Gabi Sußdorf stellt in ihrer Manufaktur in Jeber-Bergfrieden in Sachsen-Anhalt nicht nur Naturkosmetik her. Die 50-Jährige bringt sich in der Region mit verschiedenen Ideen ein, bietet Workshops an, bringt Menschen zusammen und hat nun ein flämingweites Frauentreffen organisiert.
Gabi Sußdorf ist eine Frau, die gern Türen öffnet. Um zu sehen, was sich dahinter verbirgt. Um die Welt zu verstehen. Doch im Laufe ihres 50-jährigen Lebens merkte sie, dass sie die Welt wohl nie wirklich begreifen wird. Denn sobald sie eine Tür geöffnet hat, stellt sie fest, dass sie nur wieder ein neues Puzzleteil in den Händen hält, das sich irgendwie mit einem anderen verbinden lassen muss. Und dass so viele Teilchen dazwischen fehlen und es unmöglich ist, alle Türen zu öffnen. Aber sie weiß auch, dass sie nicht aufhören wird, hinter die Geheimnisse des Lebens zu kommen und ihren Platz darin zu finden. Dass es sich lohnt, sich mit anderen zusammenzuschließen, weil viele Menschen eben viele Türen öffnen können und sich so manches Puzzleteilchen schneller findet und einfügt.
Zugegeben, das klingt alles sehr philosophisch. Ist es auch. Gabi Sußdorf ist eine Nachdenkerin, eine, die viele Interessen hat und deshalb auch schon vieles ausprobierte. Doch egal, was es war: Am Ende hielt sie stets etwas Neues in den Händen. „Ich muss was Fertiges sehen, und es muss gut sein.“
Die gebürtige Thüringerin, die nach der Schulzeit zunächst eine Ausbildung zur Erzieherin und anschließend zur Laborantin machte, lernte später im Allgäu in einer Hofkäserei, stellte Ziegenkäse, Marmeladen, Tees, Wurst und diverse Gesundheits-Elixiere her. Für sich selbst, für Freunde und Bekannte.
Mit 26 bekam sie ihren Sohn Ole, zog mit der Familie nach Brandenburg. Ganz Mutter zu sein ist was Tolles, sie genoss die Zeit, doch als Ole knapp drei war, reizte es sie erneut, das Geheimnis hinter einer weiteren Tür zu entdecken. Gabi Sußdorf, inzwischen alleinerziehende Mutter, schrieb sich an der Humboldt-Uni zunächst als Gasthörerin ein und studierte dann Kulturwissenschaften und Germanistik. „Für mich damals ein wichtiger und richtiger Schritt“, sagt sie rückblickend, „der jedoch letztlich die Erkenntnis verstärkte, dass ich wohl dazu berufen bin, etwas mit den Händen zu machen.“
Die Nachdenkerin hat viele Interessen
Durch Zufall lernte sie die Biologin Eva Eberwein kennen, die im Hermann-Hesse-Haus in Gaienhofen am Bodensee lebt und Hesses Erbe auch der Öffentlichkeit zugänglich macht. „Ich habe ihr im Urlaub im Garten geholfen“, erzählt Gabi Sußdorf. „Irgendwann reizte es mich, Rosen und Maroni, die der Schriftsteller noch selbst gepflanzt hat, zu etwas Schönem zu verarbeiten.“ So entstanden zwei Seifen, die die Hausherrin sofort begeisterten. „Die ließen sich bestimmt auch gut verkaufen“, meinte diese. Warum nicht, sagte sich Gabi Sußdorf und öffnete eine neue Tür, indem sie 2011 ein Gewerbe zur Herstellung von Naturkosmetik anmeldete. Damit hatte sie sich schon als Kind beschäftigt – erst ganz privat zu Hause, dann in einer Arbeitsgemeinschaft Kosmetik im Pionierhaus. „Mit 16 habe ich mir selbst Anti-Pickel-Creme zusammengerührt, die roch intensiv nach Pfefferminze, weil es bei uns in der Apotheke keine anderen ätherischen Öle gab“, erinnert sie sich.
Inzwischen gibt es keinen Mangel mehr an den nötigen Zutaten für ihre Kosmetik. Ätherische Öle stellt sie zum Teil selbst her – aus Blüten und Wildkräutern, die sie vor der Haustür im Naturpark Nuthe-Nieplitz sammelt. Der „Rest“ sind hochwertige pflanzliche Öle und Fette, wie Oliven- und Reiskeimöl, Shea- und Kakaobutter, Sanddornfruchtfleisch- und Kokosnussöl. Außerdem verarbeitet sie regionale Zutaten wie Honig, Sole und Ziegenmilch. Jegliche künstliche Zusätze, die die Haut schädigen und belasten, haben bei ihr Hausverbot.
Seit mehr als 20 Jahren ist der Fläming zu ihrem Lebensmittelpunkt geworden: Sie lebt in der alten Dorfschule in Jeber-Bergfrieden in Sachsen-Anhalt und gibt ihre Kosmetikworkshops im Naturparkzentrum Hoher Fläming im brandenburgischen Raben, nur wenige Kilometer von der Landesgrenze entfernt. „Hier in der geschichtsträchtigen Region mit ihrer herrlichen Natur, belebenden Kultur und vielen kreativen Menschen fühle ich mich wohl, sie inspiriert mich zu immer neuen Ideen und Produkten“, sagt sie.
