Chinesische Shopping-Plattformen wie Temu oder Shein überschwemmen den Markt mit Schnäppchen. Mittlerweile warnt die Verbraucherzentrale: Die Qualität lässt meistens zu wünschen übrig.
Elektrogeräte für zehn Euro, Küchenutensilien für 90 Cent, Handwerksgeräte für drei Euro, Spielzeug für vier, Lederjacken für 30 Euro, Dekoartikel für 60 Cent – Temu und Shein laufen seit etwa einem Jahr Amazon den Rang als erfolgreichste Shopping-Plattform ab. Das Motto: Billig ist Trumpf. Gelegentlich gibt es riesige Rabatte von 90 Prozent und eine kostenlose Drohne noch obendrauf. Und das inklusive Versand. „Shop more, pay less!“, heißt es auf den offiziellen Temu-Kanälen von X (ehemals Twitter). Zwischendurch locken in der zugehörigen Shopping-App Minispiele, die die Zeit zwischen zwei Einkäufen vertreiben sollen. Als Belohnung winken noch mehr Produkte – kostenlos.
Frachtkapazitäten am Limit
Konsum-Deutschland ist verzückt. Die Nachrichtenagentur Reuters meldete kürzlich, dass die Frachtflugkapazitäten aus China mittlerweile am Limit seien – wegen Temu und dem Ultra-Fast-Fashion-Versandhändler Shein, der einem ähnlichen Geschäftsmodell wie Temu folgt. Bis zu 400.000 Temu- und Shein-Pakete erreichen Deutschland täglich, in den USA sind es 600.000. Auf der Videoplattform TikTok laden Konsumenten und Influencer begeistert Videos von Dutzenden orangener Temu-Pakete hoch, die gerade vor der Haustür ankommen und die zusammen nur wenig mehr als 100 Euro kosten. „Shoppe wie ein Milliardär“, verspricht Temu dementsprechend vollmundig, wirbt aggressiv um Kunden und Nutzerdaten – dass es dabei vor allem um Volumen und weniger um Qualität geht, davon spricht mittlerweile sogar die Verbraucherzentrale. Denn viele Produkte entsprechen nicht europäischen Sicherheitsstandards, sind potenziell gefährlich, gesundheitsschädlich oder von minderer Qualität.
Das Geschäftsmodell ist einfach: billig produzieren lassen, kaum Lagerhaltung, billig versenden. Dies ähnelt der mittlerweile berüchtigten Billig-App Wish: Temu bietet Händlern und Fabriken direkten Zugang zum Kunden an, lagert jedoch die Produkte nicht wie Amazon in eigenen Lagern zwischen. Dafür sind die Händler selbst verantwortlich. Große namhafte Marken werden von Temu und Shein ohnehin nicht angeboten.
Außerdem umgehen sie beim Versenden in der Regel den Zoll, weil die Produktpreise so niedrig sind. Wer Waren im Wert von 150 Euro oder mehr bei Temu bestellt, zahlt anfallende Zollgebühren in der Regel beim Erhalt der Pakete selbst. Die Plattform splittet dabei jedoch auch teurere Bestellungen in mehrere kleinere, um auch hier die fälligen Zollgelder zu umgehen.
Mögliche anfallende Steuern wie die Einfuhrumsatzsteuer sind in den auf der Plattform genannten Preisen bereits enthalten – daher die oft krummen Preise. Probekäufe von Medien wie ProSieben oder dem WDR, aber auch der Bundesnetzagentur bei Temu zeigen dabei große Unterschiede. Auch die Verbraucherzentrale warnt: Manche Produkte entsprechen zwar den Erwartungen, andere jedoch werden beschädigt geliefert oder gar nicht, elektrische Geräte weisen nicht das für den deutschen Markt notwendige CE-Prüfsiegel auf, in anderen Fällen war es gefälscht, Kabel schmorten manchmal durch. Nicht Temu, sondern Händler und Produzenten werden dafür haftbar gemacht – aber diese sind oft kaum erreichbar oder besitzen schlicht keinen Kundenservice. Die Lieferzeit kann schon mal mehrere Wochen betragen, mangels Zwischenlager oder weil Produkte erst auf Anfrage produziert werden.
