Mit viel Extra-Motivation laufen die Eisbären Berlin in dieser Saison auf. Die vergangene Horror-Saison wollen sie mit aller Macht vergessen machen, in der Hauptrunde hat das gut geklappt. Der Rekordchampion spielt wieder titelreif.

Ob nun Platz eins oder zwei: Die Vorrunde ist für die Eisbären Berlin ein großer Erfolg. Aus der katastrophalen Vorsaison haben die Verantwortlichen ganz offensichtlich die richtigen Schlüsse gezogen. Die neue Ausrichtung auf einen schnelleren und offensiveren Spielstil hat sich ausgezahlt, die Neuzugänge wie Ty Ronning, Kai Wissmann, Blake Byron, Tobias Eder oder Frederik Tiffels passen perfekt. Und im Tor strahlt der neue Stamm-Goalie Jake Hildebrand deutlich mehr Sicherheit als seine Vorgänger aus. „Wir haben eine Mannschaft, in der jeder seinen Teil zur Gesamtbilanz einbringt“, schwärmte Trainer Serge Aubin: „Es wäre unfair von mir, einen Spieler herauszuheben.“ Auch Neuzugang Ronning benennt den Hauptgrund für den Erfolg so: „Wir haben eine gute Chemie im Team und die Mannschaft steht bei allem im Vordergrund.“
Zudem war die Entscheidung, Trainer Aubin nicht von seinen Aufgaben zu entbinden, sondern mit der Mission „Wiedergutmachung“ zu betrauen, goldrichtig. Der Kanadier gibt die Richtung vor – und alle im Team folgen. Es ist diese Gier zu spüren, es besser machen zu wollen. Die Fans versöhnen zu wollen. Den Erfolg zum DEL-Rekordmeister zurückbringen zu wollen. Die Eisbären spielen dabei nicht immer das schönste Eishockey, aber meist das effizientere. Das ist eine Qualität, die vor allem in den anstrengenden Tagen der bevorstehenden Play-off-Zeit noch viel wert sein dürfte.
Höhepunkt
Siege gegen den Titelverteidiger schmecken immer besonders süß, vor allem wenn es sich dabei um Red Bull München handelt. Die Münchener wollen in der DEL das Maß der Dinge sein und den Eisbären über kurz oder lang auch den Status des Rekordmeisters streitig machen. Der klare und auch in dieser Höhe verdiente 6:2-Sieg der Berliner Mitte Oktober in Berlin war daher auch ein Statement. „Wir haben von Beginn an einfach, stark und temporeich gespielt“, schwärmte Trainer Serge Aubin nach der „großartigen Leistung“ seines Teams. Spätestens danach wussten alle: Mit diesem Berliner Team ist in dieser Saison wieder zu rechnen. Vor allem wussten es dann die Eisbären selbst, die Selbstzweifel nach der vergangenen Horror-Saison verschwanden. „Wir spielen wirklich gutes Eishockey“, meinte Stürmer Zach Boychuk. Dass der Hauptstadtclub mit dem Sieg die Start-Krise der Münchener verschärfte, war ein willkommener Nebeneffekt.
Tiefpunkt

