Frankreich, Deutschland und Polen finden gerade wieder enger zusammen: Das Weimarer Dreieck wird neu belebt. Die nationalkonservative polnische PiS-Regierung hatte das Vertrauen erschüttert, jetzt könnte das Format neue Impulse setzen.
Die Grundlagen Europas sind erschüttert: Seit zwei Jahren tobt der russische Angriffskrieg in der Ukraine. Die rechtsnationalen, rechtsextremistischen Kräfte sind in vielen Ländern auf dem Vormarsch. Das Vertrauen zwischen West- und Osteuropa ist auf dem Tiefpunkt. Die Europawahlen im Juni könnten zu einer echten Zerreißprobe für die EU werden. Es geht um Frieden, Freiheit und Sicherheit in Europa.
Ein Hoffnungsschimmer bildet wenigstens der Ausgang der Wahlen in Polen mit einer europafreundlichen Regierung um Donald Tusk. Könnte das trinationale Bündnis zwischen Frankreich, Deutschland und Polen, das sogenannte Weimarer Dreieck, wiederbelebt werden und neue Impulse für Europa setzen?
Das 1991 auf den Weg gebrachte Bündnis zwischen Deutschland, Frankreich und Polen unter dem Namen Weimarer Dreieck war viele Jahre ein Kompass für Europa und Wegbereiter für die EU-Ost-Erweiterung 2004. Das so viel beschworene deutsch-französische Tandem schlug damit die Brücke nach Polen, dem größten und bevölkerungsreichsten Land in Osteuropa unter den damaligen Beitrittskandidaten. Doch spätestens mit dem ersten Wahlerfolg der nationalkonservativen PiS-Partei in Polen 2015 kam dieses trinationale Bündnis aus dem Tritt, verschwand mehr oder weniger in der Versenkung.
Vertrauensverlust Deutschlands
Doch die Schuld alleine in Polen zu suchen, wäre falsch, erklärt Stephen Bastos, Politikberater und Projektleiter der Stiftung Genshagen, die sich vor allem um Projekte der deutsch-französischen und deutsch-polnischen Freundschaft kümmert. Das strategische Scheitern der deutschen Energie- und Russlandpolitik habe maßgeblich zu einem schleichenden, jetzt massiven Vertrauensverlust in den osteuropäischen Staaten geführt, allen voran in Polen trotz ständiger Warnungen vor Putins imperialer Politik. Das schlechte Deutschland-Bild habe sich die PiS in ihren Wahlkämpfen mit einem regelrechten Bashing der Deutschen zunutze gemacht und die Opposition um Tusk als Erfüllungsgehilfen der Regierungen in Berlin und in Brüssel bezeichnet, betont Bastos. Und als sei das noch nicht genug, haben Frankreich und Deutschland mit dem von ihnen verbreiteten Vorschlag des zweigeteilten Europas oder des „Europas der zwei Geschwindigkeiten“, einer Integration von Mitgliedsstaaten in unterschiedlich schnellem Ausmaß, auch noch Öl ins Feuer gegossen. Wohlwissend, dass die Osteuropäer eher langsamer zum EU-Standard aufschließen könnten und damit für lange Zeit nur die zweite Geige spielen würden; eine gefühlte Benachteiligung sondergleichen.
Für einen neuerlichen Tiefpunkt sorgte 2019 der französische Präsident Emmanuel Macron mit seiner Aussage über die „hirntote“ Nato, dem wichtigsten Schutzschild der Osteuropäer gegenüber dem Angstgegner Russland. „Die Bedrohung durch Russland wird in Osteuropa anders wahrgenommen als in Westeuropa und die Nato ist eine Art sicherheitspolitische Lebensversicherung. Die Arroganz des Westens hat einen Totalschaden in den Vertrauensbeziehungen verursacht“, bringt Bastos die schlechte Stimmung auf den Punkt.
