Menschenaffen im Allgemeinen und Schimpansen im Besonderen faszinieren uns seit Jahrhunderten. Doch seit wann werden die Tiere empirisch untersucht? Und was hat man herausgefunden? Ein Überblick.
Sollten Außerirdische den Weg zu uns finden, ist es gut möglich, dass diese Zivilisation trotz allen Fortschritts weniger über Schimpansen weiß als die Menschheit. Denn 1977 wurde zwar ein Forschungsbild von Jane Goodall mit der Raumsonde „Voyager“ in den interstellaren Raum geschickt – doch seitdem hat das Wissen über den Menschenaffen natürlich um einiges zugenommen. Und wie immer beginnt die empirische Forschung mit Fragen – in diesem Fall, ob Lernen und Kommunikation auch ohne Sprache funktioniert. Dies fragte sich 1661 Samuel Pepys, als er einen der ersten lebendig in Europa angekommenen Affen – mutmaßlich ein Schimpanse – sah und bemerkte, dass man sich mit dem Tier auch mittels Zeichen verständigen konnte.
37 Jahre später erregte der Brite Edward Tyson mit seinen anatomischen Studien Aufsehen. Als 1698 erstmals ein aus Angola stammender Schimpanse nach London gebracht wurde, dort jedoch nach kurzer Zeit verstarb, nutzte Tyson die Chance, das Tier zu untersuchen. Seine ein Jahr später veröffentlichte Studie „Orang-outang, sive, Homo sylvestris: or, The anatomy of a pygmie compared with that of a monkey, an ape, and a man“ sollte für das nächstes Jahrhundert die Forschungswelt dominieren. Wegweisend war sie, weil er darin erstmals den Körperbau eines Menschenaffen mit dem eines Menschen verglich, sowie eine Liste von Gemeinsamkeiten und Unterschieden erstellte. Der titelgebende Orang-Utan war ein Schimpanse, dessen Skelett noch heute in einem Museum ausgestellt ist. „Orangutan“ stammt aus dem Malaiischen und bedeutet „Person aus dem Wald/Dschungel“.
Charles Darwin, der wohl berühmteste Naturforscher, wirkte bis 1882, sein britischer Landsmann Thomas Henry Huxley bis 1895. Letzterer unterstützte nicht nur Darwins Evolutionstheorie aus „Über die Entstehung der Arten“, sondern befeuerte mit seinem Essay-Buch „Evidence as to Man’s Place in Nature“ auch dessen Theorie, dass der Mensch vom Affen abstamme und sich zudem Homo erectus (vermutlich der Vorläufer des Neandertalers) sowie Homo sapiens – der moderne Mensch – in Afrika entwickelt hätten. Eines der Dinge, die dafür sprechen: Die beiden biologisch mit dem Menschen am engsten verwandten Spezies stammen ebenfalls von und leben auch heute noch dort: der Bonobo und der Schimpanse.
Für einen Quantensprung in der Forschung sorgte ab den 1960er-Jahren Jane Goodall. Die bald 90-jährige Engländerin mit dem gütigen Blick formulierte 1960, dass nicht nur menschliche Wesen Persönlichkeit hätten. Nicht nur der Mensch sei des rationalen Denkens mächtig oder habe Gefühle wie Spaß oder Trauer. Sie beobachtete in ihrer Forschungszeit im Gombe-Stream-Nationalpark bei Schimpansen Umarmungen, Küsse, Schulterklopfen und Kitzeleien. Sie schloss daraus, dass es tiefergehende Gefühle innerhalb der Schimpansen-Familien oder einer Gemeinschaft geben könne, die das komplette Leben andauern können.
Doch sie fand auch heraus, dass der Schimpanse dem Menschen auch in einer anderen Gefühlslage näher steht, als man so denkt. „In den ersten zehn Jahren der Forschung dachte ich, die Schimpansen seien netter als Menschen. Doch plötzlich fanden wir heraus, dass Schimpansen brutal sein konnten – dass sie, wie wir, eine dunklere Seite in ihrer Natur haben.“ Sie hatte bereits vorher herausgefunden, dass die Tiere sich nicht wie angenommen, rein vegetarisch ernährten und beobachtet, wie mehrere Exemplare einen kleineren Affen einen Baum hinaufjagten, ihm Fluchtwege versperrten und ihn anschließend töteten und auffraßen.
