Trotz seiner langjährigen Tätigkeit in der Modebranche gelang Raul Lopez erst vor Kurzem der spektakuläre Durchbruch zum US-Kultdesigner mit seiner Marke Luar – dank seiner It-Bag „Ana“.
Letztlich war es ein einziges Produkt, das dem Mittdreißiger Raul Lopez innerhalb kürzester Zeit den spektakulären Aufstieg von einem zwar kreativen, aber weitestgehend erfolglosen Außenseiter der Fashion-Welt zum neuen Liebling der US-amerikanischen Mode-Szene ermöglichte. Dabei handelte es sich um eine Handtasche namens „Ana“, die der in New York geborene Designer mit tiefer familiärer Verwurzelung in der Dominikanischen Republik als Highlight seiner Sommerkollektion 2022 mit dem Titel „Teteo Basico“ präsentiert hatte. Die trapezförmige Tasche sollte dank der Kombination einer quadratischen Box in Anlehnung an die Aktenkoffer-Ära und Griffen in Gestalt strukturierter runder Riemen in Anspielung auf die Mode-Ära der 1950er- und 1960er-Jahre in Windeseile Kult-Status erlangen, obwohl der Preis mit rund 300 Dollar eigentlich deutlich zu niedrig angesetzt war. Doch dank Promis wie Dua Lipa, Troye Sivan, Charli XCX, Julia Fox oder Bella Hadid wurde die Tasche zu einem begehrten Must-Have und bescherte ihrem Schöpfer im November 2022 die Krönung zum American Accessory Designer of the Year durch den Council of Fashion Designers of America.
Erschwingbarer Luxus
Dicht gefolgt von der Nominierung von Raul Lopez im März 2023 als einer von neun Finalisten des renommierten LVMH-Preises. Damit nicht genug, sollte Raul Lopez mit seinem Label Luar (der Vorname einfach rückwärts geschrieben) die Ehre zuteilwerden, auf der New Yorker Fashion Week für den Herbst/Winter 2023/2024 die Abschluss-Veranstaltung durchführen zu dürfen. Ein Privileg, das normalerweise den Branchentitanen Marc Jacobs oder Tom Ford zugestanden wurde. Und das auch bei der Präsentation der Sommermode 2024 bei Raul Lopez verblieben war, der am letzten Tag der New York Fashion Week seine Kollektion vorstellen konnte. Das legendäre US-Modemagazin „WWD“ („Women’s Wear Daily“) bescheinigte Lopez jüngst die Fähigkeit, seine Brand Luar zur künftigen „Americana-Megamarke“ oder „zur neuen egalitären Lifestyle-Marke der USA“ machen zu können, „die in die Fußstapfen von Ralph Lauren, Calvin Klein und Tory Burch treten könnte. Lopez hat ein besonderes Händchen dafür, Luxus zu einem Preis anzubieten, der sich zum Greifen nah anfühlt.“ Was er laut „WWD“ mit seiner ersten kommerziellen Prêt-à-Porter-Kollektion, die im Mai 2023 auf den Markt gebracht worden war, unter Beweis stellen konnte, weil dabei die meisten Pieces unter 250 Dollar zu haben waren. Bei der Met-Gala 2023, die als wichtigste Modenacht des Jahres am Abend des 1. Mai im New Yorker Metropolitan Museum of Art über die Bühne gegangen war, trugen die Promi-Ladys noch keine Luar-Roben. Allerdings konnte sich Lopez bei seiner Premieren-Einladung für dieses Mega-Event der großes Aufsehen erregenden ständigen Begleitung durch das Supermodel Paloma Elsesser erfreuen.
