Obwohl uns beliebte Früchte wie Blaubeeren oder Zwetschgen mit einem blauen Farbton verzaubern können, enthalten sie keinerlei blaue Farbpigmente. Ursächlich für die Blaufärbung sind kristalline Wachshüllen-Strukturen, die das Sonnenlicht so reflektieren, dass uns das Obst bläulich erscheint.
Die „Süddeutsche Zeitung“ sprach bezüglich der Lieblingsfarbe der meisten Menschen einmal von einem „blauen Wunder“. Weil die Farbe Blau in der Natur recht selten vorkommt, haben die Erdenbewohner schon vor Tausenden von Jahren damit begonnen, diesen Ton mit erheblichem Aufwand künstlich selbst herzustellen oder nachzuahmen. „Die meisten Blautöne der Natur bestehen nicht aus Pigmenten, die der Mensch verwenden kann“, so die „Süddeutsche Zeitung“: „Schmetterlinge oder Vögel wirken nur deshalb blau, weil ihre Schuppen oder Federn Nanostrukturen aufweisen, die Licht auf eine bestimmte Weise reflektieren. Sie filtern alle Wellenlängen außer den blauen aus.“ Für die blaue (Schein-)Farbe wird auch der Fachbegriff Strukturfarbe verwendet, weil die Struktur der Oberfläche und nicht etwaige Pigmente für ihre Entstehung verantwortlich sind. Doch nicht nur wir Menschen stehen offenbar auf Blau und werden davon besonders angelockt, sondern auch Insekten wie Bienen oder viele Vögel. Daher wäre es für die Pflanzenwelt im Sinne einer optimalen Fortpflanzung eigentlich sinnvoll und nützlich, wenn es deutlich mehr blau blühende Pflanzen geben würde als die tatsächlichen ungefähr sieben Prozent. „Bienen stehen besonders auf blaue Blüten“, so ein Beitrag des Deutschlandfunks: „Sie sehen Farben anders als Menschen und nehmen die Farbe Rot beispielsweise kaum wahr – dafür reagieren sie auf Blautöne eben besonders intensiv. Und weil Pflanzen Bienen zum Bestäuben brauchen, wären blaue Blüten für die Blumen ein Vorteil. Weil es für die Pflanze aber relativ aufwendig ist, die Farbe zu produzieren, gibt es nur wenige von ihnen.“
Nachhaltiger, biokompatibler, essbarer Farbstoff
Ähnlich sieht es bei den hierzulande beliebtesten Früchten, den Äpfeln, und beim Obst aus. „Grüne Äpfel, rote Erdbeeren, gelbe Bananen: Die Natur schenkt uns Früchte in den buntesten Farben. Blaue Nahrungsmittel bringt sie aber vergleichsweise selten hervor“, so das Magazin „National Geographic“ im Rahmen der Besprechung einer im Fachjournal „Science Advances“ publizierten Studie, in der Forscher der University of Bristol unter Federführung von Dr. Rox Middleton das Geheimnis der blauen Farbe von Früchten wie Heidelbeeren, Blaubeeren, Schlehen, Zwetschgen, Wacholderbeeren oder Trauben enthüllt haben: Sie alle haben gemeinsam, dass sie keinerlei blaue Farbpigmente enthalten, deren Herstellung für die Pflanzen im Unterschied zu anderen Farbstoffen energetisch weitaus aufwendiger ist, sondern tatsächlich nur rote Farbstoffe. Das unterscheidet sie elementar von roten oder gelben Früchten, die allesamt auch rote oder gelbe Pigmente aufweisen. Wieso manche der Früchte dennoch blau erscheinen, war bislang ziemlich rätselhaft. „Das Blau der Blaubeeren kann nicht durch Zerquetschen ‚extrahiert‘ werden, es ist in dem pigmentierten Saft, der aus der Frucht gepresst wird, nicht vorhanden“, so Dr. Middleton, „Deshalb wussten wir, dass es mit der Farbe etwas Seltsames auf sich hat.“
Für die britischen Wissenschaftler lag die Vermutung nahe, dass der blaue Farbeffekt etwas mit der feinen, aber ziemlich staubigen äußeren Wachsschicht zu tun haben musste, mit der alle Früchte überzogen sind. Im Fachjargon wird diese natürliche Deckschicht als Epikutikulärwachs bezeichnet. Dessen Funktion wurde allerdings in der Forschung bislang hauptsächlich als Schutzbarriere gegen Feuchtigkeit und Schädlingsbefall angesehen.
