Seit der Entwurf für einen Landesentwicklungsplan vorliegt, wird heftig diskutiert. Innenminister Reinhold Jost weist den Vorwurf, Kommunen zu sehr einzuschränken, zurück. Einwände und Anregungen würden abgewogen. Bis Jahresende soll alles fertig sein.
Herr Jost, seit der Vorlage des Landesentwicklungsplans (LEP) wird heftig um Wohnungs-Neubaugebiete gestritten. Was ist eigentlich das Ziel des LEP?
Dieser Landesentwicklungsplan gibt den groben Rahmen vor für alle landes- und raumplanerischen Grundlagen. Es geht darum, wo in welchen Teilen unseres Landes welche Aktivitäten besondere Berücksichtigung finden sollen – oder eben auch nicht. Wir legen Grundwasserschutzgebiete genau so fest wie Landschafts- und Naturschutzgebiete, es geht um Vorranggebiete beispielsweise, wo Rohstoffgewinnung stattfinden kann wie Kies- oder Kalksteinabbau, oder um Grünzüge, die erhalten bleiben sollen, um das Landschaftsbild aufzulockern. Und es geht darum, wo Wohnbebauung, Gewerbe- oder Industriegebiete sein sollen – oder eben nicht. Wir geben die Grundzüge in der Planung vor, was aber nicht heißt, dass es keine Ausnahmen mehr gibt. Es wird auch weiterhin so genannte Zielabweichungsverfahren geben, die, eine gute Begründung vorausgesetzt, ermöglichen das eine oder andere doch zu machen, auch wenn es in der derzeitigen Planung nicht vorgesehen ist. Wir geben den Rahmen vor, ausgefüllt wird er in der kommunalen Planungshoheit und Selbstverwaltung der Städte und Gemeinden.
Wenn es um unterschiedliche und teils widersprechende Interessen in der Nutzung geht: Wie und unter welchen Kriterien erfolgt die Abwägung?
Das erfolgt in der Regel auf Basis klarer Daten und Gutachten. Beim Naturschutz etwa, wo bei Natura2000- Gebieten klare Vorgaben durch die EU festgelegt sind, kommen wir daran nicht vorbei. Auch das Thema Grundwasserschutz unterliegt klaren Kriterien. Dort, wo Grundwasserspeicher sind, ist mit besonderer Vorsicht zu arbeiten. Das heißt nicht, dass dort nichts gemacht werden darf, es muss aber mit erhöhter Vorsicht erfolgen. Das gilt auch für die Diskussion um das Linsler Feld (geplante SVolt-Ansiedlung, Anm. d. Red.). Dass das Ganze in der Trinkwasserschutzzone 3 liegt, heißt nicht, dass dort nichts passieren darf, sondern dass bei einer Maßnahme mit besonderer Vorsorge an das Thema herangegangen werden muss. Das zweite sind Daten und Fakten, die zugrunde gelegt werden, etwa bei der Siedlungsentwicklung. Wir wissen, dass wir im Ballungsraum Saarbrücken mit Blick auf Verkehrsinfrastruktur das Angebot rund um das Thema Arbeitsplätze und im kulturellen und sportlichen Bereich andere Maßstäbe heranzuziehen sind als in anderen Regionen. Wir definieren deshalb Saarbrücken als Oberzentrum, mit anderen Möglichkeiten und anderen Erwartungshaltungen als in einer kleinen, ländlich strukturierten Gemeinde. Das wirkt sich aus auf die Ausweisung von Baugebieten, Gewerbe- und Industrieflächen, aber auch auf die Möglichkeit zur Nutzung von Freiflächen, die vorher anders genutzt waren, etwa als Industriegebiet, und künftig als Wohngebiet oder Mischgebiet genutzt werden sollen. Darauf kann man reagieren, wie aktuell beim Becolin-Gelände.
Der Streit hat sich nun am Symbol des „freistehenden Einfamilienhauses“ entwickelt. Warum soll das eher die Ausnahme sein?
Daten und Fakten spielen dann auch bei der Ausweisung von Neubaugebieten eine maßgebliche Rolle. Immer nur nach außen zu wachsen und neue, unbebaute grüne Flächen in Anspruch zu nehmen – das war mal! Mit guter Begründung wird das in Zukunft auch noch möglich sein, aber man muss sich der Mühe unterziehen, nachzuweisen, wie viele freie Wohnbauplätze man noch in der Gemeinde hat und warum man nicht an die rankommt. Wir wollen wissen, ob die Gemeinde alles unternommen hat, um an bereits erschlossene Flächen zu kommen, und wenn das nicht gelungen ist, sind wir auch bereit, Neubauflächen zuzulassen. Innenverdichtung geht in jedem Fall aber vor. Das ist auch im Interesse der Gemeinden selbst. Neubaugebiete müssen erst mal erschlossen werden, und das kostet Geld. Aber um das noch mal klarzustellen: Ich will niemandem sein Einfamilienhaus verbieten. Aber ich weiß auch aus meinen jahrelangen Erfahrungen als Ortsvorsteher: Das frei stehende Einfamilienhaus mit großem Grundstück drumrum ist heute gar nicht mehr so in Mode. Die Leute wollen kompakter und kostensparender bauen und am Ende entscheiden das immer noch die Gemeinden selbst, aber sie müssen begründen, warum sie neue Baustellen brauchen, wenn es in ihrem Ort noch unbebaute Grundstücke gibt.
Es gab knapp 1.300 Stellungnahmen auf die Vorlage. Was passiert damit?