Ziemlich viel plötzliche und unerwartete Anerkennung für einen autodidaktischen Designer, der schon seit fast zwei Jahrzehnten an einem Durchbruch in der Branche gearbeitet hatte. Auch wenn Insider den Namen Raul Lopez im Zusammenhang mit dem frühen Streetwear-Kultlabel Hood By Air vielleicht schon mal gehört, aber wahrscheinlich auch schnell wieder vergessen haben dürften. Denn nachdem Lopez die Marke 2005/2006 gemeinsam mit Shayne Oliver gegründet hatte, entschloss er sich schon fünf Jahre später zum Ende der Zusammenarbeit und zur Gründung eines eigenen Brands mit dem Namen „Luar Zepol“ (der vollständige Name rückwärts geschrieben), verbunden mit dem zeitweisen Umzug in die Dominikanische Republik, was im Rückblick wohl keine so glückliche Entscheidung gewesen sein dürfte. Weil es Lopez zwar nicht an Kreativität und schneiderischem Können gemangelt hatte, wohl aber an betriebswirtschaftlichem Wissen.
Was in den folgenden Jahren bis 2019, wobei er den Zweitnamen „Zepol“ 2017 wegfallen ließ und von der Herren- zur Damenmode wechseln sollte (erste Damenkollektion anno 2018), immer wieder zu Cashflow-Problemen, Depressionen und zweimaligen Burnouts (2014 und ab 2019) führen sollte. Er konnte zwar meist das Geld für die Präsentation seiner Entwürfe zusammen bekommen (oder auch kostenlos auf Facebook posten), doch danach war für die Produktion der Looks in der Regel keine Kohle mehr vorhanden. Er wurde von einer treuen Fangemeinde aus seinem schwul-queeren Umfeld und auch von einigen Modekritikern immer wieder gefeiert (2018 zählte er zu den Finalisten des amerikanischen Designer-Talente fördernden CFDA/Vogue Fashion Fund), aber damit konnte die Ebbe in seiner Kasse nicht behoben werden. Auch von seiner Familie konnte er keine finanzielle Unterstützung erwarten, weil dem im Baugewerbe tätigen Vater dafür einfach die Mittel fehlten. Dennoch hatte er sich für seine Arbeit eine extrem hohe Messlatte gesetzt: „Ich möchte ein Vermächtnis hinterlassen. Ich möchte nicht als jemand sterben, der nur Kleidung gemacht hat. Ich möchte so sein wie die Menschen, zu denen ich aufschaue, die Gallianos, die Gaultiers, die Chalayans oder die Alaias.“
Vermächtnis hinterlassen
Von den Frauen seines familiären Umfeldes wurde ihm schon früh die Liebe zur Mode und zum Kleiderschaffen implantiert. Unter Anleitung der Mutter lernte er ab dem Alter von zwölf Jahren den perfekten Umgang mit Nadel und Nähmaschine. Und als er im Fashion-TV eine Sendung über den französischen Couturier Christian Lacroix gesehen hatte, war er endgültig von der Mode angefixt worden. „Ich dachte mir, das will ich machen“, so Lopez in seiner persönlichen Erinnerung. Fortan schlich er sich in die Bibliothek des New Yorker Fashion Institute of Technology und zeichnete dort Kreationen von Designern wie Lacroix oder Claude Montana ab. In den späten Teenagerjahren zog es Lopez, der im damals noch ziemlich heruntergekommenen South Williamsburg aufgewachsen war, einem Teil Brooklyns, der von den dort lebenden puerto-ricanischen und dominikanischen Einwanderern „Los Sures“ („Die Südseite“) genannt wurde, fast wöchentlich zum Christopher Street Pier. Dem Zufluchtsort der schwulen Community, wo er vor den ständigen Hänseleien oder Gewalttätigkeiten seiner Brooklyner Nachbarschaft geschützt war und in queere Klamotten schlüpfen konnte.
