Während Carl Benz voll auf die Entwicklung des Autos gesetzt hatte, wollte sein vor 190 Jahren geborener Zeitgenosse Gottlieb Daimler mit einem universell einsetzbaren Motor sämtliche Mobilität revolutionieren. Dennoch gilt Daimler als Co-Erfinder des Automobils.
Als Gottlieb Daimler im Juli 1882 mit seiner Familie in eine repräsentative Villa in der Taubenheimstraße 13 in Cannstatt einzog, begann für ihn im Alter von 48 Jahren ein neuer Lebensabschnitt. Nicht nur den stolzen Kaufpreis von 75.000 Goldmark konnte er sich leisten, sondern auch den beruflichen Neustart als Unternehmer. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er „nur“ als Top-Manager bei verschiedenen deutschen Unternehmen gearbeitet, zuletzt bei der Gasmotorenfabrik Deutz im rechtsrheinischen Köln. Nach Differenzen mit der Geschäftsleitung nahm Daimler den Abschied, den er sich mit einer finanziellen Abfindung als Basis für seinen Sprung in die Selbstständigkeit versüßen ließ.
Für diese hatte sich Daimler allerhöchste Ziele gesetzt. Das manifestierte sich darin, dass er unter dem Dach des neben seiner Villa stehenden Gewächshauses, das zur Versuchswerkstatt umgebaut worden war, in Stein sein künftiges Leitmotiv einmeißeln ließ: „Das Beste oder nichts“. Was heute ziemlich großsprecherisch klingen mag, hatten Daimlers Zeitgenossen fraglos als klares Bekenntnis zu Tugenden wie Fleiß, Leistungsbereitschaft und Erfindungsreichtum verstanden.
Daimler hielt sein Versprechen und lieferte später auf Basis des universell einsetzbaren Benzinmotors beispielsweise das erste Motorrad, das erste Motorboot, die erste vierrädrige Motorkutsche, den ersten Motor-Lastwagen, das erste Motor-Luftschiff und in seinem letzten Jahrzehnt die erste Flotte von Luxusautomobilen, deren Umbenennung in den klangvollen Namen „Mercedes“ im April 1900 Gottlieb Daimler nicht mehr erlebte. Kurz vor Erreichen seines 66. Geburtstages verstarb er am 6. März 1900 in Cannstatt an einem Herzleiden.
Die Familie Daimler lebte schon seit rund zwei Jahrhunderten unter verschiedensten, leicht abgewandelten Namen wie Deumier, Teimbler oder zuletzt Däumler in Schorndorf. Hier wurde am 17. März 1834 in der Höllgasse, wo die Eltern eine Back- und Weinstube unterhielten, auch Gottlieb Wilhelm Däumler geboren. Dank finanzieller Zuschüsse aus dem familiären Umfeld erhielt er eine fundierte schulische Ausbildung, inklusive des Besuchs der renommierten Schorndorfer Lateinschule. Zusätzlich besuchte er eine Zeichenschule, die in der schwäbischen Stadt, die damals neben Stuttgart, Tübingen und Bad Urach zu den bedeutendsten Zentren im Königreich Württemberg zählte und 1821 zur Hebung der künstlerischen Ausbildung der Handwerkerschaft gegründet worden war.
Kongeniale Partnerschaft
Vater Johannes riet dem Filius 1848 angesichts der revolutionären Umtriebe jener Zeit von einer Beamtenlaufbahn ab. Also trat Gottlieb eine Lehre beim örtlichen Büchsenmacher Wilke an und lieferte 1852 eine doppelläufige Pistole als sein Gesellenstück ab. Doch mit dem Beruf eines Büchsenmachers wollte sich der junge Gottlieb nicht zufrieden geben, ihn lockten vielmehr die Chancen des aufziehenden Maschinenzeitalters im Rahmen der Industriellen Revolution.
Von daher setzte er seine Ausbildung an der königlichen Landesgewerbeschule zwischen 1853 und 1857 fort. Dort wurde der württembergische Wirtschaftspolitiker Ferdinand von Steinbeis auf das Talent Gottliebs aufmerksam und ließ ihn zum Erwerb praktischer Fähigkeiten im Maschinenbau in ein vor allem für den Eisenbahnbedarf tätiges Werk ins Elsass schicken. Von 1860 bis 1862 schloss er ein Maschinenbaustudium an der Polytechnischen Schule in Stuttgart an, um sich danach vor allem im englischen Ausland die technischen Fortschritte anzuschauen. Danach war Gottlieb Däumler, der sich irgendwann den Namen Daimler zulegte, kurzzeitig als Konstrukteur der Metallwarenfabrik Straub & Schweizer, dem Vorgänger des späteren Unternehmens WMF, in Geislingen an der Steige tätig.
Ende 1863 erhielt Daimler seinen ersten Chefposten als Leiter der Maschinenfabrik des Bruderhauses in Reutlingen, einem ambitionierten sozialen Projekt zugunsten von Vollwaisen oder Menschen mit Benachteiligungen. 1867 kam es in der dortigen Werkstatt zum Zusammentreffen Daimlers mit dem zwölf Jahre jüngeren Wilhelm Maybach, der als Vollwaise seit seinem zehnten Lebensjahr im Bruderhaus Zuflucht gefunden hatte. Fortan bildeten die beiden Männer ein perfektes Team, Daimler als Visionär und Geschäftsmann, Maybach als der geniale Konstrukteur, der stets dazu in der Lage war, Daimlers Ideen technisch umzusetzen.