Die werden alle sorgfältig abgewogen. Das müssen wir auch, um rechtlich nicht angreifbar zu werden. Ein großer Teil ist aber in den übergeordneten Ansätzen gleich gelagert. Wenn etwa angemerkt wird, das sei ein unzulässiger Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung. Da ist klar: Dazu gibt es höchstrichterliche Entscheidungen. Es gibt aber auch Stellungnahmen, die sich auf höchst spezifische Einzelfälle beziehen. Ich habe vorhin schon das Beispiel Becolin-Gelände in Saarbrücken erwähnt. Oder nehmen Sie zwei Beispiele aus dem wunderschönen Landkreis Merzig-Wadern: Da geht es um zwei ehemalige Produktionsstätten von Villeroy&Boch, wo es Vorstellungen darüber gibt, was man damit machen könnte, etwa für Wohnungen. Man kann dann nicht dem einen Standort alles zuschlagen, also beispielsweise hunderte neue Wohnplätze schaffen, und allen anderen Ortsteilen sagen: Es gibt keine Baustellen mehr. Das wäre natürlich töricht und würde auch den Anforderungen nicht gerecht. Also: Wir werden uns jeden einzelnen Punkt ansehen und gewichten. Anschließend gehen wir noch mal in das Verfahren, damit alle wissen, wie wir mit ihren Stellungnahmen umgegangen sind. Unser Interesse ist, das transparent zu machen.
Der neue Landesentwicklungsplan führt die vorherigen einzelnen Pläne für Umwelt und Siedlung zusammen. Warum hat das so lange auf sich warten lassen?
Ich muss selbstkritisch sagen, dass wir alle auch schon in der Vorgängerregierung unterschätzt haben, was das an Aufwand mit sich bringt. Ich habe jetzt beide Blickwinkel: Ich war vorher im Umweltressort, bin jetzt im Innenressort, das für die Landesplanung zuständig ist. Ich weiß, wie lange es damals im Umweltministerium gebraucht hat, die Belange von Landwirtschaft, Gewässerschutz und Naturschutz zusammenzubringen. Und das sind nur drei Bereiche. Ich bin jetzt fast zwei Jahre hier im Amt, und wir haben hier Drive reingebracht. Wir haben uns jetzt, auch auf Bitten der kommunalen Ebene, bis Ende des Jahres Zeit genommen, um die Interessen aller zur Kenntnis zu nehmen und nach Möglichkeit versucht, sie auch abzubilden. Es wird natürlich nie gelingen, allen gerecht zu werden. Wir wollen auch nicht alles bis ins Kleinste regeln, im Gegenteil der kommunalen Selbstverwaltung so viel wie möglich in der Planungs- und Gestaltungsverantwortung lassen.
Wenn es damit jetzt doch in die zweite Jahreshälfte geht: Ist es ein Vorteil, das nach den Kommunalwahlen (9. Juni) machen zu können?
Ich habe mich entschieden, das in einem dialogorientierten Prozess zu machen. Hätte ich es jetzt liegen lassen bis nach der Wahl, würde es heißen: Der hat Angst vor der Diskussion. Ich fürchte die Diskussion nicht, und ich bin auch dankbar für Hinweise, aber Klischee-Debatten zu führen hilft niemandem. Das Ziel ist, am Ende des Jahres einen rechtssicheren und verlässlichen Plan zu haben, der nicht zu sehr ins Detail geht und die kommunale Selbstverwaltung sehr hoch achtet.
Nun hört man aber eben doch die Klagen aus Kommunen, gerade beim Thema Wohnungsbau würden ihre Entscheidungsmöglichkeiten eingeengt, und es wäre mit viel zusätzlicher Bürokratie verbunden.
Oftmals sind das Vorwürfe ohne tatsächliche Kenntnis der Sachverhalte. Kommunen wissen in der Regel schon seit Jahren, sie müssten es auch, wie viele Bauplätze sie in ihrer Gemeinde baureif liegen haben, und haben mit Sicherheit auch schon versucht, an diese Bauplätze heranzukommen. Wir wollen an diesen Stellen aber nicht stur sein. Wenn wir bei der demografischen Entwicklung sehen, dass wir nicht, wie vor zehn Jahren prognostiziert weniger, sondern mehr Bevölkerung haben, dann wollen wir dem natürlich Rechnung tragen. Und natürlich haben auch meine Leute im Ministerium kein Interesse daran, ein Bürokratiemonster heranzuzüchten. Wir haben ein Interesse daran, dass der Bedarf nachgewiesen wird. Das ist nicht zu viel verlangt. Und dass man mit diesen Flächen sparsam umgehen muss, ist keine Erfindung von mir und auch nichts Neues. Wir wollen keine Entwicklung behindern, aber die Entwicklung in einer gewissen Ordnung steuern.
Neben dem viel diskutierten Wohnraumthema gibt es noch eine Vielzahl anderer Bereiche. Die sind weniger strittig?
Ein Thema ist vergleichbar mit dem Wohnraum, nämlich Gewerbe- und Industrieflächen. Brownfield-Aktivierung, also ehemals genutzte Gebiete, die wir in eine neue Nutzung bringen wollen, bevor wir etwas auf der grünen Wiese machen. Es wird aber auch weiterhin notwendig sein, Beispiel Linslerfeld, Erschließungen auf der grünen Wiese zu machen, um Bedarfe abzudecken. Außerdem denken wir bei landwirtschaftlichen Flächen auch das Thema regenerative Energien mit, das hat auch eine gewisse Lenkungsfunktion. Auch das Thema Umwelt- und Landschaftsschutz hat einen sehr hohen Stellenwert. Das Saarland ist eines der waldreichsten Länder, aber auch ein Bundesland, das mit Natura2000, Naturschutz- und Landschaftsschutzgebieten sehr reich gesegnet ist. Ich sage aber auch: Selbst wenn wir den Landesentwicklungsplan im nächsten Jahr auf dem Weg haben, wird es sehr schnell Veränderungen geben, denn nichts ist statisch.