1.000 Ideen schwirren ihr durch den Kopf
Wer bei Gabi Sußdorf an einem Workshop teilnimmt, merkt ganz schnell, dass es dabei um viel mehr geht, als am Ende ein tolles selbstgemachtes Produkt in den Händen zu halten. „Die Herstellung von Seifen oder Cremes ist gewissermaßen der schöne Rahmen, um über ein gemeinsames Hobby miteinander ins Gespräch zu kommen – über das, was einen treibt und über das Leben überhaupt. Egal, was ich mache, ich bringe mich mit Herzblut ein, authentisch und echt. Darunter mache ich es nicht“, sagt sie. „Wenn ich am Ende merke, dass sich die anfangs Fremden mit dem Gefühl einer inneren Verbundenheit verabschieden, macht mich das glücklich. Genau darum geht es mir.“ Neben ihren Mitmachkursen engagiert sie sich vor allem für die Region mit ihrer kreativen Kunst. So entstand im vergangenen Jahr zum Beispiel das „Wiesenburger Parkprinzesschen“, eine Rosenseife, für die sie ein selbst hergestelltes Destillat aus einer uralten Rosensorte verwendet, die im historischen Wiesenburger Schlosspark wächst. So wie sich Gabi Sußdorf als eine Botschafterin der Region fühlt, ist diese Seife inzwischen auch zu einer ihrer Botschafterinnen geworden, die man als Souvenir mit nach Hause nehmen kann und die eine duftende und pflegende Erinnerung an eine schöne Zeit im Fläming ist.
Mehr als 20 verschiedene regionale Seifen hat Gabi Sußdorf bereits kreiert. Hinter jeder verbirgt sich eine Geschichte, die sie als Flyer jedem Seifenstück beilegt. Wie die Seidenmilchseife mit echter Brandenburger Seide, die an die Versuche Friedrich II. erinnert, aus Preußen eine Nation des Seidenbaus zu entwickeln, wie „Katharina von Boras Maulbeerbaum“, eine Duftseife mit dunklen Maulbeeren, die zur Beschäftigung mit dem Leben einer besonders starken Frau anregen möchte oder wie die Fontaneseife „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“, die eine ganz persönliche Geschichte des Eintauchens und Lebendighaltens der Tradition rund um das Werk des Dichters erzählt.
Jüngste Kreation ist die „Jüterboger Klosterseife“, die sie im Auftrag der Stadt als besonderes Souvenir anlässlich des 850-jährigen Stadtjubiläums in diesem Jahr entwickelte. Auf der Suche nach einer Idee wurde Gabi Sußdorf im Kräutergarten des ehemaligen Franziskanerklosters fündig, wo behütet hinter den Klostermauern allerlei Kräuter und Stauden, alte und heilsame Pflanzen wie Wilde Malve, Borretsch, Weinraute, Lavendel, Ringelblume, Duftrose, Zitronenmelisse, Dill, Liebstöckel oder auch Wermut wachsen, die man nun in Seife „verpackt“ mit nach Hause nehmen kann.
Wer aber Gabi Sußdorf auf Naturkosmetikherstellung reduziert, liegt komplett schief. Nur im eigenen Kämmerlein wirken, ist nicht das Ding der quirligen Frau. Das, was sie so fasziniert, teilt sie gern mit anderen. Das Miteinander bringt ihr nicht nur doppelte Freude, sondern auch jede Menge Anregungen und neue Ideen. So engagiert sie sich seit Jahren schon aktiv im Landfrauenverband Brandenburg und im Tourismusverband Fläming. „Hier habe ich Gleichgesinnte gefunden, unter diesen Dächern fühle ich mich gut behütet und gewertschätzt“, sagt sie. „Ich fühle mich als ein kreativer Teil von Menschen, deren Mission es ist, Touristen den Fläming näherzubringen und mit vielen Veranstaltungen und Aktivitäten dazu beizutragen, dass Einheimische sich noch mehr mit ihrer Heimat identifizieren und sich selber einbringen. Wie zum Beispiel in der Tremsdorfer Spinngruppe, die Gabi Sußdorf maßgeblich mit ins Leben rief. „Es gab immer ein paar Frauen und auch Männer, die das alte Handwerk als Hobby pflegten, doch jeder für sich allein“, erzählt sie. Warum nicht gemeinsam, fragte sie sich, und lud am 9. Februar 2019 zu einem ersten Spinnkurs in die alte Schule in Tremsdorf ein, wo sie damals noch ihre Kosmetikworkshops durchführte. Mit solchem Erfolg, dass sich schon bald eine Spinngruppe unter dem Dach des Landfrauenverbandes gründete, die seitdem regelmäßig zusammenkommt, ihre Kunst auf vielfältigen Veranstaltungen im Fläming zeigt und Geschichte lebendig werden lässt.
1.000 Ideen schwirren ihr durch den Kopf, wie man noch viel mehr Individualisten miteinander vernetzen könnte, weil es jedem einzelnen und der Gemeinschaft hilft. Gerade ist sie dabei, mit anderen Nachdenkerinnen der Landfrauengruppe Wiesenburg ein flämingweites Frauentreffen vorzubereiten. Unter dem Motto „Frauen treffen Frauen“ soll am 23. März darüber diskutiert werden, wie es gelingen kann, noch mehr weibliche Kraft zu bündeln, Netzwerke zu schaffen, neue Ideen zu entwickeln, um miteinander ein noch aktiveres Landleben zu gestalten. Denn: „Sich einbringen macht glücklich“, ist Gabi Sußdorf überzeugt. „Und noch glücklicher, wenn man es zusammen mit anderen macht.“