Doch der Schimpansenkrieg von Gombe von 1974 bis 1978 war eine andere Hausnummer. In der gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen zwei Schimpansengruppen wurde sich gegenseitig angegriffen, ein Baby kannibalisch ermordet, das Blut aus Wunden getrunken und auf ein am Boden liegendes Tier wieder und wieder eingeschlagen und eingetreten, bis es zitternd verstarb. Wie die Schimpansen war auch Jane Goodall nur ein Mensch – denn später fand man heraus, dass ihre gut gemeinte Absicht, die Tiere mit Bananen anzulocken, den seit 1971 schwelenden Konflikt zwischen den beiden Gruppen eventuell befeuert hatte. Doch nachgewiesen wurde mittlerweile auch längst, dass kriegsähnliche Auseinandersetzungen sowohl mit fremden als auch in internen Gruppen zum natürlichen Territorialverhalten unserer nächsten genetischen Verwandten gehören.
Schimpansen bewegen sich rhythmisch zu Musik
Ebenfalls erschütternd für viele Menschen dürften die Forschungen ab den Achtzigern von Frans de Waal gewesen sein. Der niederländische Primatologe und Verhaltensforscher forschte im Zoo von Arnheim mit dem Sozialverhalten von Schimpansen, und weitete seine Erkenntnisse später auf weitere Menschenaffen wie Orang-Utans, Bonobos und Gorillas aus. Er stellte fest, dass positives moralisches Vorgehen bei all den Tieren vorkommt. Sein Fazit: Nicht nur in der Evolution des Menschen hätte sich soziales Verhalten gebildet. Auch Menschenaffen wüssten, dass „Helfen“ und „Gutsein“ sowohl dem Individuum als auch der gesamten Gruppe Vorteile brächten.
Der US-amerikanische Psychologe und Verhaltensforscher David Premack trug bereits ab den Siebzigern mit seinen Forschungen dazu bei, dass Schimpansen heute deutlich weniger oft für Laborforschung genutzt werden. Mit einer von ihm entwickelten nonverbalen Methode wies er nach, dass sowohl kleine Kinder als auch Schimpansen zu kausalen Schlussfolgerungen fähig sind. Er wies ebenfalls nach, dass Schimpansen ein zerlegtes Gesicht wieder zusammensetzen können – sie platzierten Augen, Nase und Mund an der richtigen Stelle Bereits in seinem Grundstudium beschäftigte sich der kalifornische Psychologe und Anthropologe Roger Fouts mit dem Verhalten von Menschenaffen. Ab 1967 schaffte er es, der Schimpansen-Dame Washoe die American Sign Language, also eine amerikanische Gebärdensprache, beizubringen. Washoe ist das erste nicht menschliche Lebewesen, das diese Sprache beherrschte, sie starb 2007 und hatte rund 350 Zeichen beherrscht. Fouts unterrichtete auch Lucy, das vielleicht erste nicht menschliche Wesen, bei dem man Lügen beobachtete. Die 1987 verstorbene Schimpansin leugnete, dass ein Haufen Schimpansenkot auf dem Boden von ihr stammte. Auch in jüngeren Jahren werden immer wieder neue Erkenntnisse gewonnen oder ehemals sicher geglaubte widerlegt. So fanden japanische Forscher heraus, dass Schimpansen sich rhythmisch zu Musik bewegen. Die Wissenschaftler spielten sieben Tieren verschiedene Klavierstücke vor, und diese reagierten darauf mit Tanzelementen, etwa dem Wiegen des Körpers, Stampfen oder auch Klatschen. Dabei hätten sich die Männchen besonders ins Zeug gelegt, heißt es. 2022 wurde eine Studie veröffentlicht, in der es heißt, dass Schimpansen eventuell deswegen nicht sprechen könnten, weil der Sprechapparat bei Menschen nicht komplexer sei, sondern in mancherlei Hinsicht einfacher als bei Schimpansen und Co. Diese würden bestimmte Erweiterungen der Stimmlippen sowie „Luftsäcke“ besitzen, was Menschen hingegen fehle. 2023 wurde bei Schimpansen-Weibchen zudem dokumentiert, dass sie in der Wildnis eine Menopause erleben. Damit sind sie die erste nicht-menschliche Primatenart, bei der das beobachtet werden konnte.
Doch trotz aller intellektuellen und sozialen Intelligenz können Schimpansen eines offensichtlich nicht: Tübinger Biologen fanden 2021 heraus, dass Affen sich nicht gegenseitig kopieren. Im Gegensatz zum Homo sapiens können Menschenaffen ihre Verhaltensweisen also nicht an die nächste Generation weitergeben. Stattdessen erfinden sie jede ihrer Verhaltensweisen in jeder Population und in jeder Generation neu. Demzufolge würden Menschenaffen nur dann neue Verhaltensweisen nachahmen, wenn sie vorher durch Menschen daraufhin trainiert wurden.