Das Wachstumschancengesetz hängt in der Schwebe, eine grundgesetzliche Absicherung des Bundesverfassungsgerichts ebenso. Friedrich Merz setzt auf Verweigerung. Nicht ohne Risiko.
Der deutschen Wirtschaft geht es nicht gut, klagen Unternehmensverbände, und die jüngsten Prognosezahlen zum Wirtschaftswachstum stützen diese Einschätzung. Es wird nur noch mit einem Wachstum von 0,2 Prozent gerechnet, Deutschland liegt damit bei den Erwartungen EU-weit im hinteren Mittelfeld. Darum also nun die Idee zu einem Wachstumsförderungsgesetz, das von der Bundesregierung auf den Weg gebracht worden ist. Unternehmen sollen steuerlich entlastet werden. Doch nun hängt das Gesetz im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat fest: Die unionsgeführten Bundesländer spielen nicht mit. Die Marschrichtung dabei hat Unionsfraktions- und CDU-Parteichef Friedrich Merz vorgegeben.
In den Ländern hat das Gesetz insofern Widerspruch ausgelöst, als die geplanten steuerlichen Entlastungen der Unternehmen vor allem auf ihre Kosten gehen würden. Merz und die Union verbinden das nun mit der Forderung, die Bundesregierung solle die schrittweise Abschaffung des Agrardiesels zurücknehmen, der steuerbefreite Agrardiesel müsse unangetastet bleiben.
Zustimmung nur mit Bedingungen
Unionsgeführte Länder hatten in ihren Landeshaushalten bereits Ausgleichzahlungen für land- und forstwirtschaftliche Unternehmen vorgesehen, um die finanziellen Belastungen für die Unternehmen durch den geplanten Wegfall des Agrardiesels abzufedern. Kommt nun noch das vom Bund geplante Wachstumschancengesetz, das ebenfalls zu Lasten der Länder geht, dazu, wäre das in den Landeshaushalten nicht mehr darstellbar. Dass sich ausgerechnet CDU-Chef Merz an die Spitze der Unionsbewegung in der Länderkammer gestellt hat, dürfte aber auch dem Umstand geschuldet sein, dass in gut einem Vierteljahr Europawahl ist.
Nun hat die Europapolitik nicht direkt mit Bund-Länder-Interessen zu tun, aber Wahlkampf ist nun mal Wahlkampf und CDU/CSU wollen die Ampelregierung politisch vor sich her treiben. Für einen „Deutschlandpakt“ wie von Bundeskanzler Scholz Anfang September letzten Jahres angemahnt ist da kein Platz mehr. Die Union im Bundestag hat ihre Lust an Opposition wiederentdeckt, nachdem es im Herbst, nach nach den Landtagswahlen in Bayern und Hessen im letzten Jahr, von Friedrich Merz noch moderate Töne gegeben hatte. Aber jetzt will er, mit Sicherheit die Landtagswahlen im Herbst im Blick, der Regierungskoalition das Leben so schwer wie möglich machen.
Das zeigt sich auch bei der Debatte um die Diskussion für einen besseren Schutz des Bundesverfassungsgerichts. Dabei geht es unter anderem um die Wahl von Verfassungsrichtern, die von den jeweils zuständigen Parlamenten abgesegnet werden muss. In der Sorge vor dem Erstarken extremer Parteien gerade bei den anstehenden Landtagswahlen im Osten Deutschlands hat die Ampel-Regierung eine Gesetzesvorlage erarbeitet, wonach die Einzelheiten zur Wahl und zur Amtszeit von Verfassungsrichtern nicht nur in einem einfachen Gesetz, sondern im Grundgesetz festgeschrieben werden soll. Käme es nämlich tatsächlich dazu, dass die AfD nach den anstehenden Landtagswahlen im Herbst in Brandenburg, Sachsen und Thüringen stärkste politische Kraft würde, könnten diese AfD-Fraktionen zum Beispiel die Neubesetzung von Verfassungsrichtern in den Ländern, aber auch beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zumindest blockieren und damit deren Arbeit in Teilen lahmlegen.
Eine Regelung im Grundgesetz würde die Hürden dafür deutlich erhöhen. Aber das bedarf eben auch einer Zwei-Drittel-Mehrheit, für die entsprechend die Union im Bundestag gebraucht würde.
Ursprünglich hatte die Unionsfraktion einer solchen Grundgesetzänderung positiv gegenübergestanden und Zustimmung signalisiert. Doch dann änderte sich Mitte Februar plötzlich die Haltung. Und auf einmal sahen es CDU/CSU plötzlich nicht mehr als notwendig an, das Grundgesetz für eine Stärkung insbesondere des Bundesverfassungsgerichts zu ändern. CDU/CSU, die immer um ein sehr staatstragendes Image bemüht sind, treiben bei dieser überraschenden Kehrtwende offensichtlich auch wieder Wahlkampfgründe an.
Eine lange umstrittene Wahlrechtsreform war zuvor von der Ampelregierung gegen die Stimmen der Union verabschiedet worden. Gerade CDU und CSU sind von dieser Wahlrechtsreform am ärgsten betroffen, stellt die Fraktionsgemeinschaft doch die meisten Direktkandidaten im Bundestag. Laut Wahlrechtsreform wird aber zukünftig – so bei der Bundestagswahl in anderthalb Jahren – die Erststimme, also die Stimme für den Direktkandidaten, eine wesentlich geringere Rolle spielen als bisher. Bislang galt: Hat ein Direktkandidat über die Erststimme seinen Wahlkreis gewonnen, dann ist er drin im Bundestag. Spätestens bei der regulären Bundestagswahl im September in einem Jahr besagt die Neuregelung, dass ein Wahlkreis für einen Direktkandidaten erst dann gewonnen ist, wenn nicht nur er selbst, sondern auch die Partei, für die er antritt, die Mehrheit geholt hat. Das dürfte vor allem zu Lasten von CDU und CSU gehen. Darum nun also bei der Debatte um eine Stärkung des Bundesverfassungsgerichts per Grundgesetzänderung der wenig überraschende Vorschlag aus Unionskreisen, zugleich die Wahlrechtsreform nochmal grundsätzlich zu überdenken.
Nur bedingt Verständnis
An dem Tag, an dem die Union die Debatte zur Stärkung des Bundesverfassungsgerichts mit der Ampel aufgekündigt hat, tauchte zeitgleich ein Gastbeitrag der beiden Unions-Rechtspolitiker Martin Plum (CDU) und Volker Ullrich (CSU) in einer großen überregionalen Tageszeitung auf. Dort fordern die beiden ganz offen: „Etliche Rechtspolitiker wollen die Arbeitsweise des Bundesverfassungsgerichts im Grundgesetz absichern. Wir wollen dies mit einer Verfassungsänderung zum Wahlrecht verknüpfen.“ Konkret wollen Plum und Ullrich die Fünf-Prozent-Hürde, die Zahl der Wahlkreise und andere Grundprinzipien festschreiben. Also die Wahlrechtsreform gesetzgeberisch wieder aufmachen und alles noch einmal neu verhandeln.
In der Wirtschaft hat übrigens dieser Kurs der Verweigerung für heftiges Kopfschütteln gesorgt. Angesichts aktueller Entwicklungen – den Hinweisen, dass die AfD bundesweit als gesichert rechtsextrem eingestuft werden könnte – dürfte eine taktische Verweigerungshaltung zum Projekt einer besseren Absicherung des obersten deutschen Verfassungsgerichts ebenfalls nur bedingt auf Verständnis bei den Menschen stoßen, die in den letzten Wochen millionenfach auf die Straße gegangen sind und weiterhin gehen, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren.