Der US-Präsident erhöht den Druck auf Israel, doch seine Kritik hat Grenzen
Der amerikanische Präsident Joe Biden rühmt sich gern, ein Freund Israels zu sein. Es ist eine Konstante in seinem politischen Leben, seit er 1973 erstmals in den US-Senat gewählt wurde. Die Sympathie und Unterstützung für Israel spiegeln sich seit Jahrzehnten in der großen Mehrheit der amerikanischen Gesellschaft wider.
Doch Israels massiver Zerstörungskrieg im Gazastreifen hat in Washington zu einem Paradigmenwechsel geführt. Die Fernsehbilder von plattgebombten Städten und von mehr als zwei Millionen Palästinensern, die unter einem eklatanten Mangel an Nahrungsmitteln, Medikamenten und Benzin leiden, zeigen Wirkung.
Biden rügt die israelische Regierung in einer Weise, wie dies noch nie ein amerikanischer Präsident getan hat. Premierminister Benjamin Netanjahu „schadet Israel mehr, als er Israel hilft“, wetterte Biden in einem TV-Interview. „Er muss den unschuldigen Menschenleben mehr Aufmerksamkeit schenken, die verloren gehen.“ Der Feldzug gegen die islamistische Terrororganisation Hamas sei gerechtfertigt, doch die Umsetzung des Zieles mit bislang mehr als 31.000 Toten sei ein „schwerer Fehler“, fügte er hinzu.
Nach den Anschlägen der Hamas am 7. Oktober hatte es Biden noch mit einem Mix aus Empathie und sanften Ermahnungen versucht. Die Wut, die Israel nach dem Massaker erfülle, sei „die gleiche, die die Vereinigten Staaten nach dem 11. September empfanden“, sagte der Präsident bei einem Besuch in Israel wenige Tage nach den Hamas-Attacken. „Während wir Gerechtigkeit gesucht und Gerechtigkeit erhalten haben, haben wir auch Fehler begangen.“ Biden verwies damit auf die verheerenden Kriege in Afghanistan und im Irak.
Doch die Appelle verhallten. Bei seiner Israel-Visite stellte Biden gegenüber Netanjahus Sicherheitskabinett die Frage: „Wie sieht euer Plan für Tag eins nach dem Krieg aus?“ Die Antwort war nach Angaben von Teilnehmern eisiges Schweigen. Israels Premier hat keinen Nachkriegs-Plan. Er setzt auf die Tötung der Hamas-Führung und die Zerstörung ihres terroristischen Netzwerks, auch wenn dabei viele Tausend Zivilisten getötet werden.
Israel ist noch immer der wichtigste Verbündete der USA im Nahen Osten. Doch Bidens Ziel-Matrix ist eine völlig andere als die Netanjahus. Der Amerikaner setzt auf einen großen Deal – Freilassung der Geiseln gegen Freilassung von palästinensischen Gefangenen in Israel – und eine sechswöchige Feuerpause. Langfristig strebt er eine Zwei-Staaten-Lösung an. Für Netanjahu wäre eine Waffenruhe ein Sieg der Hamas, die sich danach wieder für neue Attacken gegen Israel rüsten könnte. Die Idee eines Palästinenserstaates weist er brüsk zurück.
Die verschärfte Tonlage Bidens hat zwei Gründe. Zum einen ist der Präsident zunehmend frustriert über die betonharte Unnachgiebigkeit des israelischen Regierungschefs. Um wenigstens die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen etwas zu lindern, bauen die Amerikaner nun einen Nothafen, der die vom Hunger bedrohte Bevölkerung mit Hilfsgütern versorgen soll.
Biden will Handlungsstärke demonstrieren – aber es ist auch ein Akt der Verzweiflung. Er fühlt sich verpflichtet, Netanjahu an die Kandare zu nehmen, weil er im Jahr der US-Präsidentschaftswahl politisch unter Druck steht. Wichtige Teile seiner Anhängerschaft, die ihm 2020 den Sieg über Donald Trump beschert hatten, werfen ihm heute eine zu lasche Haltung gegenüber Israel vor.
Vor allem der linke Parteiflügel der Demokraten, Jugendliche sowie muslimische Wähler fordern energische Maßnahmen, um den Bombenhagel auf Gaza zu stoppen. Bei den Vorwahlen in den Bundesstaaten Michigan und Minnesota – beides wichtige Swing States – ließen diese Gruppen bereits ihre Muskeln spielen und verpassten Biden einen Dämpfer. Die Botschaft: Ohne Kurskorrektur könnten dem Amtsinhaber bei der Wahl im November entscheidende Stimmen fehlen.
Doch der Präsident ist sich bewusst, dass er den Bogen nicht überspannen darf. Würde er die Militärhilfe für Israel in Höhe von rund neun Milliarden Dollar pro Jahr kappen, bekäme er zwar von vielen Demokraten Beifall. Doch gleichzeitig könnte dies etliche Gemäßigte und unabhängige Wähler verschrecken. Sein Konkurrent Donald Trump würde ihn als „Israel-Verräter“ brandmarken und möglicherweise profitieren. Biden sitzt in der Gaza-Falle.