Um den Verdacht zu bestätigen, löste das Team die Wachsschicht von verschiedenen blauen Früchten ab und untersuchte mithilfe der sogenannten Spektralphotometrie, in welchen Wellenlängen-Bereichen das Wachs einfallendes Licht reflektiert und auf spezielle Weise streut. Bei den verschiedenen Wachsschichten konnten sie dadurch erstmals eine starke Reflexion im Bereich des blauen und ultravioletten Lichts nachweisen.
Als nächsten Schritt untersuchten die Wissenschaftler die innere Beschaffenheit der Wachsschichten und konnten dabei recht unterschiedliche und scheinbar ganz zufällig angeordnete Nano-Kristallstrukturen identifizieren. Doch obwohl die Unterschiede zwischen den winzigen Partikelstrukturen ziemlich groß waren – mal hatten diese die Form von Ringen, mal von Röhren, Platten oder Stäbchen –, hatte dies offenbar keinerlei wesentlichen Einfluss auf die Lichtreflexion oder die optische Wirkung. Die Forscher gehen davon aus, dass nicht die Form der Nanostrukturen für den bläulichen Effekt verantwortlich ist, sondern die zufällige Anordnung der Partikelstrukturen. Wenn allein die Struktur einer Oberfläche und nicht die darin enthaltenen Pigmente für eine bestimmte Farbe verantwortlich ist, wird von einer sogenannten Strukturfarbe gesprochen. Obwohl die blaue Farbe für die Pflanzen viele Vorteile bietet, können sie sich die energieaufwendige Produktion der blauen Pigmente dank der Blau reflektierenden Wachsschicht – die sich laut Vermutung der britischen Wissenschaftler bei verschiedenen Pflanzen unabhängig voneinander entwickelt hat – ersparen. „Diese Moleküle sind energetisch aufwendig, und die Strukturfarbe kann einen weniger kostspieligen Weg zur blauen Farbe bieten“, so Dr. Middleton.
„Es war wirklich interessant herauszufinden“, so Dr. Middleton, „dass es einen unbekannten Färbungsmechanismus direkt vor unserer Nase gibt, und zwar bei beliebten Früchten, die wir ständig anbauen und essen. Noch aufregender war es aber, diese Farbe zu reproduzieren und eine neue blaue Beschichtung herzustellen, die niemand zuvor je gesehen hat.“ Als der Ursprung der blauen Farbe bekannt war, versuchte das Studienteam, die Wachsschicht in Reinform zu gewinnen. Dafür tauchten sie die blauen Beeren der Gewöhnlichen Mahonie (Mahonia aquifolium) – ein Ziergehölz, das in vielen Gärten und Parks zu finden ist – in eine Chloroform-haltige Substanz, mit deren Hilfe sich das Wachs von der Beerenoberfläche ablösen ließ. Danach strichen sie das weißliche Wachs in einer dünnen Schicht auf dunkle Glasplatten. Nach einer Weile kam es zur Bildung der gleichen Kristallstrukturen wie bei den natürlichen Früchten. Das Wachs rekristallisierte also und leuchtete durch Reflexion der UV-Strahlen auf den dunklen Glasplatten fast ebenso blau wie auf den natürlichen Beerenschalen. Womöglich sind in dieser künstlich gewonnenen Beschichtung sogar auch noch die schützenden Eigenschaften des Epikutikulärwachses enthalten.
Das Team hat sich als nächste Aufgabe vorgenommen, einfachere Methoden zur Ablösung der Wachsschicht von den Beeren und der Überführung auf ein Trägermedium zu entwickeln. Wenn es damit Erfolg haben sollte, könnte es in naher Zukunft einen nachhaltigen, biokompatiblen und sogar essbaren blauen Farbstoff nach natürlichem Vorbild geben. „Es wäre ein Traum, die ganze Funktionalität dieses natürlichen Wachses in künstlich hergestellte Materialien einzubauen“, so Dr. Middleton. Das Nutzungspotenzial der Entdeckung könnte sehr vielseitig sein. „Man könnte entsprechende Beschichtungen möglicherweise als farbgebende Substanz in Kosmetika einsetzen, als unbedenklichen Ersatz für Kunststoffbeschichtungen auf Lebensmitteln, als nachhaltigen und umweltfreundlichen UV-Schutz oder als Farbstoff für Solarzellen“, so das britische Forscherteam.