In Wintersportorten muss es nicht immer auf die Skipiste gehen. Outdoor-Fans können auch ohne Skier einen unvergesslichen Winterurlaub erleben. Vor allem in Engelberg-Titlis in der Zentralschweiz mit Schnee bis in den Mai.
Als wäre Frau Holle die ganze Nacht über am Werk gewesen, gleicht der Ort am Morgen einer märchenhaften Puderzuckerlandschaft. Die Luft ist klar und kalt, der Himmel könnte nicht blauer sein, und die Sonnenstrahlen lassen die Schneedecke wie Kristall glitzern. Das perfekte Wetter, um den Winter auf großem Fuß zu erleben. Auf Schneeschuhen, genauer gesagt. Diese gibt es zur Miete bei Intersport an der Talstation der Bergbahn Engelberg-Trübsee, deren Gondeln im Minutentakt zum nach dem See benannten Hochplateau auf 1.800 Metern hinauffahren. Am Ausgang der Bergstation tummeln sich Ski- und Snowboard-Begeisterte, die sich im Nullkommanichts Skier und Snowboards anschnallen und auf den Pisten verschwinden. Das Anziehen der Schneeschuhe dagegen geht schon mal schief. Wie hieß es bei der Einweisung nochmal? Den Fuß zuerst mittig auf die Bindungsplatte stellen und den Bindungsriemen an der Ferste fixieren. Dann die Riemen am Vorderfuß festspannen. Wer auch immer die klobigen Schuhe vorher anhatte, hat einen Riemensalat hinterlassen, den es erst mal zu entwirren gilt. Die Schuhe sitzen nach wenigen Minuten, die Hände sind dick behandschuht, und mit den Stöcken in der Hand kann es losgehen. Die Technik des Schneeschuhwanderns ist einfach: Breitbeinig gehen, damit man beim Vorbeiziehen des einen Schneeschuhs nicht am anderen schrappt und stolpert. Der Schneeschuhwanderweg ist ausgeschildert und mit pinkfarbenen Pfosten markiert – sich zu verlaufen ist unmöglich. Fernab vom hektischen Pisten-Rummel herrscht in der tief verschneiten Landschaft oberhalb des zugefrorenen Trübsee fast absolute Stille. Das einzige Geräusch ist das leise Knirschen des Schnees unter den Schneeschuhen. Ewig möchte man durch dieses schier grenzenlos weite Winterwunderland stapfen, würden da nicht höhere Höhen rufen.
Fast absolute Stille in der Landschaft
Der Trübsee liegt am Fuße des mächtigen Titlis, dessen Gipfelregion von einem Gletscher bedeckt ist. Die Fahrt hinauf auf 3.020 Meter Höhe ist spektakulär, denn die Seilbahn Titlis Rotair dreht sich auf dem Weg nach oben einmal langsam um sich selbst. Den atemberaubenden 360-Grad-Blick von der Drehgondel auf schneebedeckte Gipfel, tiefe Gletscherspalten und steile Felsplanken möchten auch diejenigen nicht missen, die weder auf Skiern noch auf dem Snowboard die Pisten hinunter brettern. Oben angekommen wartet das nächste Highlight: der Titlis Cliff Walk, Europas höchstgelegene Hängebrücke, die sich auf 3.041 Metern über einen 500 Meter abfallenden Abhang von einer Felswand zur anderen spannt. 150 Schritte sind es hinüber. Der Wind pfeift, die gut besuchte Brücke schwankt, der Blick hinunter in den Abgrund setzt Adrenalin frei. Definitiv nichts für diejenigen, die nicht schwindelfrei sind. Wer den Gang über den schmalen Steg wagt, wird am anderen Ende mit einer atemberaubenden Bergkulisse und einem Flug im Sessellift „Ice Flyer“ über den Gletscher belohnt.
