„The Zone of Interest“ zeigt das Familienleben des KZ-Kommandanten Rudolf Höß in seinem Privathaus neben dem Vernichtungslager Auschwitz. Der Film stellt auch eine Frage zur deutschen Gegenwart. Ab 29. Februar im Kino.
Hedwig Höß hat einen neuen Mantel. Sie probiert das Kleidungsstück aus Pelz an, dreht sich vor ihrem Spiegel und meint: „Der muss erst einmal gereinigt werden.“ Kein Wort verliert die Frau über die Herkunft des Mantels. Er ist eines der vielen Dinge aus dem Vernichtungslager Auschwitz, in dem den Juden vor ihrer Ermordung alles genommen wurde. Aber das interessiert Hedwig Höß nicht. Sie lebt ihrer eigenen „Zone of Interest“ und ignoriert, dass neben ihrem Haus Anfang der 1940er-Jahre viele Hunderttausend Menschen sterben.
Regisseur Jonathan Glazer erzählt in seinem Film von diesen Jahren, in denen der KZ-Kommandant Rudolf Höß mit seiner Frau Hedwig und den fünf Kindern in ihrer Villa auf der anderen Seite der Mauer des Vernichtungslagers Auschwitz wohnt. Die Hausherrin organisiert mit deutscher Gründlichkeit den Haushalt und kümmert sich um ihr Gewächshaus, ihrem ganzen Stolz. Die Kinder baden in dem kleinen Pool im Garten, zuweilen unternimmt die Familie auch Ausflüge in die Natur. Als Rudolf Höß nach Oranienburg versetzt werden soll, weigert sich Hedwig, ihr Traumhaus zu verlassen. Der Kommandant reist daraufhin allein in Richtung Berlin und organisiert die Massentötung ungarischer Juden. Sein Nachfolger ist der Aufgabe in Auschwitz nicht gewachsen. Rudolf Höß kehrt zu seiner Familie zurück und nimmt seine Aufgabe wieder auf.
Holocaust-Film ohne Schreckensbilder
„The Zone of Interest“ ist ein Holocaust-Film ohne die Schreckensbilder der Opfer wie in „Schindlers Liste“ (1993) von Steven Spielberg oder in dem TV-Mehrteiler „Holocaust – Das Schicksal der Familie Weiss“ (1978) von Marvin J. Chomsky. Die Zeichen des Massenmords erscheinen in „The Zone of Interest“ ausschließlich indirekt: Da sind im Garten der Villa gelegentlich Schüsse, Hundegebell und das Wehklagen Gefangener zu hören. Auch Musik klingt herüber. Sie stammt von dem Orchester, das für die ankommenden Juden spielt auf ihrem Weg in den Tod. Und im Hintergrund ragt ein großer Schornstein in den blauen Himmel. Dass er unentwegt raucht, empfindet Hedwig Höß als störend. Manchmal ist die frische Wäsche auf der Leine voller Asche. „Da muss ich wohl noch einmal waschen“, sagt die Hausfrau verärgert. Dargestellt wird Hedwig Höß von Sandra Hüller. Die deutsche Schauspielerin wird seit der Uraufführung des Filmes beim Filmfestival in Cannes 2023 gefeiert. Kühl-distanziert spielt sie die Frau, die das Grauen von Nebenan ignoriert. Aber nicht nur der Pelzmantel beweist, dass sie alles von der Tötungsmaschinerie nebenan weiß. Als ihr Ehemann die Rückkehr nach Deutschland plant, lässt Hedwig ihre Wut an ihrem polnischen Dienstmädchen aus und droht ihr, sie ins Gas zu schicken.
An Sandra Hüllers Seite ist Christian Friedel zu sehen. Er spielt den mustergültigen Nazi Rudolf Höß, der pragmatisch den kurzen Weg zur Arbeit schätzt und eiskalt die Opfer seiner Arbeit als „Brennmaterial“ bezeichnet. Als sorgender Vater möchte Höß, dass seine Kinder ohne die Spuren des Horrors von nebenan aufwachsen. Als beispielsweise die ganze Familie einen Ausflug an den nahen Fluss macht, schwimmen im Wasser ein menschlicher Unterkieferknochen und verklumpte Asche. Hektisch schrubbt er die Kinder in der heimischen Badewanne sauber.
Banalität, die verstörend ist
Regisseur Glazer vermeidet in seinem Film eine emotionale Nähe zum Ehepaar Höß. Die Kamera bleibt stets auf Distanz, Nahaufnahmen der Gesichter gibt es nicht. „The Zone of Interest“ ist weder Krimi noch Thriller, auch keine dramatische Schicksalsgeschichte und erst recht kein Film mit seifenopernähnlichen Elementen wie „Schindlers Liste“ und der Mehrteiler „Holocaust“ – für solche gängigen Genres ist die vordergründige Handlung zu banal. Aber eben wegen dieser Banalität auf der Leinwand und mit dem Wissen, das die Zuschauer und Zuschauerinnen über die grauenvollen Ereignisse hinter den Mauern haben, wird der Film niemanden unberührt lassen. Der Film fragt, wie eine Familie so ein spießiges Leben führen kann und gleichzeitig die Realität einige Meter weiter verdrängt. Und – das soll sich der Zuschauer fragen – ignorieren auch wir, was zurzeit in Deutschland vorgeht?