Lange Wartezeiten, schlechte Erreichbarkeit, Pfusch in der Werkstatt: Selbst treue Kunden kritisieren den Service bei Tesla. Fällt dem Elektroauto-Pionier sein rasantes Wachstum auf die Füße?
Am 4. Oktober 2023, an einem sonnigen Herbsttag, endet Rigo Kirschners Liebe zu der Firma, der er jahrelang die Treue gehalten hat. Der 65-jährige Geschäftsführer aus Solingen fährt mit seinem Tesla Model S durch den Schwarzwald. Kurze Pause im Gartencenter, dann soll die Fahrt weitergehen. Doch die elektrische Limousine, Kaufpreis 95.000 Euro, streikt. Weil alle Monitore schwarz bleiben, rückt der Abschleppdienst an, um den Tesla ins nächstgelegene Service-Center nach Freiburg zu bringen. Vorläufige Diagnose: eine schwache Zwölf-Volt-Batterie.
Was wie eine normale Panne anfängt, entwickelt sich für Rigo Kirschner schnell zum Spießrutenlauf. Zwar kann er sein Model S nach einer Woche wieder in Freiburg abholen. Doch schon zu diesem Zeitpunkt summieren sich die Kosten: Abschleppen: 595 Euro; Taxi, Bus und Bahn: 201 Euro. Ein Ersatzfahrzeug erhält er von Tesla nicht, auch nicht gegen Gebühr. Also bucht er selbst einen Mietwagen: 332 Euro. Die eigentlichen Werkstattkosten schlagen noch einmal mit 609,95 Euro zu Buche. Die Daten dokumentiert Kirschner genau, ebenso Screenshots der Chats, die er mit der Firma führt – die Kommunikation läuft fast nur digital, auch so eine Tesla-Besonderheit. Die Dokumente liegen unserer Redaktion vor.
Nach der Rückkehr aus Freiburg läuft das Auto vier Wochen lang reibungslos. Am 2. November dann das Déjà-vu: Wieder alle Bildschirme schwarz, wieder kommt das Auto per Abschleppdienst in eine Tesla-Werkstatt, diesmal nach Düsseldorf. Wo der Ärger erst richtig beginnt: „Das Auto steht und steht, aber nichts passiert“, ärgert sich der Betroffene. Das Callcenter verweist auf die Tesla-App. Dort, so zeigen es Screenshots, verschieben sich die Abholtermine Woche um Woche. Fehlerdiagnose? Fehlanzeige! Stattdessen soll Rigo Kirschner genau beschreiben, worin das Problem besteht. „Das fragen die mich als Kunden“, schimpft der Tesla-Fahrer. „Genau das will ich doch wissen.“ Es ist der Moment, in dem er seinen Anwalt kontaktiert.
Oft reagiere bei Tesla einfach niemand
Lange Wartezeiten, schlechte Erreichbarkeit, Pfusch in der Werkstatt: All das kommt auch bei anderen Herstellern vor. Bei Tesla aber scheinen sich solche Fälle zu häufen. Selbst treue Kundinnen und Kunden klagen in Tesla-Foren regelmäßig über miserablen Service. Mal müssen sie ewig auf einen Termin warten, weil die wenigen Service-Center überlastet sind. Ein anderes Mal bekommen sie ihre Fahrzeuge kaputt oder sogar mit neuen Fehlern zurück – zumindest nach eigenen Aussagen. Es gibt eingefleischte Fans, die in solchen Beschwerden den Versuch sehen, eine innovative Firma schlechtzumachen.
Fest steht: Tesla wächst rasant. Schon 2022 war der in Brandenburg produzierte Elektro-SUV „Model Y“ das meistverkaufte Elektroauto Deutschlands. Auch 2023 hat er wieder die Verkaufsstatistik der E-Autos angeführt. Die Beliebtheit hat aber offenbar ihren Preis, wie Insider bestätigen: „Die Servicequalität ist durch den Massenmarkt unterirdisch geworden“, sagt Christoph Lindner. Der Rechtsanwalt aus Rosenheim hat sich auf Probleme mit der Autoindustrie spezialisiert. Natürlich versuchten auch andere zu tricksen, sagt Lindner. Aber: „Bei Tesla handelt es sich um ein strukturelles Problem, gepaart mit einer gewissen Arroganz.“
Lindner erzählt von Mandantinnen und Mandanten, die ihr Auto nach einem Werkstatt-Termin „mit zugespachtelten Nässemängeln“ oder verschmutzt zurückerhalten hätten. Regelmäßig verzögerten sich Reparatur- und Abholtermine, Ersatzfahrzeuge gebe es kaum. Auch die „Nicht-Kommunikation“ stört den Anwalt: Oft reagiere Tesla einfach nicht, vor Ort träfen Hilfesuchende niemanden an. Komme es irgendwann zu einem Prozess, ende dieser oft mit einem Vergleich, also ohne Urteil. „Diesen Aufwand sollte Tesla lieber in den Kundenservice stecken“, sagt Lindner. Es sei traurig, wie die US-Firma ihre Fans vergraule. „Am Ende kaufen die Leute dann wieder einen Skandal-Diesel. Damit ist niemandem geholfen.“
Betroffenen rät Lindner, stets klare Fristen zu setzen: „Zwei Wochen sind zumutbar, danach bedarf es einer Erklärung. Länger als vier Wochen darf eine Mängelbeseitigung nicht dauern.“ In jedem Fall sei es sinnvoll, Screenshots von den Chats anzufertigen, um später etwas in der Hand zu haben. „Als Tesla-Fahrer sollte man immer eine gute Rechtsschutzversicherung haben“, empfiehlt Lindner. „Alles andere wäre schon fast fahrlässig.“
Neu sind die Missstände nicht. Schon 2019 kam eine Umfrage der US-Meinungsforschungsfirma Bernstein zu dem Ergebnis, dass Tesla-Fahrer ihre Fahrzeuge zwar lieben, den Service aber oft als Schwachpunkt ansehen. Im gleichen Jahr befragte das Nachrichtenportal Bloomberg 5.000 Tesla-Inhaber. Auch hier zeichnete sich eine steigende Unzufriedenheit ab – nicht mit den Autos, sondern mit dem Kundendienst. Viel geändert scheint sich also nicht zu haben. Oder doch?