Gemütliches Picknick im Schnee
Nicht ganz so spektakulär, dafür umso außergewöhnlicher, ist ein „Fondue-Schlitten“ auf der Fürenalp am hinteren Ende des Engelbergertals, zu der eine kleine Seilbahn in steiler Fahrt über die senkrechte Fürenwand fährt. Gleich neben der Bergstation befindet sich das Bergrestaurant „Fürenalp“, dessen Wirtin während des Corona-Lockdowns eine geniale Idee hatte. Als das Restaurant geschlossen bleiben musste, machte sie aus der Not eine Tugend und erfand das „Fondue-Böxli“: eine Holzkiste mit einem Fondue-Set für zwei Personen, Tellern und Gabeln, Gaskocher, Bechern, einer Fondue-Mischung aus der Engelberger Klosterkäserei, knusprigem Fonduebrot, einer Flasche Weißwein, einer Tischdecke und Thermositzkissen. Die Kiste wurde zusammen mit Fell und Wolldecke auf einen Schlitten gepackt und als Fondue-Schlitten angeboten. Das Angebot fand bei den Gästen so großen Anklang, dass es nach dem Lockdown beibehalten wurde. Man holt den vorbestellten Schlitten ab und zieht ihn auf der Suche nach einem geeigneten Picknickplätzchen hinter sich her. Dieses ist schnell gefunden. Die Holzkiste wird ausgepackt, zum Tisch umfunktioniert, der Gaskocher in Gang gesetzt und das Fondue in den dafür vorgesehenen Topf geschüttet. Dann ist erst einmal stetiges Rühren angesagt, um die käsige Köstlichkeit zum Köcheln zu bringen. Es dauert nicht lange, und man kann das erste Stückchen Brot mit der Fonduegabel eintauchen. In der Schneelandschaft auf 1.850 Metern Höhe und dem atemberaubenden Bergpanorama ringsum schmeckt’s nochmal so gut. Schneewanderer, die einen Schlitten mit Kindern hinter sich herziehen, blicken belustigt herüber und wünschen „En Guete mitenand“. Als der letzte Rest Fondue aus dem Topf gekratzt ist, wird zusammengeräumt und alles wieder in die Kiste gepackt. Im Tal angekommen, geben wir den Schlitten zurück. Nach dem üppigen Mahl steht uns der Sinn nach Bewegung.Deshalb lassen wir den Bus vorbeifahren und wandern ins Dorf.
Klosteranlage aus dem 18. Jahrhundert
Die schneebedeckte Herrenrütistraße und die Wasserfallstraße führen auf sechs Kilometern auf direktem Weg ins Zentrum von Engelberg, das mit 15 olympischen Medaillen das erfolgreichste Sportlerdorf der Schweiz ist. Kein Wunder, ist das 4.300 Einwohner zählende Bergörtchen mit seinem Schneereichtum doch das ideale Terrain, um für Weltrekorde zu trainieren. Und das von Oktober bis Mai. Viele Olympiaträume nehmen in der Sportmittelschule Engelberg ihren Anfang. Bei den Olympischen Winterspielen in Peking 2022 gingen acht der 14 Medaillen der Schweizer Delegation an ehemalige Schüler und Schülerinnen der 1995 gegründeten Schule, darunter viermal Gold. Zu den erfolgreichsten Ehemaligen gehören die Skirennfahrerin Michelle Gisin, die in Peking zwei Gold- und eine Bronzemedaille gewann und der Freestyler Fabian Bösch, der bei Freestyle-Skiing-Weltmeisterschaften zwischen 2015 und 2020 drei Gold-, eine Silber- und zwei Bronzemedaillen holte. Seinen spektakulären „Double Frontflip“ auf der Engelberger Skisprungschanze kann man sich auf YouTube anschauen. „If you can dream it – do it! Go for the Olympic Games” steht in großen Lettern an der Wand der Schulsporthalle. Das Talmuseum Engelberg ehrt die heimischen Olympioniken mit einer Dauerausstellung.
Der Ort in einem weiten Hochtal auf 1.000 Metern Höhe geht auf die 1120 gegründete Benediktinerabtei Engelberg zurück. Die Klosteranlage in ihrer heutigen Form wurde in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts errichtet und 1828 von den Franziskanern übernommen. Der Legende nach geht der Name auf Engelsstimmen zurück, die vom Gipfel des Berges Hahnen die Gründung der Abtei veranlassten. Zum Kloster gehören ein Gymnasium mit Internat, zwei Hotels und der von der kleinen Molkerei Molki Stans betriebene Käseladen „Chäs im Chloster“ mit Käseköstlichkeiten aus Engelberg und der ganzen Schweiz.
Nach einem erlebnisreichen Tag im Schnee plagt am Abend der Hunger. Für Abhilfe sorgt der Besuch in einem der urigen Restaurants in der Dorfstraße, die mit kulinarischen Genüssen aufwarten. Da darf es auch gerne wieder Fondue sein.