Im gleichen Jahr, 1867, heiratete Daimler die Apotheker-Tochter Emma Pauline Kurz, die ihm fünf Kinder schenkte. Als Daimler 1868 in den Vorstand der Werkstätten der Maschinenbau-Gesellschaft Karlsruhe wechselte, ließ er Maybach wenig später nachkommen. Als die beiden Inhaber der Gasmotorenfabrik Deutz, der Ingenieur Gustav Langen und der Erfinder Nikolaus August Otto, die wirtschaftliche Basis ihrer noch relativ kleinen Kölner Fabrik durch Weiterentwicklung des von Otto entwickelten Viertakt-Gasmotors erweitern wollten, verpflichteten sie im Sommer 1872 Daimler als Werkstättenleiter und Maybach als Chef der Konstruktionsabteilung. Dem Duo gelang es meisterhaft, den Motor serienreif und zu einem Verkaufsschlager zu machen. Die Hauptabnehmer der Gasmotoren waren vor allem Buchdruckereien.
Da Daimler die Vision eines kleinen, universell einsetzbaren Motors vorschwebte, die auf Basis des noch immer ziemlich schweren Deutzer Gasmotors nicht zu verwirklichen war, war der Zwist mit der Geschäftsleitung vorprogrammiert. Daimler und Maybach nahmen 1882 ihren Hut und richteten in Cannstatt ihre eigene Versuchswerkstatt ein. Daimlers grundlegender Ansatz bestand darin, Benzin als ausschließlichen Brennstoff für die möglichst leichten und drehfreudigen Motoren zu verwenden, um diese in alle nur denkbaren Fahrzeuge zu Land, zu Wasser oder in der Luft einbauen zu können. Ottos patentiertes Viertakt-Prinzip wurde übernommen, verbunden mit der englischen Erfindung der sogenannten ungesteuerten Glührohrzündung, die als zentrale Voraussetzung zur Erzielung höherer Drehzahlen bei einem leichten und gleichzeitig leistungsstarken Motor angesehen wurde.
1887 Bau einer eigenen Fabrik
Bereits Ende 1883 lief der erste noch liegende Versuchsmotor, der mit einem Hubraum von rund 100 Kubikzentimetern auf eine Leitung von 0,25 PS und auf damals sensationelle 600 Umdrehungen pro Minute kam. Bei der Weiterentwicklung 1885 namens „Standuhr“ wurde der Motor in die stehende Variante überführt. Die „Standuhr“ sollte in verschiedenen Entwicklungsstufen nacheinander, 1885 im sogenannten Reitwagen, dem ersten Motorrad der Welt, dann in einem Boot (woraufhin beträchtliche Bestellungen für Bootsmotoren aus Hamburg eintrafen) und im Oktober 1886 in einer Kutsche mit vier Rädern eingebaut werden. Auch eine Straßenbahn oder ein Luftschiff konnten bald damit angetrieben werden.
Da die stetig wachsenden Aufgaben im Gartenhaus nicht mehr bewältigt werden konnten, ließ Daimler auf dem Cannstatter Seelberg 1887 eine eigene Fabrik mit 23 Arbeitern aufbauen. Er gab Maybach den Auftrag, den Einzylinder durch einen Zweizylinder auf Basis der „Standuhr“ zu ersetzen. Das Ergebnis war der sogenannte Stahlradwagen, dessen Vier-Gang-Getriebe auf der Pariser Weltausstellung 1889 bestaunt werden konnte und der die aufstrebende französische Automobilindustrie ganz entscheidend prägte.
Im Juli 1889 starb Daimlers Ehefrau Emma. Sie hatte ihn lange vergeblich dazu gedrängt, dem Einstieg von finanzstarken Investoren in sein Unternehmen zuzustimmen. 1890 gab der zunehmend an Herzbeschwerden leidende Gottlieb Daimler schließlich seine Zustimmung zur Gründung der Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG). Doch bald schon kam es zum Streit mit den beiden Mitgesellschaftern. Maybach wurde als Chefkonstrukteur bereits 1891 entlassen, Daimler wurde kurz nach der Eheschließung mit Linda Hartmann im Oktober 1894 aus der DMG herausgedrängt.
Auf eigene Kosten ließ er Maybach weiter konstruieren. Diesem gelang mit dem sogenannten Phönix-Motor aus zwei parallel stehenden und in einem Block zusammengegossenen Zylindern eine solche Innovation, dass eine Gruppe finanzstarker englischer Industrieller allein für die Lizenzrechte auf der Insel eine astronomische Summe von 350.000 Mark zu zahlen bereit war. Allerdings nur unter der Bedingung, dass Daimler und Maybach wieder zur DMG zurückkehren durften. Ab 1895 konnte so bei DMG auf Basis des Phönix-Motors der sogenannte Riemenwagen, ein kutschenartiges Automobil, produziert werden. Ein Jahr später folgte der vor allem in England begehrte Daimler-Lastwagen und ab 1897 der sogenannte Phönix-Wagen, bei dem der Motor erstmals vorne eingebaut wurde. 1898 wurden erstmals Phönix-Straßenfahrzeuge mit Vierzylindermotor angefertigt, mit denen schon bald erste Siege bei frühen Motorsportrennen unter dem Namen „Mercedes“ eingefahren wurden.