2019 war Lopez jedenfalls körperlich, geistig und emotional völlig ausgebrannt. „Ich war fertig. Ich war deprimiert. Ich hatte Angstzustände. Ich hatte seit 2005 keine Pause mehr gemacht. Ich ging einfach, ging, ging. Ich saß am Steuer und versuchte, mich zu beweisen und den Leuten zu zeigen, dass ich eine Marke alleine führen kann“, so Lopez über seine Burnout-Vergangenheit. Er trat die Flucht Richtung Kaiman-Inseln an, wo er sich über ein Jahr lang im recht mondänen Palm Heights Resort verkroch. Dabei hatte er sich offensichtlich Gedanken darüber gemacht, wie er sein Label künftig profitabel machen konnte. „Ich musste herausfinden, wie ich ein richtiges Geschäft aufbauen kann. Statt nur weiterhin Kollektionen zu machen, mit denen ich lediglich die Mode-Community und die Redakteure begeistern konnte. Ich musste lernen, Geld zu verdienen.“ Hilfreich waren diesbezüglich Gespräche mit seinen bekannten Kollegen Rick Owens und Kerby Jean-Raymond (dem Gründer der Marke Pyer Moss), was letztendlich in eine überaus hilfreiche finanzielle Unterstützung durch den Kering-Konzern für das für den Sommer 2021 geplante Luar-Comeback münden sollte. Mit seinem Auftritt auf der New York Fashion Week im September 2021 für die Sommer-Saison 2022 begann der Aufstieg seiner Marke Luar, den das US-Modemagazin „W“ in einem Wort nur als „astronomisch“ zusammengefasst hatte. Der Veranstaltungsort, ein Lagerhaus in Bushwick, war sicher etwas gewöhnungsbedürftig, aber es war proppenvoll. Natürlich gab es die „Ana“-Taschen, die auch heute noch schätzungsweise 40 Prozent des Label-Umsatzes ausmachen und damit unverändert den Brotartikel darstellen. Daneben gab es in der Kollektion „Teteo Basico“ viel Interessantes wie schwarze Ledermäntel, sexy Anzüge, Jersey-Shorts oder oberschenkelhohe Stiefelsandalen zu bewundern.
„Astronomischer“ Aufstieg
Die Herbst/Winter-Saison 2022/2023 ließ Lopez einfach aus und meldete sich erst wieder mit seiner Show für den Sommer 2023 aus dem Kulturzentrum „The Shed“ in Manhattan zurück auf der New Yorker Fashion Week. Unter dem Motto „La Alta Gamma“ (= Das High End) sollte es seine bis dahin hochwertigste Kollektion werden. Schon der erste Look war außergewöhnlich: ein Kleid mit Rundhalsausschnitt und geometrisch genähtem Oberteil in Khaki-, Schwarz- und Blautönen. Toll auch der an der Taille und an den Hüften geraffte sowie am Becken mit einer Diamantenform verzierte Seidenrock in einem dezenten Champagnerton. Auch viele andere Kleider waren diamantiert mit tiefer Taille und Ballonärmeln, wobei betonte starke Schultern zu einem Markenzeichen von Lopez werden sollten. Dann gab es schmale, bedruckte Bermudashorts, zweireihige Lederjacken (oder auch figurbetonte Ledertrenchcoats) mit Krokodilmuster in Terrakotta- und Blautönen, Nadelstreifen-Zweireiher mit übergroßem Revers oder auch schwarze Kleider aus Nylon und paillettenbesetztem Stoff. „Vogue Business“ gratulierte dem Designer schon mal zum geschäftlichen Aufschwung: „Der Designer ist nicht in der Lage, Verkaufszahlen aufzuschlüsseln, aber das Label ist profitabel, und die Verkäufe stiegen von SS22 auf SS23 um 140 Prozent.“