Man könne „keine Anzeichen erkennen, dass die Qualität des Tesla-Service signifikant vom Niveau anderer Hersteller abweicht“, schreibt der Automobilclub von Deutschland (AvD) auf Nachfrage. Wer sich von Werkstätten nicht korrekt betreut fühle, könne sich an die Schiedsstellen des ZDK (Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe) oder die Verbraucherzentralen wenden. Beide Organisationen geben auf Nachfrage allerdings an, keine spezifischen Zahlen zu Tesla-Werkstätten vorliegen zu haben. Vom ZDK heißt es, die Schlichtungsstellen erfassten nur Betriebe, die Mitglied der Kfz-Innung sind – was bei Tesla nicht der Fall sei.
Auch der ADAC gibt sich zurückhaltend. Probleme bei Service, Garantiefällen oder Ersatzteilen gebe es „immer mal wieder“. Das passiere aber relativ selten und betreffe alle Marken. „Ein wesentlicher Unterschied im Vergleich zu etablierten Herstellern ist die Digitalisierung des Serviceprozesses über die Tesla-App“, erklärt der Automobilclub. „Die Meinungen zu diesem Prozess gehen unter den Tesla-Kunden auseinander. So gibt es eine Fraktion, die diese Digitalisierung begrüßt, andere Kunden finden den Prozess unpersönlich, unverständlich und fühlen sich schlecht betreut.“
Tüv-Mängelquote liegt bei 14,7 Prozent
Generell sollten Betroffene ihre Mängel sofort reklamieren und dafür eine angemessene Frist setzen. Werde diese nicht eingehalten, könne man die Rechnung mindern oder vom Vertrag zurücktreten. Der ADAC hat für solche Fälle eine Infoseite samt Musterschreiben eingerichtet.
Doch auch Tesla ist nicht gleich Tesla. „Generell ist die Unzufriedenheit sehr hoch“, bestätigt Ove Kröger, der sich als Kfz-Sachverständiger auf die Prüfung von E-Autos spezialisiert hat. Auch er kennt Fälle, in denen Pannenfahrzeuge monatelang auf dem Hof stehen, bis der Akku fast leer ist. „Andererseits kann man nicht alle Service-Center über einen Kamm scheren“, betont Kröger. „Hannover ist zum Beispiel sehr gut.“ Trotzdem mache sich der schlechte Service inzwischen auch in der Statistik bemerkbar. „Nicht ohne Grund ist das Model 3 beim Tüv auf dem letzten Platz gelandet“, sagt Kröger. Im aktuellen Tüv-Report bildet das E-Auto mit einer Mängelquote von 14,7 Prozent das Schlusslicht der bis zu drei Jahre alten Fahrzeuge. „Viele Fans nehmen das hin“, weiß Kröger – noch. Er selbst verordnete sich eine dreijährige „Tesla-Pause“, nachdem er sich zu oft über den Hersteller geärgert hatte. In dieser Zeit fuhr er einen elektrischen Porsche. Inzwischen ist er wieder zu seiner Lieblingsmarke zurückgekehrt, allen Ärgernissen zum Trotz. „Ein geschlagener Hund liebt sein Herrchen immer noch“, sagt Kröger und lacht.
Spannend wäre es zu erfahren, was der Elektroauto-Marktführer über all das denkt. Genau wie so manches Service-Center bleibt aber auch die Pressestelle stumm: Keine Antwort von Tesla. Eine eigene Presseabteilung, wie bei Großkonzernen sonst üblich, hat Firmengründer Elon Musk schon vor Jahren abgeschafft.
Bei Rigo Kirschner endet die Odyssee am 20. Dezember 2023. Per Tesla-App erfährt er, dass er seinen Wagen in Düsseldorf abholen kann: Das Auto sei fahrbereit, der Fehler „nicht reproduzierbar“. Repariert wurde nichts, die Kosten für die sechswöchige Diagnose belaufen sich auf 495 Euro. „Wir wissen bis heute nicht, was an dem Auto dran ist“, sagt Kirschner, der sich als Tesla-Fahrer der ersten Stunde bezeichnet. „Bei Reichweite, Platz und Effizienz ist die Firma der Konkurrenz immer noch voraus“, sagt der begeisterte E-Auto-Fan. „Aber was bringt mir das tollste Auto, wenn es bei Problemen keine Hilfe gibt?“
Mittlerweile hat er sich einen neuen Stromer bestellt, diesmal bei einem deutschen Hersteller. Sein geliebtes Model S hat er verkauft.