Drei Niederlagen in Folge sind für ein Topteam der DEL ungewöhnlich. Alle drei zu Hause zu erleben, kommt sogar noch seltener vor. Aber dabei auch noch 16 Gegentreffer zu kassieren, das darf eigentlich nicht passieren. Die Spiele gegen die Grizzlys Wolfsburg (6:9), die Düsseldorfer EG (1:4) und die Iserlohn Roosters (0:3) vor heimischen Fans im November waren ohne Zweifel Rückschläge in der ansonsten glänzenden Hauptrunde. Die Eisbären hatten in dieser Schwächephase ihr eigenes Erfolgsrezept vergessen. „Als wir Erfolg hatten, war es weniger unser Spielstil, der den Ausschlag gegeben hat, sondern das bedingungslose Engagement, alles zu geben“, sagte Trainer Serge Aubin. Seine Spieler wollten es in dieser Phase zu schön machen und vergaßen dabei die Basics des Spiels. „Dann musst du sicherstellen, dass du die Zweikämpfe gewinnst, sonst kannst du keine Spiele gewinnen“, haderte Aubin damals: „Ich habe den Jungs gesagt, dass wir wieder damit beginnen müssen, füreinander zu kämpfen und uns zu unterstützen. Darum geht es. Wir sollten wieder wie eine Familie spielen, wie ein Team voller Brüder.“ Und das taten sie. Es folgte ein Pflichtsieg gegen die Löwen Frankfurt und ein „Charaktersieg“ (Aubin) beim 3:1 bei den Adler Mannheim.
Serie
Zu Hause ist es immer am schönsten? Die Eisbären traten in den letzten Wochen des Jahres 2023 auch sehr gern in fremden Arenen an – denn dort gab es reichlich Punkte für sie. Zwölf Siege in Folge fuhr der DEL-Rekordchampion zwischen dem 3. Oktober und 30. Dezember ein. Höhepunkt war das 10:2 bei den Nürnberg Ice Tigers, der vierthöchste Sieg der Berliner in ihrer DEL-Geschichte. „Es war eines dieser Spiele, in denen wir Kapital aus nahezu jeder unserer Chancen schlagen konnten“, sagte Aubin hinterher, „solche Partien gibt es im Eishockey“. Die Erfolgsserie riss jedoch gleich im ersten Spiel des neuen Jahres durch ein 1:5 bei Titelrivale Fischtown Pinguins. Unabhängig vom Ergebnis sind Auswärtsblöcke mit zum Teil mehreren Tagen fernab der Heimat aber nur selten ein reines Vergnügen, wie Torhüter Jonas Stettmer nach einer Auswärtstour berichtete: „Das schlaucht schon. Somit bin ich jetzt glücklich, mal wieder in meinem eigenen Bett zu schlafen.“

Topscorer
Marcel Noebels, wer sonst? Wieder einmal führte der Nationalstürmer die interne Scorer-Wertung bis vor den letzten drei Hauptrundenspielen an – wenn auch diesmal nicht mit so großem Abstand. 47 Punkte hatte der Vizeweltmeister nach 49 Spielen auf dem Konto, verteilt auf 13 Tore und 34 Assists. 2020 und 2021 wurde Noebels zum DEL-Spieler der Saison gekürt, und daran will er sich auch weiter messen lassen. „Ich bin jetzt in der Position, dass ich sage, ich möchte der beste Spieler sein und das von Spiel zu Spiel“, sagte der 31-Jährige: „Mein Ziel ist es, das Niveau zu halten.“ Und nicht nur das. Auch in seinem Alter könne er sich noch verbessern und weiterentwickeln, zudem wolle er zunehmend „ein Vorbild für die jungen deutschen Spieler“ sein, denn: „Für die müssen wir mehr tun.“
Rückhalt
Die Sehnsucht nach einer echten Nummer eins war vor der Saison riesengroß. Nachdem in der vergangenen Spielzeit die jungen und unerfahrenen Tobias Ancicka und Juho Markkanen das Tor der Eisbären hüteten und dabei reichlich Lehrgeld zahlen sollten, setzt der Hauptstadt-Club in diesem Jahr auf eine andere Strategie. Jake Hildebrand wurde als klarer Stamm-Goalie verpflichtet, sein talentierter Back-up Jonas Stettmer soll von seiner Erfahrung profitieren und dem US-Amerikaner wichtige Erholungspausen verschaffen. Der Plan geht bislang auf. Hildebrand ist ein Garant für den Aufschwung der Eisbären, seine Ruhe und souveräne Ausstrahlung dürfte vor allem in den anstehenden Play-offs von großem Wert sein. „Ich bin 30 Jahre alt und spiele schon seit einer Weile. Dabei habe ich gelernt, was Torhüter erfolgreich macht – und das ist meistens Ruhe“, sagte Hildebrand: „Wenn der Goalie nervös oder unruhig ist, merken die Gegner das. Also versuche ich ruhig zu wirken, damit jeder weiß, dass ich felsenfest im Tor stehe.“ Doch von der Ruhe dürfe man sich nicht täuschen lassen, verriet Angreifer Tobias Eder: „Selbst im Training will er jede Scheibe halten, das zeichnet ihn aus.“ Sein Vertreter Stettmer (22) bewies zudem in seinen Einsätzen, dass man sich auch auf ihn bedingungslos verlassen kann.
Gewinner

