrika und Afrika braucht ein starkes Europa.“
Daraus folgten Strategien einer Partnerschaft auf Augenhöhe. Und das heißt wiederum, dass bei all den großen Zielen, nämlich einer „Zukunft mit mehr Wohlstand, Frieden und Nachhaltigkeit“, wie es EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen immer wieder betont, kulturelle Aspekte eine ganz andere Rolle spielen. Ohne die im Blick zu haben, ist es mit der Augenhöhe schwierig bis unmöglich. Das ist aber eine diffizile Herausforderung.
„Afrikaner selbst müssen über sich schreiben“
Denn Afrika ist nicht Afrika. Es gibt auch nicht nur die koloniale Vergangenheit – Afrika hat eine lange und große kulturelle Tradition und hat schon vor etwa einem Jahrhundert begonnen, sie sich zurückzuerobern. Afrika ist aber auch Schauplatz von Stellvertreterkriegen und wirtschaftlichen Interessenkonflikten im globalen Gezerre um Einflusssphären. Die europäische Strategie setzt dabei auch im Bewusstsein der eigenen Vergangenheit auf eine partnerschaftliche und differenzierte Strategie.
Die beruht auf den Säulen Solidarität, Sicherheit, Frieden, nachhaltige Entwicklung und gemeinsamer Wohlstand. So zumindest sieht es die Vision vor, auf die sich EU und Afrikanische Union auf einem Gipfel vor jetzt genau zwei Jahren im Februar 2022 verständigt haben. Es müsse eine „für beide Seiten vorteilhafte Partnerschaft“ sein, die sich mit Fragen beschäftigt, „die für Europa und Afrika gleichermaßen von Interesse sind“, unterstrich damals EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Soweit die wohlformulierten diplomatischen Worte, die durch eine Reihe konkreter Abkommen und Partnerschaften Gestalt annehmen. Europa ist ein vielfältiger Kontinent, und die Mitgliedsstaaten der EU haben nun mal ihre eigenen Interessen – und ihre eigenen Vergangenheiten in Afrika. Afrika ist allerdings deutlich größer und entsprechend vielfältiger.
In etwas grober Aufteilung gibt es drei unterschiedliche Regionen: die nordafrikanischen Staaten, die Republik Südafrika und die Subsahara-Staaten, die mehrheitlich zu den am wenigsten entwickelten Ländern weltweit gehören.
Nordafrikanische Staaten verstehen sich in der Regel eher als Teil der arabischen Welt. Bei Staaten wie Eritrea, Sudan oder Äthiopien ist eine Zuordnung nicht einfach, zumal auch dort (künstliche) Landesgrenzen nicht mit Ethnien oder kulturellen Einheiten zusammenpassen. Die Subsahara-Staaten verbinden die eng miteinander verwandten Bantu-Sprachen, was auch auf tief verwurzelte kulturelle Gemeinsamkeiten hinweist.
Afrika kennt unterschiedliche Kulturen, die letztlich für das Überleben der Völker entscheidend waren. Mit der Kolonialisierung ging einher, dass den Völkern Afrikas vermittelt wurde, ihre Kultur, ihre Sprache, ihre Wert- und metaphysischen Vorstellungswelten seien schuld an Unterentwicklung und Rückständigkeit.
In den 1920er und 1930er Jahren entwickelten sich unterschiedliche Strömungen, die für eine kulturelle Selbstbehauptung aller Menschen Afrikas und ihrer afrikanischen Herkunft eintraten. Eine davon ist „Négritude“, eine Strömung, die sich sowohl politisch als auch in Literatur und Philosophie ausdrückte. Sie setzt dem Eurozentrismus die vielseitige schwarze Kultur gleichberechtigt entgegen.
Eine andere Bewegung ist der Panafrikanismus, der sich nur schwer einheitlich greifen lässt. Eine Definition fasst zusammen: „alle Ideen, die die kulturelle Einheit und die politische Unabhängigkeit Afrikas betonen oder erstreben“.
Der Philosoph und Politikwissenschaftler Jacob Emmanuel Mabe (geboren in Kamerun) verweist darauf, dass geerbte Kultur- und Bildungseinrichtungen sowie die Wirtschaftsstruktur nach wie vor ein großes Hemmnis für die Entwicklung einer eigenständigen afrikanischen Kultur darstellen. Die Ausrichtung afrikanischer Eliten an westlichen Lebensmodellen zeige sich insbesondere eben im Wirtschafts- und Bildungsbereich.
Mabe betont zugleich, dass wissenschaftliche und politische Eliten Afrikas nicht nur „kulturelle Modelle der Industriestaaten schamlos kopieren, sondern sich ständig von europäisch-westlichen Ideen und Theorien inspirieren und beeinflussen lassen“. Er unterscheidet in der intellektuellen Debatte um die Erhaltung afrikanischer Werte drei Gruppen: Die von ihm sogenannten „Optimisten“ sehen keine Alternative für die Entwicklung Afrikas, als sich in das westliche System einzubringen, begründen das unter anderem auch mit der Globalisierung. Die „Pessimisten“ sind überzeugt, dass eine eigenständige afrikanische Entwicklung nur durch eine konsequente Distanzierung möglich sei. Und schließlich gebe es noch eine dritte Gruppe, die Mabe „Neutralisten“ nennt. Aus deren Sicht ist entscheidend, ob ein Denkmodell den wirtschaftlichen und technischen Fortschritt Afrikas fördert. Sie halten nichts von dogmatischen Festlegungen, weil die nur zu Stagnation führen würden.
Nach Mabes Überzeugung stehen die Afrikaner vor der Aufgabe, eigene „Kulturmärkte“ zu entwickeln und damit auch die Voraussetzung und Fähigkeit, auf gleicher Augenhöhe zu stehen. Afrikaner seien sich jedenfalls – bei allen sonstigen, unterschiedlichen Auffassungen – einig, dass sie sich wandeln müssten, um im globalen Wettbewerb zu bestehen.
Jugend hat ihre eigene panafrikanische Vision
Ganz ähnlich argumentiert Harrison K. Mwilima, Lehrbeauftragter an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und freier Journalist. Weltweit sei viel über Afrika geschrieben worden, „aber vor allem Afrikaner selbst müssen verstärkt über sich und ihren Kontinent schreiben“, was junge afrikanische Wissenschaftler auch täten, auch wenn deren afrozentrische Perspektive nicht unumstritten sei. Immerhin hätten sie alte afrikanische Zivilisationen wie in den Regionen Nubien oder Äthiopien wieder ins Bewusstsein gerückt.
Kultur sei wichtiger Bestandteil der Soft Power. „Es liegt an uns Afrikanern, diese Tatsache strategisch zu nutzen und dafür zu sorgen, dass unsere reiche Kultur und ihre Früchte weithin sichtbar sind. Die Welt könnte sehr davon profitieren“, zeigt sich Mwilima überzeugt.
In Afrika entwickelt sich derzeit viel, getrieben von einer (nicht nur zahlenmäßig) starken jungen Bevölkerung. „Afrikanische Lösungen für afrikanische und globale Probleme“, heißt das Motto. Die afrikanische Jugend ist selbstbewusst und kosmopolitisch, sie hat ihre eigene panafrikanische Vision, analysiert eine Delphi-Studie zur Zukunft der europäisch-afrikanischen Beziehungen (im Auftrag des BMZ zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020). Diese junge Generation erfindet nicht nur Afrika neu.