Wenn es gerade mal nicht so gut läuft, könnte es böse enden, sich von seinem wichtigsten Teil zu trennen: dem Kopf. So geschehen, mit Barbara Rittner, die 19 Jahre prägend fürs Damentennis im Deutschen Tennisbund (DTB) gewirkt hat.
An einem nebulösen Sonntagmorgen wurde DTB-Vizepräsident Helmut Schmidbauer in einer dürren Trennungsmeldung vorgeschickt: „Barbara Rittner hat… in ihrer Zeit beim DTB Außergewöhnliches geleistet und war mitverantwortlich für die großen Erfolge der Goldenen Generation rund um Angelique Kerber, Andrea Petkovic, Julia Görges, Sabine Lisicki und Anna-Lena Grönefeld… Gemeinsam sind wir nun zu der Überzeugung gelangt, dass jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen ist, einen anderen, neuen Weg einzuschlagen“. Leicht sei ihr die Entscheidung nicht gefallen, heißt es in der offiziellen Verlautbarung. „Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für eine Veränderung“, soll Rittner zudem gesagt haben. Bereits am Valentinstag war die 50-Jährige mit der Bemerkung zitiert worden, dass sie der DTB entlassen könne, wenn alles nichts helfe. Und leicht sarkastisch: „Dann wird alles besser“. Fallen gelassen, könnten verwaiste Rohlinge zu Scherben werden. Zumal im langen Schatten der Golden-Girls-Generation, die als einstige Pionierinnen im Porsche Talent Team ihren Nachfolgerinnen Top-Ten-Platzierungen, Grand-Slam- und Olympiasiege als Erfolgsmaßstäbe mitgaben. Hamburg-Finalistin Noma Noha Akugue, Top-100-Anpeilerin Eva Lys und Ella Seidel können ein Lied davon singen: Fleiß, Disziplin und knallharte Strukturen. Tennisclubs statt Nachtclubs. Für junge Frauen zwischen 18 und 21 Jahren.
Sie sind dran: Ella Seidel kletterte 2023 die Weltrangliste um 400 Plätze hoch, kämpfte sich dieses Jahr bei ihrem ersten Grand Slam durch die Qualifikation, war dann aber in der ersten Runde in Melbourne gegen Aryna Sabalenka chancenlos. Night Session, ein paar gute Schläge gegen die Belarussin, die Tage später das Turnier mit atemberaubender Schnelligkeit, Technik und Power zum zweiten Mal in Folge gewann: Das war’s dann auch schon für die 18-jährige Debütantin Ella. Rittner litt mit ihren Spielerinnen, wenn mehr drin gewesen wäre, wenn – wie bei Seidel in jener Nacht – Tränen flossen. Die Tennis-Lenkerin lobte, motivierte. Mahnte an, dranzubleiben. Erwachsen zu werden. Beispielsweise Jule Niemeier mit ihren 24 Jahren. Sie könnte bald groß sein. Wie schon mal im Viertelfinale von Wimbledon.
Im „Altenkirchener Kurier“ wurde Rittner auch mit folgender Weltspitzen-Analyse zitiert: „Wir sehen ein Abbild der Gesellschaft. Es werden immer weniger, die bereit sind, sich zu quälen. Einige halten nicht durch, weil sie nicht bereit sind, sich Strukturen zu geben.“ Gibt es irgendjemanden, der begreift, warum die Grande Dame des DTB, die ihre Tennisküken liebevoll hütete und energisch vorantrieb, ohne neuen Vertrag dasteht? Warum sich der Tennisnachwuchs nun ohne Schutz und Stups vom „Head“ vorwärts hangeln muss? Vielleicht auch ohne Sponsoren-Geld?
Rückendeckung von Boris Becker
Einer, der seine Meinung gerne über die Sozialen Medien postet, hat die fatale Situation bei Instagram auf den Punkt gebracht. Einer, der auch einmal ein „Kopf“ im Deutschen Tennisbund war, doch längst von Michael Kohlmann als Cheftrainer abgelöst wurde. Einer, der Kollege von Rittner ist, wenn die ehemaligen Profis bei Eurosport mitkommentieren und analysieren. – Boris Becker: „Barbara, Du hast einen tollen Job gemacht!!! Der DTB wird dich noch vermissen…“
Wie engagiert und anerkannt Barbara Rittner ist, verrät ihre Fotosammlung auf Instagram: Ob zwölf Jahre Porsche-Tennis mit den besonders geförderten Sportlerinnen, Fed-Cup mit den „Mädels“ der goldenen Tennisgeneration oder ein Besprechungsfoto mit den aktuellen DTB-Talenten, das sie so betextete: „Meinen“ jungen Ladies weiter alles Gute: „Great things never come from comfort zones.“ Die amtierende Deutsche Meisterin Nastasja Schunk, die lange verletzt war, kommentierte letzteres Bild so: „Vielen Dank für alles! Ich hätte mir niemand besseres vorstellen können.“ Siegemund und Petkovic bedankten sich für ehrliche Rückmeldungen und fürs „Dasein“ in „allen“ Momenten und Lebenslagen. War die Ex-Cheftrainerin zu streng mit ihren „Mädels“? Nach den Australian Open plädierte die 50-Jährige dafür, nicht zu viel Druck auf die Spielerinnen auszuüben. Kein Einzelfall. Schied beispielsweise Angelique Kerber in der ersten Runde eines Grand Slams aus, bat Rittner um Gnade für die Niederlage.