Klar ist, Nachhaltigkeit wird hier kleingeschrieben: Ist ein Gerät für ein paar Euro defekt, sendet man es zurück oder bestellt einfach ein neues. Mit welchen Materialien oder unter welchen Umständen das Produkt hergestellt und über welche Strecken es per Luftfracht geliefert wird, ist für Temu kein Thema. Zudem gilt die App der Plattform als Datenkrake, die möglichst viel vom Anwender wissen möchte. Das ist kein Verstoß gegen geltende Datenschutzgesetze, trotzdem empfehlen Experten der Verbraucherzentrale, die für den App-Betrieb nicht benötigten Dienste wie die Standortweiterleitung auszuschalten.
Um die Sicherheitsrisiken von Produkten, die von Temu geliefert werden, in den Griff zu bekommen, will die Bundesnetzagentur nun strenger gegen solche Plattformen vorgehen, wie Agenturchef Klaus Müller dem „Spiegel“ mitteilte, im „Gleichschritt“ mit der Europäischen Kommission. Der Handelsverband Deutschland (HDE) forderte von der Politik eine härtere Gangart gegenüber chinesischen Billig-Marktplätzen. „Weder der europäische noch der deutsche Gesetzgeber sind in der Lage, ihre Verordnungen und Gesetze gegenüber chinesischen Unternehmen vollständig durchzusetzen“, klagte der stellvertretende HDE-Hauptgeschäftsführer Stephan Tromp. Dadurch entstünden Wettbewerbsverzerrungen. „Wer hierzulande Waren anbietet und verkauft, muss sich auch an unsere Regeln und Gesetze halten. Die heimischen Handelsunternehmen investieren viel Geld in die Einhaltung von Umwelt- sowie Verbraucherschutzauflagen und finanzieren mit ihren Steuerzahlungen das Gemeinwesen. Dagegen kommen über chinesische Plattformen wie Temu massenhaft Waren auf unseren Markt, die gegen sämtliche Vorschriften verstoßen“, so Tromp. Der Gesetzgeber auf Bundes- und auf EU-Ebene schaue bei diesem Prozess bisher weitgehend hilflos zu. In der Folge könne von einem fairen Wettbewerb keine Rede mehr sein.
Wegwerfkleidung und defekte Elektrogeräte
Temu überprüfe die Händler, die auf dem Online-Marktplatz verkaufen und führe selbst stichprobenartige Kontrollen der Produkte durch, erläuterte eine Sprecherin, nachdem deutsche Spielwarenhersteller vor Produkten der Plattform warnten. Verstöße könnten zum Beispiel zu Strafen, Auslistung von Produkten oder Sperrung der Anbieter führen. Trotz dieser Versicherung listen die Verbraucherzentralen hauptsächlich drei Gründe für schlechte Noten auf: nicht erhaltene Waren, schlechte Qualität und schlechter bis nicht vorhandener Kundendienst. Der HDE fordert nun mehr und gründlichere Kontrollen, um die Zahl der illegalen Produkte im EU-Binnenmarkt besser in den Griff zu bekommen. Unter anderem setzt sich der Verband für ein neues Verfahren beim Zoll an den EU-Außengrenzen ein. Vorstellbar sei eine digitale Plattform, bei der jedes Paket angemeldet werden müsse. Pakete von Handelsunternehmen, die sich wiederholt nicht an Recht und Gesetz hielten, könnten dann künftig aussortiert werden. Das Problem für den Zoll: die schiere Masse an Paketen. Um sein Geschäft nicht zu gefährden, will Temu nun nachbessern: Laut der Computerzeitschrift „Chip“ plant die Plattform mehr Transparenz bei den Bestellungen und hat beanstandete Produkte tatsächlich aus dem Netz entfernt.
Dagegen gibt sich Shein verschlossen, reagiert nicht auf Vorwürfe. Stattdessen expandiert die Plattform in Europa, baut nach Angaben der Deutschen Verkehrszeitung ein Logistikdrehkreuz in Polen auf und verstärkt seine Präsenz am Frankfurter Flughafen, sponserte in Großbritannien die Women Footballs Awards 2023. Die Vorwürfe an Temu und Shein zeigen klar: Die EU braucht bessere Marktaufsichtsmechanismen, die durchsetzbar sind. Dies ist bislang kaum der Fall. Ungeachtet der Probleme und des zweifelhaften Images, das Temu und Shein teilen: Beide Unternehmen sind offensichtlich gekommen, um zu bleiben.