Die historische Schmach des Verpassens der Play-offs hätte vermutlich die meisten Trainer den Job gekostet. Doch Serge Aubin durfte den Club-Bossen seine Saisonanalyse mit dem Bonus der gewonnenen Meisterschaften 2021 und 2022 vortragen. Und der Kanadier überzeugte seine Chefs. Er durfte nicht nur die Mission „Wiedergutmachung“ angehen, sondern Mitte November sogar auch noch einen neuen, bis 2026 datierten Vertrag unterschreiben. Einen größeren Vertrauensbeweis gibt es wohl nicht – und Aubin lieferte. Dem 49-Jährigen gelang gemeinsam mit Sportdirektor Stéphane Richer der Aufbau eines neuformierten Teams, das jünger, schneller, motivierter und vor allem erfolgreicher ist. „Manchmal funktionieren die Dinge nicht so, wie du es dir erhoffst. Aber das Vertrauen zeigt, dass wir einen Plan haben und auch durch schwere Phasen gemeinsam gehen“, sagte Aubin. Diese Rückendeckung verspricht Richer auch für die Zukunft: „Wir glauben an ihn und jetzt zahlt er das Vertrauen zurück und zeigt, dass er ein Toptrainer ist.“
Verlierer
Lean Bergmann hatte sich so viel vorgenommen. Ein Neustart sollte sein Wechsel nach Berlin sein, eine Wende zum Besseren. Denn die Karriere des Angreifers, der einst als eines der größten Eishockey-Talente Deutschlands galt, war zuletzt mächtig ins Stocken geraten. Sportliche, körperliche und private Probleme brachten ihn aus dem Tritt, doch die Vorbereitung mit den neuen Teamkollegen gaben dem 13-maligen NHL-Spieler neue Hoffnung. „Der Sommer hat mir gut getan, ich bin auf dem Weg“, sagte der 25-Jährige. Doch nach einem ordentlichen Start in die Saison kam die Hiobsbotschaft: Verletzung am Unterkörper, Operation, mehrmonatige Pause. „Wir bedauern es sehr, dass sich Lean so schwer verletzt hat“, sagte Sportdirektor Stéphane Richer: „Er ist ein wichtiger Spieler unserer Offensive, war sehr gut in Form und kam immer besser in Schwung.“ Inzwischen ist Bergmann wieder zurück auf dem Eis, im Training versucht er mit viel Ehrgeiz, den Rückstand aufzuholen. Auch die WM in Tschechien im Mai hat er noch nicht abgeschrieben: „Ich will auch zurück ins Nationalteam.“

Fans
Sie sind zweifelsohne versöhnt. Der Zuschauerschnitt im Vergleich zur katastrophalen Vorsaison wurde deutlich nach oben geschraubt, die Stimmung in der Arena ist wieder leistungsfördernd. Die Spieler sehen den sportlichen Erfolg als eine Art Wiedergutmachung für ihre Anhänger an. „Das ist auch toll für die Fans. In der letzten Saison mussten sie uns ja fast die ganze Zeit im Tabellenkeller sehen“, sagte der kanadische Stürmer Zach Boychuk. Dass die Anhänger nicht nachtragend sind, zeigte sich schon in der Vorbereitung, als knapp 10.000 Besucher zum Testspiel gegen Prag in die Arena am Ostbahnhof strömten. Generell ist die Deutsche Eishockey Liga in ihrer 30. Saison auf Rekordkurs, sie vermeldet höchste Zuschauerzahlen in den Arenen, beim TV-Partner MagentaSport und bei der digitalen Reichweite.