Wohl nicht zuletzt auch dank des New Yorker Luxuskaufhauses Bergdorf Goodman, das ab dem Frühjahr 2023 neben den „Ana“-Bags auch die Luar-Klamotten in sein Angebot aufgenommen hatte. „Luar repräsentiert die Essenz dessen, was an der New Yorker Mode derzeit so aufregend ist“, so das Fashion-Haus in einem Statement. „Jedes Detail der Marke spiegelt Rauls unverwechselbaren, integrativen Stil wider. Man hat das Gefühl, dass Luar für alle da ist. Es ist eine Feier der Identität, der Freude und des immer energiegeladenen Geistes von Raul selbst.“ Ähnlich klang das bei „Harper’s Bazaar“: „Im Wesentlichen ist Luar ein kraftvolles, zeitgenössisches Statement über das Machen. In seinen Kleidern geht es um Ehrgeiz, aber auch um Einfallsreichtum und darum, durch Stil ein eigenes Zugehörigkeitsgefühl zu schaffen. Luar und andere Marken von Lopez’ Kollegen wie Bode, Telfar, Christopfer John Rodgers und Fear of God deuten darauf hin, dass die aufstrebende Generation amerikanischer Designer die Definition von Luxus als etwas Langlebiges und äußerst Persönliches neu schreibt. Sie teilen eine Ästhetik der Schönheit und des Glamours, die sich jeder Assimilation entzieht…Kein einziger dieser Designer versucht, das nachzuahmen, was ein europäischer Kollege oder Vorgänger getan hat. Sie haben eine eigene Version von Erfolg.“ Was allerdings nicht gänzlich ausschließen mag, dass Lopez in naher oder ferner Zukunft auf dem Kreativposten eines großen europäischen Hauses auftauchen wird, wie er es selbst auch schon mal ganz vorsichtig angedeutet hatte.
Auch wenn sich Lopez bald darauf „wieder total im Hamsterrad“ eingebunden gefühlt hatte, wollte er sich die Teilnahme an der New York Fashion Week mit einer eigenen Herbst/Winter-Kollektion 2023/2024 nicht entgehen lassen. Diesmal wollte er mit seinen Entwürfen unter dem Titel „Callo pero elegante“ (= Straße, aber elegant) die Looks der Frauen und Mütter seines Geburtsviertels ehren, die sich mit ihren eigenen Mitteln gegen die männliche Gewalt und die Gesetze der Mafia behaupten konnten. Den Auftakt machte ein zweireihiges graues Wollkleid mit königlichen Goldknöpfen und dramatisch vergrößerten Schultern. Dann gab es ovale Strickkleider mit Cut-outs und Feder-Volants, Kapuzenumhänge, die in karierte Kleider integriert waren, eine Auswahl von Nerzmänteln oder mehrfarbige technische Jacken mit hohem Kragen, festen Knopfverschlüssen und aufgeblähten Ärmeln. Dank Gürteln mit auffälligen „L“-Verschlüssen konnte Lopez sein Markenlogo in Szene setzen, beispielsweise als Detail breitschultriger Lederjacken.
Mindestens ebenso avantgardistisch kommt Luars Sommerkollektion 2024 mit dem Titel „Socorro“ daher, wobei Lopez diesmal seine Inspirationen aus einer Reise zu einem exotischen Viertel namens „El Hoyo“ in der Dominikanischen Republik geschöpft hatte. Aufregend die Kleider im Polo-Stil mit Schlitzen oder auch die XS-Hosen beziehungsweise Rüschenröcke, die wenig der Fantasie überlassen. Unübersehbar die riesigen Statement-Sonnenbrillen oder auch die Strass-Pavé-Manschetten an Handgelenken, die maßgeschneiderten Anzüge mit Flair oder auch die übergroße Lederkleidung. Lange, maßgeschneiderte Jacken mit breiten Revers schienen über drapierten Röcken aus demselben Stoff getragen zu werden, waren aber in Wirklichkeit alle einteilig gestaltet worden. Prächtige beigefarbene Ledermäntel, lange Daunenjacken, pfiffige Jeanskleider oder großzügige Oversize-Blazer nicht zu vergessen. Bei der Vorstellung von Luars Herbst/Winter-Kollektion 2024/2025, wieder in einem Brooklyner Lagerhaus, konnte Beyoncé in der Front Row gesichtet werden. Unter dem Titel „Deceptionista“ wurde die Metrosexualität gefeiert. Das Highlight war dabei ein Lederanzug in tiefem Marineblau mit Pelzarmdetails.