Rittner honorierte Anstrengung, Leistung – und Erfolge: Dass Kerber drei Grand-Slam-Titel holte. Dass Sabine Lisicki der Deutschen Stolz war, als sie ins Wimbledon-Finale einzog. Dass Julia Görges, Kerber und Siegemund das stolze Stuttgarter Turnier gewannen und im Edelauto aus der Halle fuhren. Dass Petkovic trotz Verletzungen in den Top Ten vertreten war.
Nur drei Deutsche in den Top 100
„Durch die Unterstützung von Porsche können wir die ausgewählten Talente wesentlich intensiver betreuen als früher“, ließ sich Barbara Rittner noch im Dezember auf der Porsche-Website zitieren. Als sie noch offizielle Chef-Bundestrainerin des DTB war, den gesamten weiblichen Nachwuchsbereich verantwortete und für die Verteilung und den Einsatz der Fördermittel zuständig war. „Wir ziehen sie zum Beispiel häufiger zu Trainingslehrgängen zusammen und begleiten sie noch regelmäßiger mit unseren Trainern zu internationalen Turnieren.“ – Früher beklagten nachrückende Talente, dass sie auf sich allein gestellt unterwegs sein mussten. Rittner verstand es immer wieder, die Solo-Selbständigen beim Fed Cup oder auch innerhalb des Porsche Teams Deutschland so zusammenzuschmieden und zu motivieren, dass die Summe aller sehr viel mehr ergab, als die Individuen vermuten ließen. Speziell der Deal mit Porsche, als Sponsor der deutschen Damen-Talente und -Nationalmannschaft, war ein Meisterinnenstück von Barbara Rittner.
Klar ist: Das deutsche Damentennis hat Probleme. Das liegt auch an den deutschen Strukturen: Ein Schulsystem, das wenig Freiraum lässt, eine Profikarriere von Klein an aufzubauen. Ein Verband, der in Landesverbände aufgeteilt ist, die Stärken und Macht ausspielen. „Unsere Zielsetzung beim Porsche Junior Team ist es, die Spielerinnen, die teilweise noch zur Schule gehen, bestmöglich individuell zu unterstützen, so dass sie auch zu Hause ein professionelles Umfeld haben“, erläuterte Rittner einst. In diesem Jahr geht es um die Olympischen Spiele. Zunächst darum, wer antreten darf. Nur drei Damen stehen aktuell in den Top 100. Ohne DTB-Unterstützung schlug sich Tamara Korpatsch bei den Australian Open gut, meisterte erstmals den Einzug in die zweite Runde eines Grand Slams. Im vergangenen Jahr holte die 28-Jährige ihren ersten WTA-Titel. Schafft Korpatsch es bis Juni in die Top 56 der Welt, hat sie die eine oder andere Chance, für Deutschland bei den Olympischen Spielen dabei zu sein. Laura Siegemund, die amtierende Doppelweltmeisterin ist, die den Doppel-Titel bei den US Open holte und auch als Einzel- und Mixed-Spielerin liefert, dürfte ihren Platz sicher haben. Tatjana Maria erfüllt aktuell die Kriterien, um auf den Plätzen von Roland Garros aufschlagen zu dürfen. Babypausen-Rückkehrerin Angelique Kerber wünscht sich einen Einsatz im Mixed mit Olympiasieger Alexander Zverev.
Aber wer lenkt künftig die DTB-Damen: Steht eine Nachfolgerin als „Kopf“ bereit? Andrea Petkovic begleitete die deutschen Spielerinnen seit ihrem Rücktritt unterstützend bei Turnieren und auf Trainings. Die ehemalige Top-Ten-Spielerin hat Verträge in der Tasche, die Rittners Engagement bei Eurosport nicht unähnlich sind. Ist Turnier-Botschafterin. Als Turnierdirektorin von Berlin brachte Rittner in den 2020er-Jahren ein Stück Wimbledon mit Rasenfrische auf die eingestaubten Berliner Tenniscourts und die Promis der Tennisszene gleich noch mit. Doch der DTB träumt möglicherweise von einer Cheftrainerin, die sich ganz auf Nachwuchsausbildung und Star-Generierung konzentriert. Ob sich ein Schattendasein der Head of Tennis besser bewährt und alles besser wird?