Das haben die Regierungen in Paris und Berlin inzwischen wohl erkannt, wenn auch nur in der massiv veränderten geopolitischen Lage. Sie versuchen, dem trinationalen Bündnis im Format des Weimarer Dreiecks neues Leben einzuhauchen. „Die Voraussetzungen mit dem europafreundlichen Donald Tusk stehen günstig wie seit acht Jahren nicht mehr. Doch Wunderdinge darf man von der neuen polnischen Regierung in der Europapolitik nicht erwarten“, warnt Claire Demesmay, Französin und Europa-Gastprofessorin an der Uni des Saarlandes. Zu stark stehe Tusk unter innenpolitischem Druck. Der nicht gerade neutrale Präsident Andrzej Duda, letzter politisch verbleibender Trumpf der PiS an der Staatsspitze, nutze jede Gelegenheit, der Regierung Steine in den Weg zu legen, indem er sogar vom „Terror des Rechtsstaats“ spreche. Das werde wohl noch eineinhalb Jahre bis zur nächsten Präsidentschaftswahl in Polen so weitergehen und die in acht Jahren erfolgte Demontage des Justizapparates durch die PiS lasse sich nicht so schnell rückgängig machen. Es sei wichtig, dass Deutschland, Frankreich und Brüssel das auch verstehen und die polnische Regierung zum Beispiel mit den ausstehenden EU-Zahlungen schnellstens unterstützen.
Der Kurswechsel der französischen Außenpolitik gegenüber Osteuropa mit einer regelrechten Charmeoffensive Macrons ist auf jeden Fall ein deutliches Indiz dafür. Zu nennen sind die verstärkte Militärpräsenz Frankreichs in Rumänien und Estland, die Zustimmung der Franzosen zur EU- und Nato-Erweiterung von Moldau und der Ukraine oder die angekündigte Sofortlieferung von Waffen an die Ukraine. Gerade Letzteres auch mit Fingerzeig auf die deutsche Regierung, die sich immer wieder zögerlich bei bestimmten Waffenlieferungen zeigt. Und schon geht wieder die Angst um in Deutschland, dass der privilegierte Partner Frankreich fremdgehen könnte. Doch Claire Demesmay gibt Entwarnung. „Zwar wartet Macron noch immer auf eine Antwort der Deutschen auf seine pro-europäische Sorbonne-Rede zum Beispiel in Form von Taten, aber die deutsch-französischen Beziehungen als institutionalisierte Partnerschaft stellt er nicht infrage, obwohl es unterschiedliche Interessen zum Beispiel bei der europäischen Verteidigungspolitik gibt.“ Auf den Vorschlag, einen Fonds mit 100 Milliarden Euro für die europäische Produktion europäischer Waffen zu etablieren, habe Deutschland bisher sehr zurückhaltend reagiert. Klar, es geht wieder ums Geld. Frankreich denke gern strategisch und in großen Kategorien von 20 bis 30 Jahren. „Polen spielt für Frankreich im Rahmen einer flexiblen oder punktuellen Partnerschaft aufgrund seiner Größe und Bedeutung eine größere Rolle als früher und ist wichtiger Ansprechpartner und Brücke für Osteuropa.“
Günstige Voraussetzungen
Wie die polnische Jugend über Europa denkt, bringt Anna Witkowska auf den Punkt. Die Polin studiert Sozialwissenschaften an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes. Schließlich vermitteln Fernsehbilder von radikaler, national gesinnter Jugend, die die Flaggen in den rot-weißen Nationalfarben schwenkt, oftmals ein sehr negatives Europabild seitens der jungen Polen. „Es ist aber eher so, dass ein Drittel der Jugend liberal, ein Drittel national-konservativ und ein Drittel unpolitisch ist.“ Wichtig wäre ihrer Meinung nach, das Demokratieverständnis in den Schulen oder besser sogar schon in den Kindergärten auf die Agenda zu setzen. Aber Polen habe auch in seiner jüngsten Geschichte gezeigt, dass die Menschen selbst in einer schwierigen Situation gegen Autokratie, Frauen- und Fremdenfeindlichkeit aufbegehren können. Der erfreuliche Ausgang der unfair geführten, aber letztlich freien und geheimen Parlamentswahlen habe das gezeigt. Die französische Verliebtheit in Strategien, die deutsche Vorsicht und Zurückhaltung sowie der polnische revolutionäre Geist könnten eine ideale Mischung sein, dem Weimarer Dreieck wieder auf die Sprünge zu helfen.
Die Vorzeichen stehen günstig aufgrund der Neuorientierung der französischen Außenpolitik, der Wiederannäherung Deutschlands an Polen und der neuen europafreundlichen polnischen Regierung. Die Herausforderungen sind riesig in Anbetracht einer Erweiterung der EU, der zu entwickelnden Vision eines Europas nach dem Krieg in der Ukraine, einer europäischen Sicherheitsarchitektur unter Einbeziehung der russischen Bedrohung und das alles trotz einer möglichen Wiederwahl Trumps Ende des Jahres. Die Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks wäre zumindest ein Hoffnungsschimmer für Europa in herausfordernden Zeiten.